
Lennart Lechtenberg, Key Account Manager, Dellner Wind Solutions. (Bild: Sonderleittner)
Herr Lechtenberg, schön, dass wir uns auf der Messe treffen. Stellen Sie uns Dellner Wind Solutions kurz vor?
Lennart Lechtenberg: Sehr gerne. Dellner Wind Solutions ist die neu geformte Business Unit für die Windindustrie unseres schwedischen Mutterkonzerns Dellner Group. In den letzten sechs bis sieben Jahren hat unsere Muttergesellschaft gezielt Unternehmen akquiriert, die im Bereich Windkraft aktiv sind – von Hydraulik über Bremsen bis hin zu Engineering-Dienstleistungen. Wir sind weltweit aufgestellt mit Produktionsstätten und Engineeringcentern unter anderem in Dänemark, Spanien, Tschechien, Indien, China und den USA. Ich selbst bin an unserm Standort in Dorsten tätig - hier entwickeln und produzieren wir Bremsen und Rotorlocks für Windenergieanlagen.
In Windkraftanlagen kommt Hydraulik an vielen Stellen zum Einsatz. Was sind die wichtigsten Anwendungen?
Lechtenberg: Die zentrale Anwendung ist die hydraulische Blattverstellung, das sogenannte Hydro-Pitch-System. Hier sorgen große Hydraulikzylinder dafür, dass sich die Rotorblätter je nach Windstärke drehen – also ‚pitchen‘. Bei starkem Wind werden sie aus dem Wind herausgenommen, um die Anlage zu schützen. Diese Zylinder setzen enorme Kräfte frei: Sie drehen die tonnenschweren Blätter in den Wälzlagern, die die Nabe mit der Hauptwelle verbinden. Ohne diese präzise, reaktionsschnelle Bewegung wäre die Regelung des Energieertrags gar nicht möglich.
Auf einen Blick
- Hydro-Pitch-System – Hydraulisches System zur Verstellung der Rotorblätter je nach Windstärke.
- Powerpack – Kompaktes Hydraulikaggregat mit Tank, Pumpen, Ventilen und Druckspeichern.
- Akkumulator – Druckspeicher, meist mit Stickstoff gefüllt, der hydraulische Energie zwischenspeichert.
- Rotorbremse – Bremse am Getriebe, die die Anlage nach aerodynamischem Abbremsen stillsetzt.
- Rotorlock – Mechanische oder hydraulische Verriegelung des Rotors für sichere Wartungsarbeiten.
- Azimutbremse – Bremse, die die Gondel in der richtigen Windrichtung fixiert.
- Yaw-Antrieb (Azimutantrieb) – Elektromotoren, die die Gondel in die optimale Windrichtung drehen.
- Drehdurchführung – Rotierendes Verbindungselement, das Hydrauliköl durch die Rotorwelle leitet.
Sie sprachen vorhin von sogenannten Powerpacks – was verbirgt sich dahinter?
Lechtenberg: Powerpacks sind im Grunde das Herzstück des hydraulischen Systems. Es handelt sich um große Hydraulikaggregate, die Öl speichern, Druck aufbauen und an die Verbraucher – also etwa die Pitch-Zylinder – weitergeben. Bei den größten Anlagen, die wir heute ausrüsten, mit 15 Megawatt und mehr, sind diese Aggregate so groß wie ein Pkw. Sie enthalten mehrere Hundert Liter Hydrauliköl, leistungsstarke Pumpen, Motoren und stickstoffvorgefüllte Druckspeicher (Akkumulatoren). Diese speichern Energie, um schnelle Bewegungen oder Druckspitzen abzufangen.
Neben der Blattverstellung spielt auch die Bremsentechnik eine zentrale Rolle. Welche Systeme setzen Sie ein?
