Machine Learning bei einem Forwarder

Machine Learning sorgt dafür, dass der Forwarder das ­geerntete Holz erkennt, es autonom greifen und hydraulisch anheben kann. (Bild: Chris Geiger)

Prof. Marcus Geimer, Institutsleiter des Mobima (Mobile Arbeitsmaschinen) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fasst es so zusammen: „Wir sehen, dass das Interesse der Industrie an Technologien rund um Machine Learning und KI sehr hoch ist.“ Es sei wichtig, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen: „KI ist kein Allheilmittel, sondern eine Technologie mit Vor- und Nachteilen, mit denen Entwickler sich auskennen sollten“, sagt Geimer auch. Ein bisschen Herumexperimentieren reiche für Maschinenbauer jedoch nicht aus.
Auch der VDMA sieht erhebliches Potenzial für KI-Technologie in hydraulischen Maschinen und Anlagen – und für die gesamte Branche. „Die konkreten Anwendungsmöglichkeiten im Maschinenbau sind mittlerweile sehr vielfältig. Sie betreffen nicht nur die eigenen Wertschöpfungsprozesse von der Entwicklung bis zum Service oder die unterstützenden Unternehmensabläufe, sondern auch die Weiterentwicklung der eigenen Produkte und das Angebot neuer Dienstleistungen“, sagt Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA. Produktseitig gehörten zu den wichtigsten Themen Predictive Maintenance, Condition Monitoring und Remote Services. Durch sensorbasiertes maschinelles Lernen ließen sich zudem bei komplexen Maschinen und Anlagen die Inbetriebnahmezeiten verkürzen und Fehlerquellen frühzeitig identifizieren, so Rauen.

Die Praxisszenarien sind vielfältig

Mobima-Projekt Traktorsteuerung
Am Mobima wird an einem lernfähigen Steuerungssystem gearbeitet, das ­Traktoren im Feld steuert. (Bild: KIT)

Am Mobima laufen derzeit drei Projekte, die sich intensiv mit maschinellen Lernverfahren beschäftigen. Zum einen wird an einem lernfähigen Steuerungssystem gearbeitet, das Traktoren im Feld steuert. Hier regelt das System autonom die Tiefe, mit der ein Grubber in Abhängigkeit von der Bodenbeschaffenheit arbeitet und wie schnell der Traktor dabei fährt. Die Verstellung des Grubbers erfolgt automatisiert hydraulisch. Energieeffizienz und Performance sind in der Landtechnik wichtige Faktoren: Kündigt sich eine Wetterverschlechterung an, muss beispielsweise sehr schnell gearbeitet werden. „Gerade an den Leistungsgrenzen funktioniert das System sehr gut, generell ist es mindestens genauso gut wie der Landwirt selbst“, erklärt Geimer.
Ein anderes Projekt betrifft die Forstwirtschaft Nachdem ein Harvester Bäume gefällt hat, werden von einem Forwarder die Holzstücke aufgesammelt und an die Forststraße gebracht. Machine Learning sorgt dafür, dass der Forwarder das geerntete Holz erkennt, es autonom greifen und hydraulisch anheben kann. „Es wird immer schwieriger, qualifizierte Fahrer zu finden, denn die Kranbedienung mit mehreren Greifarmen und Gelenken ist sehr komplex. Zudem ermittelt der Algorithmus anhand der erfassten Maße und Hydraulikdaten, welches Gewicht das Holzstück hat. Hohle Stücke gelangen so gar nicht erst in die Weiterverarbeitung“, berichtet Marcus Geimer. Für die Baumstammerkennung wurde ein bekanntes Machine-Learning-Modell zur Objekterkennung genutzt und spezifisch trainiert.

