Herr Richartz, Sie sind bei Bosch Rexroth für das technische Produktmanagement industriehydraulischer Steuerungen verantwortlich. Was sind Ihre genauen Aufgaben?
Das Produktmanagement ist eine Aufgabe, die den ganzen Lebenszyklus umfasst: von der Definition bis zur Aussteuerung, quasi von der Geburt bis zum Tod. Es beginnt mit einem weiten Blick nach vorn. Was brauchen unsere Kunden in fünf, zehn, 15 Jahren – aber auch ganz konkret morgen.
Anschließend müssen wir uns überlegen, wie wir diese Anforderungen bewerten und ob das ein attraktives Geschäftsfeld für uns ist, besonders wenn es ein neuer Bereich bzw. Technologie ist. Dann müssen wir gemeinsamen zu einer Entscheidung kommen. Die Vertriebseinheiten und die technischen Einheiten müssen sich einig sein, nach welchem Plan wir vorgehen und mit was wir morgen und übermorgen unser Geld verdienen.
Welche Herausforderungen gibt es in der Stationärhydraulik?
Wenn wir mit der Druckerzeugung in der Stationärhydraulik beginnen wollen, dann folgendes: Hier werden es weiterhin verschiedene Konzepte sein. Konkret sprechen wir von der Kombination von Konstant- und Verstellpumpen mit drehzahlvariablen Antriebsmotoren. Auch diese Motoren sind in ihrer Funktionalität und Performance skalierbar. Von der Asynchronmaschine mit Drehzahlsteller bis zum hoch-performanten Synchronantrieb.
Teilweise sind diese Gesamtsysteme schon etabliert, teilweise noch weiter zu verfeinern beziehungsweise final zu industrialisieren. Was den generellen Trend angeht, ist es für mich klar, dass hier ohne Drehzahlvariabilität nichts gehen wird und höhere Maximaldrehzahlen ganz entscheidend werden.
Das heißt zum Beispiel, dass die Pumpen, die wir hier einsetzen, bei höheren Drehzahlen das Medium kavitationsfrei fördern können. Dabei dürfen wir die Systemkosten nicht außer Acht lassen. Man kann ein ganz einfaches Gesetz aufstellen: je höher der erforderliche Druck, desto größer das erforderliche Antriebsmoment, desto höher die Ströme. Damit beeinflusst man ganz wesentliche die Größe von Motor und Leistungselektronik. Und damit die Kosten. Die Erhöhung der Pumpendrehzahlen in diesem Kontext nennen wir Downsizing.
Intelligentes Systemdesign ist der Schlüssel: Wie sieht der Maschinenzyklus aus, wie muss die Gesamtauslegung gestaltet werden, was sind die relevanten Betriebspunkte? Gehe ich auf Eckleistung oder auf eine Durchschnittsleistung? Wie gehe ich mit den Spitzen im Zyklus um? Das beschäftigt uns im Entwicklungs- und Beratungsprozess.
Das nächste große Thema ist die Integration in übergeordnete Steuerungsarchitekturen. Hier kommt das Stichwort Industrie 4.0 ins Spiel. Wir müssen die Kombination von Hydraulik und Elektronik für unsere Kunden sinnvoll gestalten, damit auch Schnittstellen entwickeln, wo man eingreifen möchte und wo nicht beziehungsweise wodurch ein echter Kundennutzen entsteht.
Das sind also die Herausforderungen, die ein Konstrukteur heute nehmen muss.
Das geht schon los, wenn ein Kunde beschreibt, was er will und was die Maschine können soll. Die Übersetzung des „was soll die Maschine können“ im Anforderungsprofil seitens des Kunden, ist oft schon eine Herausforderung. Der Transfer der Kundenanforderung in die technische Lösung wird aus der Erfüllung der technischen und kommerziellen Parameter gesteuert. Daneben gibt es Architekturaspekte der Maschinen, die beachtet werden müssen.
Laut Ihrem Statement für die fluid-Expertenrunde sind Sie der Meinung, dass man in Zukunft von Elektrohydraulischen Systemen und weniger in funktionaler und technologischer Abgrenzung sprechen wird. Bemerken Sie das schon heute?