Lechtenberg: Es gibt da drei Haupttypen: Zunächst die Rotorbremse – sie sitzt am Getriebe und bringt die Anlage nach dem aerodynamischen Abbremsen endgültig zum Stillstand. Anders als bei einem Auto wird die Drehbewegung also nicht abrupt gestoppt, sondern sanft heruntergeregelt. Dann gibt es die Rotorlocks – sie verriegeln den Rotor, damit Servicetechniker gefahrlos in der Nabe arbeiten können. Diese Systeme gibt es mechanisch oder hydraulisch. Und schließlich sind da die Azimutbremsen – sie sichern die Gondel in der richtigen Windrichtung. Wenn sich die Windrichtung ändert, wird der Druck kurz abgesenkt, die Anlage dreht sich in Position, danach wird der Druck wieder erhöht und fixiert die Gondel.
So funktioniert ein Powerpack
Ein Powerpack ist ein in der Gondel montiertes Hydraulikaggregat, das alle Funktionen für die Pitch-Verstellung und Bremssysteme mit Energie versorgt.
Komponenten:
- Tank (mehrere Hundert Liter Öl)
- Elektromotoren mit Pumpen
- Ventilblöcke und Filter
- Akkumulatoren als Druckspeicher
- Sensorik für Druck, Temperatur und Füllstand
Die Einheiten liefern typischerweise Drücke von bis zu 300 bar. Über Drehdurchführungen wird das Öl durch die Rotorwelle zu den Pitch-Zylindern geführt. Ventilverteiler steuern präzise, welches Blatt wann bewegt wird – für maximale Effizienz und Sicherheit.
Das klingt nach viel Koordination zwischen Hydraulik und Elektronik?
Lechtenberg: Absolut. In der Windkraft haben Sie immer ein Zusammenspiel aus hydraulischen, elektrischen und mechanischen Komponenten. Die Kunst besteht darin, sie perfekt aufeinander abzustimmen.
Die Branche diskutiert seit Jahren, ob Hydraulik oder Elektrik die bessere Lösung ist. Wie sehen Sie das?
Lechtenberg: Es gibt da tatsächlich zwei Philosophien. Einige Hersteller setzen stark auf elektrische Systeme – mit Motoren, die direkt an den Blättern oder an der Azimutverstellung sitzen. Andere, und dazu zählen viele große OEMs, schwören weiterhin auf die Hydraulik. Hydraulische Systeme sind kompakter, erreichen höhere Leistungsdichten und sind in rauen Umgebungen äußerst robust. Elektrische Systeme bringen dagegen mehr Bauteile und Gewicht mit sich. Die Hydraulik bleibt eine etablierte, effiziente Technik – besonders, wenn hohe Kräfte auf engem Raum gefragt sind. Natürlich haben aber beide Lösungen ihre Daseinsberechtigung. Manche Anlagenhersteller wollen Leckagerisiken minimieren und vermeiden Hydraulik, soweit möglich. Andere sehen sie als bewährte Standardtechnologie – gerade bei sehr großen Turbinen.
Kritiker hydraulischer Systeme führen häufig Leckagen als Nachteil an. Wie begegnen Sie diesem Argument?
Lechtenberg: Natürlich gibt es Verschleißstellen – vor allem an den Kolbenstangen der Zylinder oder an Dichtungen. Aber das ist beherrschbar. Wir sprechen von Wartungsintervallen von fünf bis sechs Jahren. Schläuche müssen etwa alle fünf Jahre getauscht werden; Festverrohrungen sind deutlich langlebiger. Leckagen sind meiner Meinung nach heute kein ernstes Problem mehr, sondern ein Wartungsthema. Entscheidend ist, dass Servicekonzepte und Ersatzteilstrategien durchdacht sind. Dann bleibt die Hydraulik dauerhaft zuverlässig – und ökologisch unbedenklich.
Wie entwickelt sich der Markt für Windkraftkomponenten derzeit?
Lechtenberg: Die Nachfrage wächst – keine Frage. Aber die Branche steht auch unter enormem Kostendruck. OEMs geben diesen Druck an ihre Zulieferer weiter. Gleichzeitig drängen asiatische Wettbewerber mit großer Produktionskapazität auf den europäischen Markt. Das zwingt uns, in allen Bereichen effizienter zu werden: von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zum Sourcing.