Belastungsschutz durch Assistenzsysteme

Machine Learning kann aber auch zum schonenderen Einsatz von Baumaschinen beitragen. Die Wartung profitiert davon, denn je nachdem wie ruppig der Fahrstil des jeweils Fahrenden ist, entsteht eine erheblich höhere Belastung. „Das System erkennt, wer wie fährt und steuert mittels Hydraulik die Bewegungen optimal. Die schädigungsrelevanten Belastungen konnten sich so an einer Stelle um 38 Prozent reduzieren lassen“, führt ­Geimer aus.
Alle Projekte wurden mit Industriepartnern umgesetzt. Wichtig für die Unternehmen seien dabei die Mehrwerte, die sich mit KI-Technologie erreichen lassen, meint der Institutsleiter: Bei der Forstwirtschaftslösung zum Beispiel die implizite Gewichtsmessung, die eine Messeinrichtung zwischen Kran und Schwinge überflüssig macht. Ähnliches wird bereits heute in Müllfahrzeugen eingesetzt, wo gleich die Messdaten des hydraulischen Drucks in Kombination mit Machine Learning das separate Wiegen einer Mülltonne ersparen. Mit dem LernSmart-Projekt will das KIT Unternehmen bei der Umsetzung von KI-Szenarien helfen. Dabei wird für konkrete Anwendungsfälle prognostiziert, wie viele Daten für die KI-Algorithmen benötigt werden – reichen Datenaufzeichnungen von wenigen Stunden oder müssen beispielsweise erst monatelang Sensorinformationen erhoben werden? Für die KI-Nutzung in der Breite spielt insbesondere das Transfer Learning eine wichtige Rolle: Wie lassen sich Erkenntnisse von einer Maschine auf eine andere Maschinenversion übertragen?

KIT-Institutsteil Mobile Arbeitsmaschinen: Experten von der Idee bis zur Umsetzung

Das Institutsteil Mobile Arbeitsmaschinen „Mobima“ des KIT ist in seiner Form einmalig in Deutschland und heute als Fachstelle für Fragen aus dem Bereich der mobilen Maschinen international anerkannt. Erklärtes Ziel ist die Forschung an Zukunftskonzepten. Studenten und junge Wissenschaftler sollen für die mobilen Maschinen begeistert und die Industrie von der Idee bis zur Umsetzung wissenschaftlich kompetent begleitet werden.

Erforscht werden fahrzeugtechnische Fragestellungen aus den Bereichen Baumaschinen, Kommunalfahrzeuge, Land- und Forstmaschinen sowie Flurförderfahrzeuge. Im Fokus stehen die Schwerpunkte Steuerungs- und Assistenzsysteme sowie hydraulische, elektrische und hybride Antriebstechnik. Zur Ausstattung gehören eine großzügige Versuchshalle mit Maschinenbetten, zentraler ölhydraulischer Druckversorgung (800l/min, 320bar; In Bau), Stempelhebebühne, spezielle Prüfstände und universelle Einrichtungen. Weiterhin verfügt das Institutsteil über verschiedene mit Messtechnik ausgestattete Maschinen (Teleskoplader, 2 Traktoren, Radlader, Unimog etc.). Für Außenversuche stehen asphaltierte Flächen und gewachsene Böden zur Verfügung. Darüber hinaus verfügt das Institutsteil über einen einzigartigen Allrad-Akustik-Rollenprüfstand für mobile Arbeitsmaschinen. Für theoretische Arbeiten verfügt das Teilinstitut über diverse Simulationsprogramme für Mehrkörpersimulationen (MKS), Hydraulik (konzentrierte Parameter) und steuerungstechnische Fragen.

So nutzt Hawe Hydraulik KI

Hawe Hydraulik sieht viel Potenzial für den Einsatz von KI und selbstoptimierenden Algorithmen, sowohl in der Produktentwicklung als auch in der Wertschöpfungskette – beispielsweise für Datenanalysen zur Mustererkennung oder für die Lösung von Optimierungsproblemen. Der Hydraulikspezialist aus München will die Stärken von KI für seine Kunden greifbar machen, sein Know-how weiter ausbauen und die Technologie in der Breite in den Produktlösungen implementieren. „Dabei werden wir die Funktionssicherheit in allen Einsatzsituationen sicherstellen, ohne die Leistungsfähigkeit der Systeme einzuschränken“, bekräftigt Axel Schwerdtfeger, CTO Hawe Hydraulik SE. Derzeit arbeitet man im Rahmen universitärer Forschungsprojekte zudem an verschiedenen Anwendungen unter Einsatz eigener, intelligenter Ventiltechnik und Pumpenregler. Aus Sensor-Zeitreihendaten könnten Dynamik-Kennwerte eines elektro-hydraulischen Systems identifiziert werden, die ein abstraktes Modell ergeben. Auf dieser Basis lassen sich dann lernende, adaptive Regler entwerfen, die sich an wechselnde Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Verschleiß oder Arbeitszyklen anpassen. So könne eine gleichbleibende, robuste und verlässliche Performance gewährleistet werden. Auch die Optimierung an das Bedienerverhalten oder Ansprüche wie ein möglichst performanter oder ein besonders energieeffizienter Betrieb lassen sich umsetzen, erläutert Schwerdtfeger: „Vorteilhaft ist dabei, dass das Umschalten zwischen Funktionen rein auf Softwareebene und auf Knopfdruck passieren kann – es braucht also weder mechanische Umbauten, noch vor Ort befindliches Fachpersonal, um das Verhalten der Maschine anzupassen.“

