Wer zu Zeiten der PC-Einführung einen Drucker an Computer anschließen wollte, wurde erst einmal mit den Niederungen der Vernetzung konfrontiert. Mit der Suche nach passenden Druckertreibern und Problemen bei der Darstellung von Umlauten und Sonderzeichen. Zum Glück hat die Computerbranche mit der Einführung von Plug-and-Play diese Probleme nachhaltig gelöst. Davon sind die Automatisierungsexperten noch ein gutes Stück weit entfernt. Soll Industrie 4.0 allerdings zu einem Kassenschlager werden, muss es noch deutlich komfortabler werden, die Vielzahl an Sensor-, Aktor, und Steuerungskomponenten miteinander zu vernetzen – und die Feldebene mit den Leitrechnern und den Computern der kommerziellen Datenverarbeitung. Das Ziel sollte sein, dass Pneumatikanwender ihr Hauptaugenmerk der Struktur und den Funktionen ihrer Anlage widmen und diese möglichst in Klartext beschreiben können – natürlich unterstützt von modernen Planungstools. Mit der babylonischen Vielfalt an Protokollen müssen dann die Steuerungs- und Computersysteme zurechtkommen und eine störungsfreie Kommunikation erreichen.
Dr.-Ing. Olivier Reinertz, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für fluidtechnische Antriebe und Steuerungen (IFAS) an der RWTH Aachen University, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das IFAS schon seit einigen Jahren an Entwicklungen arbeitet, die Relevanz besitzen für den technologieübergreifenden Trend Industrie 4.0 – auch zusammen mit bedeutenden Industriepartnern: „Alle vernetzten beziehungsweise vernetzbaren Systemlösungen werden grundsätzlich auf Industrie 4.0 vorbereitet, auch wenn es hier noch einiges zu tun gibt. Neu ist die künftig stark erweiterte Topologie der Netzwerke, bei der die Grenzen zwischen den Daten der unterschiedlichen Ebenen der Produktionstechnik und Logistik sowie der Verwaltung durchbrochen werden.“ Dies ist seiner Überzeugung nach nur zu schaffen, „wenn Daten dezentral gefiltert, interpretiert, verdichtet und bereitgestellt werden.“ Bereits mit dem nächsten Satz zeigt der Wissenschaftler aus dem Team von Professor Dr.-Ing. Hubertus Murrenhoff, dass das hoch gesteckte Ziel wohl kaum mit einem Riesenschritt erreicht werden kann, sondern nur Schritt für Schritt: „Auch wenn Industrie 4.0 durch die entstehende Datendichte eine Fülle neuer Möglichkeiten bietet, wie beispielsweise die automatisierte Produktions- und Prozessoptimierung, vereinfachte Inbetriebnahmen und vieles andere mehr, beziehen sich derzeit die meisten Visionen auf eine optimierte Instandhaltung – die Predictive Maintenance.“
"In Bezug auf Industrie 4.0 planen wir – finanziert durch und in Kooperation mit dem Forschungsfonds Fluidtechnik im VDMA – die gemeinsame Erstellung einer Roadmap durch Gremien aus Forschung und Wirtschaft, die allen an der Umsetzung Beteiligten als Kommunikationsgrundlage dienen soll. Hier sehe ich noch erheblichen Nachholbedarf", erklärt Dr.-Ing. Olivier Reinertz, IFAS.
Warum gerade der Instandhaltung eine große Bedeutung zukommt, erläutert Dr. Reinertz anhand eines Beispiels: „In einem automatisierten Montagesystem zur Herstellung von Mikroschaltern für Gurtschlösser arbeiten unter anderem einige Dutzend Pneumatikzylinder. Kündigt sich an, dass in näherer Zukunft einer der Zylinder die Laufzeit zur Verrichtung seiner Arbeit überschreitet oder der erforderliche Druck nicht mehr aufgebaut werden kann, bemerkt dies die Prozessteuerung. Über die in eine Ventilinsel integrierte Funktion Predictive Maintenance wird die Zeitspanne oder Zyklenzahl bis zum voraussichtlichen Auftreten eines Fehlers abgeschätzt und der übergeordneten Steuerung mitgeteilt. Je nachdem, wie stark die Soll-Ist-Abweichung ist, wird der Austausch des Zylinders oder des Ventils im Rahmen der nächsten geplanten Wartung angestoßen, oder eine Sofort-Maßnahme eingeleitet, vor allem, wenn die Produktion fehlerhafter Produkte zu erwarten ist. Gleichzeitig werden die offenen Produktionsaufträge auf andere Montagelinien umgeleitet.“ Diese Informationskette lässt sich im Endausbau von Industrie 4.0 fortsetzen bis zu dem Zulieferer, der die Gurtschlösser einbaut und über sein ERP-System weiter zum Automobilhersteller, der dann ersatzweise Teile über den Second-Source-Kanal bezieht. Damit dank der schnellen und offenen Kommunikation am Montageband kein Stillstand eintritt.
