Harmlose Bäche werden zu Seen, Sturzbäche reißen ganze Hänge mit sich, Regenfluten überschwemmen Keller, U-Bahnschächte, ja sogar ganze Flughäfen werden außer Gefecht gesetzt. An den Flüssen folgt ein Jahrhunderthochwasser dem nächsten. Schnell stellt sich da die Frage, sind wir ausreichend gerüstet, um den Fluten Einhalt zu gebieten, oder müssen wir uns an zerstörte Straßen, lahmgelegte Infrastrukturen und Schäden an Gebäuden, Maschinen und Fahrzeugen gewöhnen?
Tatsächlich haben die jüngsten Flutkatastrophen dafür gesorgt, dass das Thema Hochwasserschutz verstärkt in den Brennpunkt gerückt ist. Eine der Ursachen für die Häufung der Ereignisse ist der Klimawandel. „Der Klimawandel stärkt die Extreme, keine Frage – es gibt entweder zu viel oder zu wenig Wasser. So kann die Niederschlagsmenge eines ganzen Jahres zwar gleichbleiben, aber ein Großteil der Niederschläge fällt innerhalb weniger Tage. Es kommt zu einem Wechsel zwischen Überschwemmung und Dürre“, sagt Daniel Bachmann, Professor für Hydromechanik, hydrodynamische Modellierung, Hochwasserrisikomanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Ein Blick auf die vorhandenen Schutzmaßnahmen und ihre Wirksamkeit ist fällig.
„Bis Ende der Jahrtausendwende war das Eindeichen das Maß aller Dinge.“
Prof. Daniel Bachmann, Professor für Hydromechanik, Hochschule Magdeburg-Stendal
Eine kurze Bestandsaufnahme zeigt, dass es im Hochwasserschutz bereits einen breit gefächerten Maßnahmenkatalog gibt: Seit vielen Jahrzehnten schützen technische Einrichtungen wie Deiche, Talsperren, Fluttore, Rückhaltebecken, Pumpwerke und Polder Städte und Regionen, gesetzliche Richtlinien regeln Zuständigkeiten und geben Handlungsvorgaben, Hochwassergefahrenkarten leisten Orientierungshilfe, Tipps für die Bauvorsorge helfen Eigentümern, verschiedene Konzepte der Raumplanung stehen Kommunen und Städteplanern zur Verfügung.
„Wir haben da sehr viele Möglichkeiten“, sagt Prof. Peter Fröhle, Leiter des Instituts für Wasserbau der Technischen Universität Hamburg. Doch bevor eine Bewertung der einzelnen Schutzeinrichtungen stattfinden kann, muss erst einmal unterschieden werden, ob der Schutz einer fluvialen oder einer pluvialen Überflutung gilt: Stammt die Überflutung aus einem Gewässer oder entsteht sie direkt in der Fläche, ausgelöst durch Starkregen, auch weit ab von Gewässern?
Prof. Bachmann erklärt: „Als fluviales Ereignis bezeichnet man ein Flusshochwasser, wie an der Ahr, Paar oder Elbe. Sie betreffen dann auch oft eine ganze Region. Die Gegenden, die überflutet werden, müssen also nicht unbedingt von einem Niederschlagsereignis betroffen sein, auch wenn das manchmal der Fall ist.
Pluviale Ereignisse hingegen sind Überflutungen direkt in der Fläche, häufig ausgelöst von lokalen Unwetterereignissen wie im Juni im Wallis oder von einem Starkregen aus einer Gewitterzelle – das geschieht häufig im Flachland. Kombinationen aus pluvialen und fluvialen Ereignissen sind natürlich auch möglich.“
Schutz vor Flusshochwasser und Starkregen
Für jedes Ereignis gibt es im technischen Hochwasserschutz entsprechende Bauwerke und Technologien. Vor Flusshochwasser und Sturmfluten schützen Deiche und Dämme. Es gibt sie seit Jahrhunderten. „Deiche und Dämme haben sich als Bauwerke im Hochwasserschutz durchgesetzt. Die meisten Flüsse sind vom Oberlauf bis zur Mündung eingedeicht“, berichtet Prof. Fröhle. Vorausgesetzt, das Hochwasser bleibt innerhalb der Bemessungsgrundlage und der Zustand dieser Bauwerke ist gut, sind die Gelände dahinter gegen Hochwasser geschützt.
An der Küste vor Städten sind Sperrwerke gefragt. In Ästuaren können Sperrwerke die Deichläufe deutlich verkürzen und Städte gegen Sturmfluten schützen. Oftmals handelt es sich um gigantische Bauwerke. „Das Maeslantkering vor Rotterdam hat Flügel in den Ausmaßen des Eiffelturms“, berichtet Prof. Fröhle. Städte, durch die ein Fluss führt, können diesen vor der Stadt verzweigen und bei Bedarf einen Teil des Wassers in einem sogenannten Umgehungsgerinne um die Stadt herumleiten.
Um Wasser im Falle eines Flusshochwassers zwischenzuspeichern und somit die maximalen Wasserstände zu begrenzen, werden Speicherflächen und Rückhaltebecken (Flutpolder) geschaffen. So ein Polder wie zum Beispiel auf der Rheinschanzinsel kann bis zu zehn Millionen Kubikmeter Wasser zwischenspeichern.