KI beschleunigt die Inbetriebnahme

Als weiteres Plus sieht der Hawe-CTO, dass einiges an Komplexität von der mechanisch-physikalischen Welt in die digitale, softwaregestützte Welt übertragen wird. Das vereinfache den hydraulischen Schaltplan und optimiere das Zusammenspiel der einzelnen hydrau­lischen Komponenten. „Der ursprünglich aufwendige Inbetriebnahmeprozess kann softwaregestützt erfolgen und wird mehr und mehr zu einer klar definierten Routine. Nach einem ersten Setup lassen sich hier also langfristig Kosten sparen“, so Schwerdtfeger. Die erfassten Daten und trainierten Modelle eigneten sich darüber hinaus auch gleich für Anwendungen wie Condition Monitoring oder Predictive Maintenance. Wartungen der Hydraulikkomponenten seien damit besser planbar – das reduziere die Stillstandszeiten der kompletten Maschine und wirke sich positiv auf Verfügbarkeit und Kosten aus.

KI-Einsatz bei Bosch Rexroth

Bosch Rexroth CytroBox
Mit CytroConnect Solutions bietet Bosch Rexroth einen einfach implementierbaren IoT-Service für mehr Verfügbarkeit und Produktivität. Die cloudbasierte Lösung ist in drei Ausbaustufen verfügbar. (Bild: Bosch Rexroth)

Aus Sicht von Bosch Rexroth ist eine vernetzte Hydraulik entscheidend dafür, die Produktivität von Maschinen weiter zu steigern. „Sie verknüpft die physikalischen Vorteile der Fluidtechnologie über den gesamten Lebenszyklus mit den nahezu unendlichen Möglichkeiten der Digitalisierung und der Vernetzung im Internet der Dinge“, sagt Steffen Haack, Vorstand für Entwicklung und Leiter des Produktbereichs New Business bei Bosch Rexroth. Dabei setzt der Hersteller auch auf KI und Machine Learning, beispielsweise bei Assistenten, die die Inbetriebnahme beschleunigen und vereinfachen. Ventile mit digitaler Intelligenz identifizieren sich dabei über eine Multi-Ethernet-Schnittstelle oder IO-Link automatisch selbst. „Software-Assistenten für die Erstparametrierung führen auch weniger erfahrene Techniker logisch durch die Inbetriebnahme und schlagen passende Reglerparameter vor“, so Haack. Mit der cloudbasierten KI-Lösung CytroConnect Predict unterstützt Bosch Rexroth zudem die vorausschauende Wartung auf Grundlage selbstlernender Algorithmen. Dafür werden prozesskritische Anlagen zunächst mit geeigneter Sensorik ausgestattet, teilweise lassen sich auch bereits in der Maschine oder Anlage verbaute Sensoren nutzen.