Nutzen der lückenlosen Vernetzung
Den Nutzen aus einer lückenlosen Vernetzung unterstreicht auch Dr. Michael Hoffmeister von Festo, der als Spezialist für Produkt- und Anwendungstrends über sehr gute Antennen für den Blick in die Zukunft verfügt: Dr. Hoffmeister: „Industrie 4.0 erfasst neben Komponenten mit eingebauter Steuerung auch die pneumatischen Komponenten wie Zylinder und Ventile. In Zukunft werden wir unsere Kunden noch zielgenauer und zeiteffizient mit allen nötigen Informationen für Engineering und Betrieb versorgen können. Langfristige Suche und Formatkonvertierungen werden weitgehend entfallen. Unsere digitalen Tools zur Dimensionierung, für den Einkauf und für die Inbetriebnahme werden zum richtigen Zeitpunkt über die Industrie 4.0 Infrastruktur passend zum Workflow unserer Kunden aktiviert werden können. Wir wollen weg vom dicken Handbuch und die richtige Information zur richtigen Zeit bieten.“
Mit der digitalen Infrastruktur will Festo aber auch den Betrieb pneumatischer Lösungen absichern. „Über Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Realisierung der vorausschauenden Instandhaltung“, berichtet Dr. Hoffmeister: „Wir möchten unsere Kunden in die Lage versetzen, die günstige und leistungsfähige Pneumatik schnell an geänderte Einsatzbedingungen anzupassen. Unsere Top-Ventilinseln, mit integrierten Steuerungsfunktionen, die neue Kommunikationsstandards wie OPC UA unterstützen, werden hier der Schlüssel sein.“ Eine Vielzahl wichtiger Betriebsparameter für die Datenanalyse und Anlagenoptimierung kann dank dieser Komponenten prozessnah gewonnen werden.
Dass die Maschinensteuerungen und Ventilsysteme in der Fertigungsautomatisierung eine immer höhere Netzwerkfähigkeit aufweisen und miteinander kommunizieren müssen, hebt auch Dr. Reinertz hervor: „Allerdings ist heute noch offen, bis zu welchem Grad eine Vernetzung der diversen Komponenten einer Anlage vor dem Hintergrund steigender Komplexität zielführend ist. Hier hat auch die jeweilige Anwendung einen großen Einfluss.“ Lokal können natürlich schon heute intelligente Ventilinseln mit Netzwerkanbindung die Prozesse managen – oft kostengünstiger, als jeden einzelnen Pneumatikzylinder mit Logikelementen und Ventiltechnik auszustatten.
Definitiv ist aber ein gemeinschaftlicher Standard notwendig, den die Fluidtechnikbranche nicht selber entwickeln, sondern gemeinsam mit anderen Branchen vorantreiben muss. Nur so ist es möglich, die Erstellung und Wartung der zugrundeliegenden Software aus ökonomischer Sicht mit vertretbarem Aufwand zu stemmen. Gleichermaßen würde verhindert, dass aufgrund von Schnittstellenproblemen und einer eintretenden Überkomplexität insbesondere bei sehr extensiver Vernetzung aller Komponenten die Prozesse störanfälliger werden.
Inwieweit Pneumatikkomponenten künftig gar über eine multiple Netzwerkfähigkeit verfügen müssen, steht auf einem anderen Blatt. Dr. Hoffmeister: „Diese Idee der horizontalen und vertikalen Integration ist ein zentrales Konzept hinter Industrie 4.0. Die Industrie 4.0-Komponenten werden mehr Funktionen als in der Vergangenheit bieten und diese Mehrwertfunktionen unterschiedlichen Systemen zur Verfügung stellen, beispielsweise dem Asset Management, der Wartungsplanung, den Energie- und Umweltsystemen, der Leittechnik oder Systemen für Analyse und Reporting. Damit dies Realität wird, müssen sowohl verschiedene Feldbusse bedient als auch Verbindungen in den ‚Office-Floor‘ ermöglicht werden. Letztendlich wollen wir unseren Kunden auch die Verbindung in die Cloud ermöglichen, um übergreifende Überwachung und Diagnose zu ermöglichen. Zentrale Herausforderung ist dabei eine einfache Anwendbarkeit: Mehr als heute müssen sich die Komponenten über ‚Plug and Produce‘ in diese Netzwerke einbinden und die richtigen und eindeutigen Daten und Funktionen zur richtigen Zeit bereitstellen. Hier wird uns die Standardisierung der Industrie 4.0, die Festo mitgestaltet, entscheidend helfen.“
Natürlich gilt dies auch dort, wo Industrie 4.0 die Produktion in Losgrößen bis herab zu einem Stück ermöglichen soll, betont Dr. Reinertz und fügt hinzu: „Wo ‚on demand‘ in kleinsten Losgrößen produziert werden soll, wird häufig eine weitere Anforderung an die Entwicklung neuer Produktions- und Montageanlagen herangetragen: die schnelle und flexible Umrüstung der Maschinen. Diese wird zunehmend nach Zylindern mit integrierten Wegmesssystemen und servopneumatischen Systemen verlangen, die sich nicht nur gesteuert zwischen Endlagen bewegen, sondern mit hoher Präzision geregelt frei wählbare Zwischenpositionen anfahren können. Damit eine Maschine vollautomatisch auf die Produktion von Teilen mit kundenspezifischen Maßen umgestellt werden kann.“ In diesem Bereich steht die Pneumatik in einem starken Wettbewerb zu elektromechanischen Antrieben, die derartige Funktionen recht einfach unterstützen. Dr. Reinertz: „Hier gilt jedoch wie bei allen anderen Antrieben auch, dass entgegen vieler pauschaler Vorurteile ausschließlich das vorherrschende Last- und Bewegungsprofil sowie die weiteren geforderten Eigenschaften des Antriebs eine sinnvolle Entscheidung für die eine oder andere Antriebstechnik ermöglichen.“
"Industrie 4.0 erfasst neben Komponenten mit eingebauter Steuerung auch die pneumatischen Komponenten wie Zylinder und Ventile", so Dr. Michael Hoffmeister, Festo.