„Der Hochwasserschutz bleibt eine Daueraufgabe.“
Prof. Peter Fröhle, Leiter des Instituts für Wasserbau der Technischen Universität Hamburg.
Korrosionsbeständige Hydraulikzylinder
Die Zu- und Abflüsse all dieser Anlagen werden häufig mithilfe von Hydraulik aktiv gesteuert. „Für die Hydraulik im Hochwasserschutz ist das A und O, dass sie langlebig, robust, zuverlässig und wartungsarm ist. Schließlich müssen diese Anlagen Jahrzehnte halten“, sagt Prof. Fröhle. Der letzte große Boom im Stahlwasserbau fand in den 70er- und 80-Jahren des letzten Jahrhunderts statt, erinnert sich Dr.-Ing. Ingo Rühlicke. Er ist der technische Leiter von Walter Hunger. Das Unternehmen rüstet Staudämme, Schiffsschleusen, Wehre oder Sperrwerke mit Hydraulik-Systemen aus. An den Finnischen Meerbusen lieferte Hunger Hydraulikzylinder für das weltgrößte Fluttor mit 115 Meter Breite, um St. Petersburg vor den Wassermassen zu schützen.
In der englischen Stadt Boston baute das Joint Venture BMMJV das Boston Barrier in der Mündung des Flusses Haven. Auch hier bewegen zwei Hydraulikzylinder von Hunger das 370 Tonnen schwere und 25 Meter breite Radialtor.
Zu den Anforderungen unter den hier herrschenden Umgebungsbedingungen erklärt Rühlicke: „Da die Zylinder im Stahl-Wasserbau mit Wasser in Berührung kommen, müssen sie korrosionsbeständig sein.“ Nicht nur der ständige Kontakt mit Wasser, auch die Salze aus dem Meerwasser setzen den Systemen zu. „Die Kolbenstangen müssen blank poliert sein, weder Vogelkot noch Wasser oder Salznebel dürfen ihnen zusetzen“, sagt Rühlicke. Hunger beschichtet die Zylinder wahlweise mit einer Keramik- oder einer Laser-Beschichtung. „Beim Laserbeschichten entsteht eine stofflich feste Verbindung, die zudem äußerst hart ist“, so Rühlicke.
Die Dichtungstechnologie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. „Die Geometrie der Dichtungen und das Material müssen so gestaltet sein, dass sie weder verkleben noch verhärten“, sagt Rühlicke. Denn würde die Dichtung nachlassen, käme es zu Leckagen. „Dann würden ein paar hundert Liter Öl ins Wasser laufen“, sagt Rühlicke. Daher wird heute im Stahl-Wasserbau vorwiegend biologisch abbaubares Öl verwendet.
Pumpe fördert 10.000 l/s
Um vollgelaufene Gebäude, Straßen, Städte, Kanäle, Gelände oder Becken von Wasser zu befreien, werden Pumpen eingesetzt. Sie müssen im Notfall sehr schnell große Mengen Wasser transportieren können. „Es ist eine Kunst, im richtigen Tempo, die richtige Menge Wasser wegzubekommen“, sagt Dipl.-Ing. (BA) Dagmar Schnell, Prokuristin bei der deutschen Vertriebsgesellschaft des Pumpenherstellers Hidrostal. Die Verfahrenstechnikerin hat langjährige Erfahrung mit Pump-Technologien – seit 24 Jahren arbeitet sie bei Hidrostal.
Die größten Pumpen Hidrostals können bis zu 10.000 Liter Wasser in der Sekunde pumpen. Um Medien mit groben Feststoffen sicher und energieeffizient zu fördern, hat Hidrostal das Schraubenzentrifugalrad, ein Laufrad in einer speziellen Schaufelgeometrie, erfunden. Die guten Saugeigenschaften dieser Pumpen nutzt Hidrostal ebenfalls bei ihren mobilen Pumpen, die wahlweise von einem Diesel-Aggregat angetrieben werden.
Mit ihnen arbeiten zum Beispiel Kommunen im Hochwasserschutz. „Da bei Hochwasser immer mit Stromausfall gerechnet wird, spielt die Autarkie eine große Rolle“, so Schnell.
In Rückhaltebecken oder Pumpwerken sind Pumpen meist fest installiert. „Hierbei spielt die richtige Dimensionierung der Becken eine wichtige Rolle. Mitunter ist jedoch die zur Verfügung stehende Fläche für diese Bauwerke begrenzt. Pumpen mit dem Hidrostal Prerotations-System können eine Lösung für diese Anforderung sein, da meist geringere Überstauhöhen und kleinere und weniger tiefe Pumpensümpfe benötigt werden.
Häufig werden Pumpen auch gestaffelt geschaltet: Eine kleinere Pumpe beginnt, eine weitere wird zugeschaltet, dann die nächste.“ Langweilig wird ihr das Geschäft nicht. „Die Anforderungen ändern sich immer wieder“, sagt Schnell.
