Dr. Steffen Haack, Vorstandsvorsitzender der Bosch Rexroth AG im Anzug lehnt vor Mauer mit weißen Ziegelsteinen

Dr. rer. nat. Steffen Haack, Vorstandsvorsitzender der Bosch Rexroth AG (Bild: Bosch Rexroth AG)

Hr. Dr. Haack, wo steht Ihr Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit und insbesondere bei dem im Maschinenbau intensiv diskutierten Thema CO2-Fußabdruck?

Bosch ist seit 2020 mit seinen Standorten weltweit CO₂-neutral, also bei Scope 1 und 2. Hier bauen wir im Wesentlichen auf vier Hebel: die Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau regenerativer Eigenerzeugung, den verstärkter Bezug von Grünstrom und auf Kompensationsleistungen.

Bei Bosch Rexroth treiben wir diese Maßnahmen seit 2011 über unsere „Go Green Initiative“ systematisch voran. Bei der Energieeffizienz beispielsweise helfen uns Maßnahmen in den Fertigungsprozessen, der Optimierung von Belüftungsanlagen und der Kälteerzeugung. Zudem nutzen wir regenerative Energien in Form von Solarenergie in verschiedenen Werken und kaufen nahezu ausschließlich grünen Strom.

Parallel intensivieren wir nun auch unsere Maßnahmen zur Senkung der Scope-3-Emissionen. Ziel ist dabei, die CO₂-Emissionen entlang unserer Lieferketten und über den gesamten Lebenszyklus unserer Produkte hinweg noch vor 2030 um 15 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2018 zu reduzieren.

Einen Schwerpunkt bildet hierbei unter anderem unsere Strategie zur Kreislaufwirtschaft. Mit ihr suchen wir Wege, um Materialien und Produkte durch Wiederverwendung, Reparatur, Aufarbeitung und Recycling so lange wie möglich zu nutzen. Damit möglichst wenig Abfall entsteht und alles, was wir verwenden oder produzieren, in neuer Form zurück den Wirtschaftskreislauf fließen kann – ob als Produkt, Komponente oder Material –, sind innovative Konzepte entlang der gesamten Wertschöpfungskette gefragt.

Lassen Sie uns zunächst bei den Produkten bleiben. Fragen Ihre Kunden bereits nach dem CO₂-Fußabdruck für spezifische Hydraulikprodukte? Sind diese Angaben bei Ihnen schon verfügbar und wenn ja, wie stellen diese den Kunden zur Verfügung?

Bei uns gehen mehr und mehr konkrete Kundenanfragen, insbesondere von börsennotieren Unternehmen, ein. Oft werden neben den Product-Carbon-Footprint-Werten (PCF) für die Produkte auch Fragen zur Lieferkettennachverfolgung und zu möglichen Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz gestellt.

Dr. Steffen Haack, Vorstandsvorsitzender der Bosch Rexroth AG im Anzug
"Bosch ist seit 2020 mit seinen Standorten weltweit CO₂-neutral, also bei Scope 1 und 2.", Dr. Steffen Haack. (Bild: Bosch Rexroth AG)

Aktuell haben wir bei Bosch Rexroth mehr als eine Million verkaufsfähiger Produkte. Die Herausforderungen für uns liegen vor allem in der unscharfen Berechnungsmethodik und Sekundärdatenverwendung, aber auch in der hohen Produkt- und Variantenanzahl und der Lieferkettenrückverfolgung bei unseren mehr als 6000 Lieferanten. Wir arbeiten an zwei Methoden zur Ermittlung des PCF: Zum einen führen wir eine vereinfachte, automatisierte PCF Ermittlung auf Basis der Bill of Material durch, bei der wir das Gewicht, die Materialklassifikation, den Herstellerort und den Recyclinggrad berücksichtigen. Diese vereinfacht ermittelten PCF Werte werden wir spätestens im zweiten Quartal 2023 als Bestandteil des digitalen Produktzwillings zur Verfügung stellen.