Windkraft ist auch immer wieder Gegenstand von politischen Verhandlungen. Wie sieht es aktuell mit der politischen Rückendeckung aus?
Lechtenberg: Deutschland ist zwar ein wichtiger Markt, macht aber andererseits nur fünf bis zehn Prozent des Weltmarkts aus. Entscheidend ist, wie Europa insgesamt reagiert – vor allem auf chinesische Dumpingpreise. Wichtig ist, dass wir erkennen: Erneuerbare Energien sind nicht nur Klimaschutz, sie sind auch ein strategisches Instrument für Energieunabhängigkeit. Das ist ein geopolitischer Faktor, den man nicht unterschätzen darf.
Wie sehen Sie die Zukunft der Hydraulik in der Windkraft?
Lechtenberg: Ich bin davon überzeugt, dass sie ihren Platz behält. Vielleicht werden elektrische Systeme in bestimmten Segmenten zunehmen – aber dort, wo hohe Kräfte, kompakte Bauformen und Zuverlässigkeit gefragt sind, wird die Hydraulik unverzichtbar bleiben. Wir entwickeln unsere Produkte kontinuierlich weiter – mit Blick auf Effizienz, Nachhaltigkeit und Integration in digitale Steuerungssysteme. Die Zukunft der Windkraft ist hybrid – elektrisch, hydraulisch, intelligent vernetzt.
Die Fragen stellte Ragna Sonderleittner
FAQ – Hydraulik in der Windkraft: Fragen und Antworten
Was sind die Hauptanwendungen von Hydraulik in Windenergieanlagen?
Die wichtigsten Anwendungen sind die hydraulische Blattverstellung (Pitch-System), Rotorbremsen, Rotorlocks und Azimutbremsen. Diese Systeme sorgen für Sicherheit, Energieeffizienz und präzise Steuerung der Anlage.
Warum wird trotz Elektrifizierung noch auf Hydraulik gesetzt?
Hydrauliksysteme bieten hohe Leistungsdichte, kompakte Bauform und extreme Robustheit – ideal für die harschen Bedingungen und hohen Kräfte in Windkraftanlagen. Elektrische Systeme sind oft schwerer und komplexer im Aufbau.
Welche Vorteile bieten hydraulische Systeme gegenüber elektrischen?
Hydrauliksysteme sind in der Regel platzsparender, benötigen weniger Bauteile für hohe Kraftübertragung und sind langlebiger in rauer Umgebung. Sie ermöglichen außerdem schnelle Reaktionszeiten und hohe Betriebssicherheit.
Wie wird mit Leckagen bei Hydrauliksystemen umgegangen?
Leckagen sind heute vor allem ein Wartungsthema. Durch regelmäßige Inspektionen, rechtzeitigen Austausch von Verschleißteilen und durchdachte Servicekonzepte lassen sich Risiken minimieren und die Umweltbelastung reduzieren.
Welche Herausforderungen sieht Dellner Wind Solutions auf dem Markt?
Die Branche steht unter enormem Kostendruck, vor allem durch asiatische Anbieter mit hohen Produktionskapazitäten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, setzt Dellner auf Effizienzsteigerung und strategische Weiterentwicklung seiner Hydrauliksysteme.
Wie sieht die Zukunft der Hydraulik in der Windkraft aus?
Die Hydraulik wird weiterhin eine zentrale Rolle spielen – besonders in Großanlagen. Die Zukunft liegt in hybriden Systemen, die hydraulische, elektrische und digitale Komponenten intelligent vernetzen.
Welche politischen Rahmenbedingungen beeinflussen den Markt?
Neben nationalen Märkten wie Deutschland ist die europäische Antwort auf Preisdumping entscheidend. Windkraft wird zunehmend als geopolitisches Mittel zur Energieunabhängigkeit verstanden – mit Auswirkungen auf Förderung und Marktstruktur.