Entsprechend müssen auch die Maßnahmen im Hochwasserschutz an die neuen Anforderungen angepasst werden. Das geschieht jedoch nur schleppend.
Deiche und Dämme zum Beispiel wurden zum Großteil bereits ab 1953 gebaut – nach der Jahrhundertsturmflut. „Die Deiche hierzulande sind vielfach in einem schlechten Zustand. Wenn sich Hohlräume im Deich durch Wurzelwerk bilden oder von Tieren angelegt werden, dann verliert der Deich seine Dichtheit und somit seine Schutzfunktion“, berichtet Fröhle.
Rückverlegung von Deichen
Statt ausschließlich auf Deiche zu setzen, raten Experten zu angepassten Maßnahmen. „Mauern und Deiche sind sicher sinnvoll, um Gebiete mit hohem Risiko zu schützen, keine Frage, aber es müssen auch Maßnahmen etwa gegen die Verdichtung der Böden, die Schaffung von Rückhaltebecken oder Auenwälder angedacht werden.“ Meint Bachmann.
Mehr Raum für den Fluss und das Wasser in der Landschaft halten, Schwammregionen schaffen sind die Schlagworte dafür. Als Beispiel zieht er die Elbe heran. Sie hat im Laufe der Jahre 85 Prozent ihrer natürlichen Überflutungsfläche verloren. „Nicht zu vergessen: Eine an die jeweiligen Risiken angepasste Raumplanung ist der wirkungsvollste Schutz“, meint Prof. Bachmann.
Sportstadion als Rückhaltebecken
Wie vielfältig die Möglichkeiten neu gestalteter Flächen in Kombination mit Technik sind, zeigen verschiedene städtebauliche Projekte. Der Projektleiter Frank Steininger hat einige betreut. Darunter Rückhaltebecken, die in trockenen Zeiten als Sportplatz dienen und sogar ein ganzes ‚Regenwasser-Stadion‘: „Unter das Stadion haben wir Speicher- und Versickerungsanlagen gebaut.
Das Stadion selbst kann bei Überflutung als Auffangbecken genutzt werden und bis auf eine Höhe von 80 Zentimeter volllaufen“, berichtet der Projektleiter. Das Stadion wird zum Überflutungsschutz für Hamburg-Billstedt. Derzeit leitet er die Umgestaltung einer innenstadtnahen Industriefläche in Eckernförde für die BIG Städtebau GmbH. „Wir schaffen ein grünes Bindeglied zwischen Hafen, Windebyer Noor und Ostseestrand.“
Die Fläche des Wynerbyer Noor wird dafür vergrößert, die Industriebrache entsiegelt und begrünt. „Mit einem modernen Steuerungsbauwerk am Hafen kann der Zu- und Ablauf des Wassers besser und genauer geregelt werden“, so der Projektleiter.
Die Pegelstände von Noor und Ostsee unterscheiden sich. Nun dient die hinzugewonnene Wasserfläche als Puffer – ein sogenannter „Retentionsraum“. Eines der größten Hindernisse bleibt, nämlich dass viele der vorhandenen Lösungen nicht oder zu langsam greifen, da zu viele Akteure beteiligt sind.
Fabrik des Jahres
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„Im Wasserbau arbeiten wir in und mit der Natur. Dabei stoßen wir häufig auf sehr viele unterschiedliche Interessen. Es kommt zu Konflikten und es muss mit langwierigen Aushandlungsprozessen gerechnet werden“, sagt Prof. Fröhle. „Da geht es um Landwirte, die das Wasser nicht auf ihren Feldern stehen lassen wollen, oder den Boden immer weiter verdichten. Die mangelnde Bereitschaft einzelner Gruppen, Eingriffe in die Landschaft mitzutragen. Bedenken von Umweltschützern, wenn es um den Lebensraum seltener Arten geht. Politische Bedenken, wenn gegen den Willen mancher Interessensgruppen gehandelt wird und Wählerstimmen verlorengehen könnten.
„Häufig sind die Nutznießer von Talsperren, Poldern oder Rückhalteräumen die Bewohner von Regionen weit unterhalb, da dort dann die Hochwasserwelle stark gedämpft ankommt. Die direkten Anrainer selbst haben erst einmal nichts davon und stimmen daher dagegen. Es entstehen schnell Nutzungskonflikte.“
Übergeordnete Behörde
Seiner Meinung nach müssten sich die organisatorischen Strukturen ändern: „Geht es um das Einzugsgebiet von Flüssen, muss Hochwasserschutz optimalerweise auf eben dieser Einzugsgebietsebene angesiedelt sein. Maßnahmen, die auf kommunaler Ebene getroffen werden ohne Absprachen mit den anderen Kommunen im Einzugsgebiet, sind wenig sinnvoll.
Es sollte eine übergeordnete Behörde geben, da bin ich für einen top-down approach, aktuell ist das in Deutschland aber anders organisiert.“ Unabhängig von allen Anstrengungen, bessere Schutzkonzepte umzusetzen, sollte eine hundertprozentige Sicherheit nicht erwartet werden: „Ein Restrisiko bleibt immer“, sagt Prof. Bachmann.