Wer mit Hydraulikzylindern und -anlagen zu tun hat, steht vor der Herausforderung, das geeignete Dichtungs- und Führungssystem für seine Aufgabe zu finden. Der Zylinder soll über eine lange Zeit seine Funktion erfüllen und außerdem dicht sein, sodass das Medium in den Zylinderkammern bleibt und der Druck dort gehalten wird. Das ist Aufgabe der Dichtung beziehungsweise der Dichtungen. Die Führung dagegen ist für die Gleiteigenschaften der Kolbenstange zuständig. Hier sind auch Querkrafteinflüsse oder Leichtgängigkeit zu berücksichtigen. Im Dschungel der Dichtungssysteme von verschiedensten Herstellern mit ihren vielfältigen Varianten finden sich allerdings oft nur Spezialisten zurecht.
„Moderne Zylinder arbeiten mit modernen Dichtungselementen, die meist in Kaskaden aufgebaut und auf die Laufflächen und das Druckmedium abgestimmt sind. Solche modernen Dichtungssysteme erzeugen einen ausreichenden Schmierfilm, der für eine lange Laufleistung wichtig ist. Und das bei optimaler Dichtheit des Zylinders.“, erklärt Klaus Wagner, Bereichsleiter Forschung und Innovation bei Hänchen. Und hier beginnt er schon, der Dichtungsdschungel. Auf dem Markt gibt es verschiedenste Dichtelement-Geometrien und ebenso viele Materialien. Meist ist eine Kombination mehrerer Einzelelemente notwendig, die dann im Zusammenspiel mit dem Führungssystem die erforderlichen Eigenschaften erbringen.
Um herauszufinden, welche Kombinationen welche Anforderungen abdecken, hat das im Sondermaschinenbau tätige Unternehmen selbst einen Dichtungs- und Laufflächenprüfstand entwickelt und im Einsatz. Dieser Prüfstand ermittelt die Kennwerte einzelner Dichtungen in Kombination mit der Lauffläche, ebenso wie auch die von Dichtungskaskaden. Dabei haben sich folgende Erkenntnisse herauskristallisiert.
Ein Basis-Dichtungssystem aus Nutring und Abstreifer eignet sich gut für Anwendungen, in denen der Zylinder gleichmäßig mit moderater Geschwindigkeit ein- und ausfährt und damit beispielsweise einen Maschinendeckel öffnet und schließt. Aber was wird benötigt, wenn es etwas schneller zur Sache geht, kleine Amplituden gefahren werden oder das Gegenteil – ein Zylinder einen sehr langen Hub, zum Beispiel 1 000 mm hat?
Bei langsamen oder niederfrequenten Bewegungen hat sich bei dem Unternehmen eine Kaskade von zwei Dichtungen, einem PTFE-Stufenring und einem Nutring, bewährt. Die erste Dichtung – diese steht unter dem hydraulischen Druck im Zylinder – besteht aus Teflon, einem sehr gleitfreudigen Werkstoff. Sie verursacht weniger Reibung als eine Elastomerdichtung. Zur Erzeugung einer hohen Dichtungswirkung wird eine zweite Dichtung aus Elastomer nachgeschaltet. Dieser Nutring steht nur unter geringem Lecköldruck. Damit ist die Anpressung gering und somit auch dessen Reibung.
Eine Leckage, welche die erste Dichtung durchlässt, hält der Nutring zurück. Unter manchen Einsatzbedingungen sammelt sich zwischen den beiden Dichtungen Öl an. Daher ist ein Leckölanschluss vorgesehen. Über diesen kann der Anwender den Zwischenraum druckfrei schalten und das überflüssige Öl drucklos in den Tank zurückführen. Dabei handelt es sich meist um wenige Tropfen. Diese Kombination eignet sich für weitgehend stick-slip-freie, reibungsarme, feinfühlige Bewegungen bei geringen Seitenkräften. Sie kommen insbesondere in klassischen Produktionsmaschinen zum Einsatz. Auch wenn der Zylinder einen langen Hub hat, verwendet man solche Dichtungskaskaden.
Dynamische Bewegungen
Bei dynamischen, sehr feinfühligen und reibungsarmen Anwendungen sind die Anforderungen komplexer. In einem solchen Fall braucht es eine andere Kombination, zum Beispiel aus Nutring und metallischer Ringspaltdichtung. Damit lassen sich stick-slip-arme Bewegungen erreichen. Solche Systeme eignen sich für hochdynamische Bewegungen und Oszillationen bis 400 Hz zum Beispiel im Prüfbereich oder für Belastungen des Zylinders mit hohen Seitenkräften.
Bei dem System, welches sich hier bewährt hat, wird der Zylinderdruck durch einen engen Drosselspalt zwischen der metallischen Ringspaltdichtung und der Kolbenstange nach außen hin berührungsfrei abgebaut. Um die Dichtungswirkung zu erreichen, ist ein ständig fließender Funktionsölstrom erforderlich. Dieser zentriert die Ringspaltdichtung – aufgrund ihrer speziellen Bauform – und verhindert, dass sie die Kolbenstange berührt. Das Funktionsöl kann drucklos in den Tank über eine einfache Leitung abgeführt werden, eine Absaugung ist nicht vorzusehen. Die berührende Nutring-Dichtung steht auch hier nicht unter Druck. Dadurch ergibt sich eine äußerst geringe und über den ganzen Druckbereich konstante Restreibung. Weil die Primärdichtung die Stange nicht berührt, entsteht auch kein Verschleiß. Somit erhöhen sich die Wartungszyklen des Zylinders – bei gewährleisteter Ölreinheit – auf Milliarden Lastwechsel. Dieses System wird zum Beispiel in Stahlwerken eingesetzt.
Vor allem für Test- oder Prüfzylinder sowie Anwendungen mit kleinen Amplituden eignen sich Systeme, die Eigenschaften von Drosselspaltdichtungen und berührenden Dichtungssystemen verbinden, zum Beispiel das Servoseal-System. Bei dieser Kolben- oder Stangendichtung handelt es sich um einen dynamisch dichtenden Kunststoffring. Dabei verhindert ein integrierter Rückhaltering aus Carbon eine zu starke Anpressung an die Dichtungslauffläche durch hydraulischen Druck. Dieses System ermöglicht nahezu verschleißfrei Bewegungen bei geringer Leckage, messbar in Tropfen pro Minute am Leckölanschluss.
Führungssysteme auswählen
Beim Führungssystem gibt es verschiedene Möglichkeiten, die jeweils angepasst und kombiniert werden können. Als wichtiger Faktor sind die Querkräfte zu berücksichtigen. Falls sie besonders hoch ausfallen, kann ein Kunststoff fest in den Verschluss aufgeschmolzen werden. Alternativ gibt es Führungssysteme mit Führungsbändern, ausgelegt auf hohe Belastungen. Führungsbänder werden insbesondere bei großen Zylinderdurchmessern speziell kalibriert. Die metallische Führung, als dritte Variante, zeichnet sich durch ihre Führungspräzision und hohe Temperaturbeständigkeit aus.
Als eine High-End-Lösung gibt es speziell für Prüfzylinder hydrostatische Kolbenstangenführungen, bei denen sind Dichtung und Stangenführung vereint sind. Die Stange „schwimmt“ auf einem Ölfilm und berührt dadurch die Führung nicht.
Beratung durch den Dichtungshersteller oder Online-Konfiguratoren helfen bei der Wahl der richtigen Variante.
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