Parallel führen wir exemplarisch eine sehr detaillierte PCF Ermittlung auf Basis der VDMA Guideline vom Dezember 2022 durch. Für Wegeventile, Servomotoren, Axialkolbenpumpen und Einschraubpatronen wurden diese Kenngrößen bereits sehr sorgfältig als Referenzgrößen ermittelt. In Summe arbeiten wir intensiv an der Bestimmung der PCF, um die Kenngröße dann in die Verwaltungsschale, in den Digitalen Produktzwilling und in den Digitalen Product Passport aufzunehmen.

Nun wird beim PCF nur die Herstellung Ihres Produktes erfasst, welcher aber laut Ihrem eigenen IFK Vortrag in Aachen nur einen kleinen Anteil des Footprints über den gesamten Lebenszyklus darstellt. Das ist zunächst für den Maschinenbauer von Interesse, aber viel wichtiger sind ja die Emissionen, die über viele Jahre beim Betrieb entstehen. Gibt es dazu auch bereits Werte oder wie ist hier der Stand?

Hier ist die Unsicherheit sicherlich noch groß, da wir das Nutzerverhalten auf Betreiberseite nicht genau kennen. Verlässliche Realdaten würden hier enorm weiterhelfen. Es gibt eigene Abschätzungen im Industrieund Mobilbereich, die auf einer angenommenen Lebensdauer von zehn Jahren basieren. Dazu wurden Interviews mit ausgewählten Betreibern verschiedener Maschinentypen hinsichtlich der jährlichen Nutzungsdauer durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt, dass die Emissionen in der Hydraulik zu mehr als 95 Prozent während des Betriebes entstehen. Bei Bosch Rexroth sehen wir die Wirkungsgradverbesserung deshalb als den entscheidenden Einflusshebel an. Das gilt sowohl auf Komponenten- als auch Systemebene.

Nun ist die Hydraulik eine reife Branche mit Tradition. Hand aufs Herz, Hr. Haack: Sind da wirklich noch größere Sprünge beim Wirkungsgrad zu erwarten?

Ja, davon sind wir überzeugt. Jedoch gebe ich Ihnen zunächst recht, wenn nur die fluid-mechanische Seite betrachtet wird. Seit über 60 Jahren wird sowohl am Hydraulikprodukt als auch der hydraulischen Systemarchitektur geforscht und entwickelt. Bei den Hydraulikpumpen beispielsweise – als wichtigstem Kernprodukt der Hydraulik – sehen wir heute Gesamt-Wirkungsgrade bis zu 96 Prozent.

Hier sind eher kleine Schritte als größere Sprünge zu erwarten, die zudem auch wirtschaftlich darstellbar sein müssen. Größere Verbesserungspotentiale sehen wir auf der Systemebene, vor allem, wenn man Elektronik und Software nutzt. Bei einigen mobilen Anwendungen lassen sich Verbesserungen bis zu 40 Prozent gegenüber rein mechanisch-hydraulisch geregelten Systemen erzielen. Und auch bei den Industrieanwendungen (z.B. Pressensteuerungen) lassen sich durch geeignete Betriebsstrategien auf der Software-Systemebene bis zu 30 Prozent Energieersparnis erzielen, ohne in die bestehende Komponenten- oder Systemarchitektur einzugreifen.

5 Hebel für Unternehmen, ihren CO₂-Fußabdruck zu verringern

  1. CO₂-arme Stromerzeugung:
    Hebel der Kategorie 1 umfassen Technologien, mit deren Hilfe der Stromsektor seine Emissionen reduzieren kann. Die Stromindustrie stößt mit jährlich 10 Gt einen beträchtlichen Teil der gesamten Treibhausgasemissionen aus. In dieser Kategorie bieten erneuerbare Energien das größte Einsparpotenzial. Theoretisch ließe sich die Stromerzeugung dadurch vollständig dekarbonisieren. Angesichts der praktischen Grenzen für den Einsatz von erneuerbaren Energien wird das jährliche Einsparpotenzial jedoch auf 5 Gt geschätzt.