Predictive Maintenance verhindert Ausfälle

Argo Hytos LubCos_H2O+ II
Mit dem Zustandssensor LuBCos H20+|| von Argo-Hytos kann die Alterung des Öls mit einer sehr hohen Genauigkeit bestimmt werden. (Bild: Argo-Hytos)

Die von den Sensoren erfassten Daten fließen mit Informationen zu bestimmten Komponentenzuständen in eine sogenannte Datenakquisitionsbox. Danach werden sie in einem IoT-Gateway vorverarbeitet, verschlüsselt in die Cloud übertragen und dort ausgewertet. Bevor das System jedoch genaue Prognosen abgeben kann, müssen in einer Lernphase geeignete Modelle und Parameter identifiziert und die KI-Modelle mit den über einen bestimmten Zeitraum hinweg erfassten Daten trainiert werden. Schließlich detektiert das System dann Abweichungen im Betrieb. Im Falle von umfangreichen Anomalien wird ein Rexroth-Experte aktiv, führt eine Detailbetrachtung durch und informiert den Anwender. Prädiktive Instandhaltungsmaßnahmen stellen aus Sicht des Anbieters eine maximale Verfügbarkeit sicher und vereinfachen die Lagerhaltung von Ersatzteilen. Darüber hinaus stellt Bosch Rexroth regelmäßige Leistungs- und Nutzungsberichte zur Verfügung, die der Anwendungsoptimierung dienen.
Auch Argo-Hytos setzt bereits seit mehreren Jahren erfolgreich Machine Learning im Zustandssensor LuBCos H20+|| ein. „Durch das spezifische Einlernen des Sensors auf das hydraulische Fluid und die Berücksichtigung aller Maschinenparameter kann die Alterung des Öls mit einer sehr hohen Genauigkeit bestimmt werden“, sagt Christopher Schütz, Sales Manager Condition Monitoring bei Argo-Hytos. Das ermögliche dem Kunden zum einen eine planbare Wartung, zum anderen könnten Veränderungen im Fluid frühzeitig erkannt und so kostenintensive Schäden verhindert werden.

Schwache und starke KI

Bei dem Thema künstlicher Intelligenz wird oft zwischen schwacher und starker KI unterschieden. Die schwache KI beschäftigt sich in der Regel mit konkreten Anwendungsproblemen wie Expertensystemen, Navigationssystemen, Spracherkennung, Zeichenerkennung oder Korrekturvorschlägen bei Suchvorgängen. Dagegen geht es bei der starken KI darum, eine allgemeine Intelligenz zu schaffen, die der des Menschen gleicht oder diese übertrifft und sich folgenden Fähigkeiten äußert: Logisches Denken, Treffen von Entscheidungen, Planen, Lernen und Kommunikation in natürlicher Sprache.

Wem gehören die Daten, wer hat die ­Verantwortung?

Bei Geschäftsmodellen, in denen Maschinenhersteller die Daten aus dem Betrieb ihrer Produkte nutzen wollen, stellt sich schnell die Frage, wem eigentlich die Daten gehören. „Werden Maschinendaten der Kunden für die Entwicklung oder Optimierung der KI-Lösung benötigt, sollten sich beide Parteien darüber einig werden, wie und unter welchen Voraussetzungen der Austausch und die Nutzung der Daten erfolgt. Der Mehrwert muss für beide Seiten vorhanden sein“, meint Hartmut Rauen vom VDMA.
Auch der KIT-Experte sieht diese Herausforderung als weniger kritisch an. „Das Thema ist lösbar, denkbar sind zum Beispiel Garantieverlängerungen, wenn der Hersteller auf die Daten zugreifen darf. Das wäre für viele Kunden ein wichtiger Mehrwert.“ Bisher drehen sich die meisten KI-Szenarien um sogenannte schwache KI. Das System wird offline mit Daten trainiert und es reagiert mit den erhobenen Messwerten in bestimmter Weise, ähnlich wie eine Steuerung.
Deutlich komplexer, auch in puncto Haftung, wird es bei starker KI, also während des Einsatzes von weiter lernenden Systemen. „Wenn sich Systeme online weiterentwickeln, vielleicht zusätzliche Messdaten nutzen und sich auf unbekannte Situationen neu einstellen, stellt sich vor allem die Frage nach der Verantwortung“, stellt Marcus Geimer fest. Hier wird es zudem für Konstrukteure schwierig, denn es ist unklar, welche Daten die KI bekommt und was sie daraus lernt. Doch auch mit ‚schwacher‘ KI lässt sich bereits sehr viel erreichen, ist sich der Experte sicher.

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