Bei den Kunden beziehungsweise bei denjenigen, die sich schon seit Längerem mit dem Thema befassen, sind das seit längerer Zeit schon keine getrennten Welten mehr. Es wird gerne einmal der Begriff klassische Hydraulik verwendet. Das ist mir etwas zu reduziert. Es wird manchmal so getan, als gäbe es nur Hydraulik mit Schaltventilen, Schläuchen und Zylindern.
Diese sind sicherlich auch weit verbreitet, aber wir haben ganz viel Energie in die Entwicklung von hochdynamischen Servoventilen oder Proportionalventilen investiert, die die Bedürfnisse unserer Kunden reflektieren.
Die Welt besteht nicht aus „schmutziger“ Hydraulik und der leuchtenden Elektrik. Diese Dogmen muss man einreißen, weil sie zu nichts führen. Elektrohydraulik ist bei Bosch Rexroth ein ganz selbstverständlicher Begriff. Er fängt bei den Proportionalventilen an und geht bis zur autarken Achse, mit integriertem Zylindern, Pumpen, Motoren sowie den Umrichtern und der dazugehörigen Software.
Was sind die weiteren Entwicklungen?
Wir sehen einen Wachstumstrend in Richtung der Elektrohydraulik und autarken hydraulischen Achsen. Ich vermeide bewusst das Wort Hype, das meistens negativ besetzt ist. Man unterstellt Hülle statt Inhalt. Wir arbeiten am Inhalt und wir haben Kunden, die diesen Inhalt zu schätzen wissen. Ob das eine Revolution oder eine Evolution ist, muss man einzeln betrachten.
Ich sage: Es ist ein Stück weit eine Revolution, weil Kunden ihre Maschinen auf einmal anders bauen müssen. Sprich: Man muss einen Architekturvorteil erkennen. Will man ein stark integriertes System oder ein diskret aufgebautes System. Beide Systeme haben unserer Vorstellung und Erfahrung nach ihre Berechtigung.
Unserer Einschätzung nach werden wir ein Wachstum bei den integrierten Systemen und bei den autarken Achsen haben. Und das über ganz viele Applikationen hinweg. Wir können über Verstellung von Windkraftblättern reden, von Pitch-Controls, wir können darüber reden, ob wir eine Pulvermetallurgische Presse aufgrund ihrer Bauart nicht vernünftigerweise mit so etwas ausstatten, wir können uns überlegen, die Wagenbewegung einer Blasformmaschine, die ansonsten vielleicht primär elektrische Achsen hat, mit einer hydraulischen Achse auszustatten.
Wir und auch unsere Kunden können noch nicht absehen, wie weit das geht. Da wird oft erst einmal in einer Maschine eine Achse ausgeführt, man erkennt die spezifischen Vorteile und überträgt das System dann auf andere Maschinen.
Welche Treiber gibt es?
Die Integrierbarkeit ist der stärkste Treiber. Ich habe nicht mehr so viele und proprietäre Schnittstellen wie heute. Wenn ich an ein diskret aufgebautes System denke, dann ist zum Beispiel ein Hydraulikzylinder schon ein Maschinenelement, das durch den Maschinenbauer ausgelegt wird. Und wenn ich über eine integrierte Achse rede, die alles an oder in sich trägt, dann bekommt diese Zug um Zug auch den Charakter eines Maschinenelements.
Durch die Information, die wir dem Produkt mitgeben, ist viel leichter dieses zu integrieren und die Kaufentscheidung kann unter wesentlich weniger Annahmen viel gezielter getroffen werden. Ansonsten muss ich sehr viele Elemente in Abstimmung bringen. Jetzt tut das der Hersteller für den Kunden oder Spezialisten beim Kunden selbst.
Unter dem Strich empfinde ich es als Fortschritt, dass die Diskussion über die unterschiedlichen Antriebstechnologien hydraulisch und elektrisch ein Stück weit entmystifiziert wurde und mehr Inhalt hat. Damit fallen die Dogmen weg, die vor zehn Jahren noch bestanden haben. Da sind wir ein ganzes Stück weiter gekommen und das ist gut für alle, die solche Technologien anbieten und einsetzen.