  2. Wirtschaftlich tragbare Technologien:
    Kategorie 2 umfasst alle vorhandenen und wirtschaftlich tragbaren Technologien, die aktuell zur Emissionsreduzierung in allen Sektoren des verarbeitenden und nicht verarbeitenden Gewerbes eingesetzt werden können. Die wichtigsten Hebel sind Technologien zur Heizungsoptimierung und Wärmerückgewinnung (Einsparung von 1,8 Gt Treibhausgasen) und zur Verbesserung der elektrischen/mechanischen Effizienz (0,8 Gt).

  3. Kostspielige Technologien:
    Zu Kategorie 3 gehören Technologien, die zwar derzeit in der einen oder anderen Form verfügbar, aber noch nicht wirtschaftlich tragbar sind – sei es, weil sie zu kostspielig sind oder weil sie noch nicht in einem Umfang eingesetzt werden können, der nennenswerte Auswirkungen hätte. Dazu gehören zum Beispiel die Methanabscheidung in der
    Landwirtschaft oder die vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge im Bergbau- und Mineralsektor.

  4. Umweltfreundliche Treibstoffe:
    Kategorie 4 umfasst alle Technologien, die bei der Ersetzung von fossilen Brennstoffen durch umweltfreundliche Treibstoffe aus Wasserstoff, Biomasse und ‚Power-toX‘-Brennstoffen (P2X) eine Rolle spielen. Zur vollständigen Nutzung des Dekarbonisierungspotenzials muss die Energie für die Herstellung von Wasserstoff und von P2X-Brennstoffen vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen. Sobald diese initiale Hürde überwunden ist, können zahlreiche Sektoren und Anwendungen davon profitieren. Insgesamt können die globalen Treibhausgasemissionen durch den Einsatz solcher Treibstoffe um 4,9 Gt verringert werden.

  5. Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS):
    In Kategorie 5 geht es um den Einsatz von CCUS-Technologien zur Abscheidung, Verwendung und Speicherung von Treibhausgasen, die bei der Stromerzeugung und anderen industriellen Prozessen anfallen, wo fossile Brennstoffe nicht in wirtschaftlich sinnvollerweise durch umweltfreundliche Brennstoffe ersetzt werden können oder die bei der Förderung von Erdgas entstehen. Durch solche Technologien können die Gesamtemissionen potenziell
    um 7,3 Gt reduziert werden.

Quelle: Boston Consulting Group, VDMA

Eine im Jahr 2019 für das Umweltbundesamt erstellte wissenschaftliche Studie (Federführung: TU Dresden) hat ein Verbesserungspotential von ca. 25 Prozent aller Gesamt-Emissionen der Fluidtechnik in Deutschland ergeben. Dieses Potential ist ein toller Ansporn und deshalb arbeiten wir mit voller Kraft an Verbesserungen – in unseren eigenen Aktivitäten, in der Hardware und mit den Möglichkeiten, die uns Elektronik und Software bieten.

War es das dann? Oder sehen Sie darüber hinaus noch Potentiale für die Umwelt?

Es wird auch an weiteren Themen, beispielsweise zum Fluideinsatz und zur Geräuschreduzierung gearbeitet. Der Umwelt hilft auch alles, was Druckverluste reduziert. Als ein Beispiel ist die Nutzung des 3D-Sandkerndrucks bei der Herstellung von Pressen-Steuerblöcken zu nennen. Allein durch die Umstellung des Fertigungsprozesses gegenüber konventionell hergestellten Blöcken lassen sich beim CO₂-Fußabdruck Einsparungen bis zu 30 Prozent erzielen.

Ein weiterer Aspekt ist das Übertragungsmedium selbst. Ein Ziel ist, die Verbrauchsmenge zu reduzieren. Neben Maßnahmen zur Eliminierung potenzieller Leckagestellen sind hier die Strömungssimulation bei der Tankauslegung und der Einsatz von Entgasungssystemen zu nennen. Darüber hinaus geht es beispielsweise darum, möglichst umweltverträgliche Druckflüssigkeiten zu verwenden. Hoch im Kurs stehen Untersuchungen zum Einsatz von Wasserglykol und synthetischen Estern. Wir drehen also an vielen der sprichwörtlichen Schrauben, weil wir Nachhaltigkeit ernst nehmen.

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