Gartenschlauch mit Leckage

Meist ist Leckage das erste, äußere Kennzeichen für ein Dichtungsproblem. (Bild: Alexander-stock­adobe.com)

Es gibt viele Ursachen für besonders strapazierte Dichtungen. Klaus Wagner, Bereichsleiter Forschung und Innovation der Herbert Hänchen GmbH, spricht Oszillationen als einen von vielen Belastungsfaktoren an. Das könnten unter anderem sehr kleine Bewegungen von weniger als einem Millimeter Länge sein, wohingegen die Dichtung selbst deutlich breiter als vier Millimeter sei. Dieses Missverhältnis führe dazu, dass die Dichtung nicht richtig ausfährt und der zwischen Dichtkante und Kolbenstange befindliche Schmierfilm unterbrochen wird.

Faktor Mensch

Und dann hat der ‚Faktor Mensch‘ immer wieder seine Hände im Spiel. Dazu Tino Köplin vom Instandhalter Vogel & Partner aus Berlin: „In aller Regel werden Dichtungen durch unsachgemäßes Verwenden des Zylinders wie nicht zentriertes Ausfahren beschädigt.“, beschreibt der Betriebsleiter seine Erfahrungen. Hinzu kämen Verunreinigungen, die der Abstreifer nicht beseitigen könne und die dann zu Abrieb an der Zylinderstange und beschädigten Dichtungen führten. Zudem stünden Alterungsprozesse und ‚Klassiker‘ wie falsch gewählte Fluide – Bio-Öle in Kombination mit Dichtungen aus NBR – auf der ‚Pannen-Hitliste‘ des erfahrenen Betriebsleiters. Mit diesen gravierenden Belastungen und der damit verbundenen Frage nach der Lebensdauer von Dichtungen setzen sich Konstrukteure wie Thomas Braun, Marketing Manager und Leiter der Abteilung Anwendungstechnik von Parker Prädifa, täglich auseinander. Seiner Erfahrung nach können Dichtungen länger als die bei Hydraulikzylindern angenommenen 8 000-10 000 Arbeitsstunden halten. Produktmanager Michael Becker von SMC Deutschland nennt für kleinere Pneumatikzylinder eine Lebensdauer von 10 Mio Zyklen. Bei Zylindern mit Hüben von bis zu drei Metern Länge könne eine Laufleistung von 3 000 km angenommen werden.

Servoseal-Dichtung von Hänchen
Servoseal-Dichtung von Hänchen: Ein ­integrierter Carbonring verringert den Anpressdruck der Dichtung. (Bild: Hänchen)

Risikoreiche Systemelemente

In der Zuverlässigkeitstechnik, die das Entwickeln möglichst langlebiger Bauteile, Geräte und Systeme zum Ziel hat, gehören Dichtungen zu den risikoreichen Systemelementen der Klasse B. Bedeutet: Durch eine Vielzahl an Einflussfaktoren wie Erschütterungen, Schmutz, Reibung oder extreme Temperaturen, die nicht ausreichend genau erfasst werden können und deren Wechselwirkungen ist die Lebensdauer von Teilen dieser Kategorie nicht oder nur ungenügend zu berechnen.

Innovativ gegen ‚Dichtungs-Killer‘

Klaus Wagner von der Herbert Hänchen GmbH nennt zwei treffende Beispiele für entsprechende Innovationen: Mit dem selbst entwickelten Dichtungstyp ‚Servoseal‘, bei dem durch einen integrierten Rückhaltering aus Carbon der Anpressdruck der Dichtung reduziert wird, könne die Reibung und der Verschleiß auf fast null gesenkt werden. Standard sind bei Hänchen die gehonten Ober­flächen der Zylinder. Deren Laufflächen werden mit einem Kreuzschliff versehen. Diese Oberflächenstruktur sorgt für bessere Lauf­eigenschaften und Verteilung der Schmierstoffe sowie geringeren Verschleiß von Stangen und Dichtungen.

Sealscanner aus dem Gerätepark des Instituts für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart
Mit dem Messgerät ‚Sealscanner‘ aus dem Gerätepark des Instituts für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart lassen sich Dichtungsgeometrie und -verschleiß schnell und hochpräzise messen. (Bild: IMA, Universität Stuttgart)

Engineering Information Sheet (EIS) erleichtert die Auswahl der Komponente

Damit Konstrukteure angesichts der riesigen Materialauswahl und vielen Parameter für den richtigen Einsatz von Zylindern und Dichtungen die Orientierung behalten, bietet Freudenberg mit dem Engineering Information Sheet (EIS) eine gut strukturierte Auswahlmatrix an, mit dem der Kunde zur passenden Lösung findet. Generell legt der Freudenberg-Mann Norbert Frank den Anlagenkonstrukteuren ans Herz, Dichtungshersteller mit deren Know-how so früh wie möglich ins Boot zu holen.
Der modulare Baukasten für Dicht-Abstreifelemente in Pneumatikzylindern von Parker-Prädifa will die anwendungsorientierte Auswahl von Dichtungen unterstützen. Dazu Marketing Manager Thomas Braun: „Mit diesem Konzept wollen wir zudem den Einsatz ein und desselben Zylinders in unterschiedlichen Einsatzbereichen ermöglichen.“ So käme beispielsweise der Dichtabstreifer ‚E8‘ bei rauen Bedingungen zum Einsatz und würde gegen die Version ‚EN‘ getauscht, wenn der Zylinder in hygienisch sensiblen Bereichen eingesetzt würde. Die Dichtelemente sind in Design und Werkstoff auf die jeweilige Anwendung abgestimmt.

Querschnitt eines Minibagger-Zylinders
Der Querschnitt eines Minibagger-Zylinders zeigt, wieviele unterschiedliche Dichtungen die zuverlässige Funktion des Linearantriebes absichern. (Bild: Parker-Prädifa)

Mehr Wissen ist alles

Lothar Hörl vom IMA-Institut plädiert dafür, der Dichtungstechnik in der Inge­nieursausbildung einen höheren Stellenwert als bisher beizumessen. Doch da scheint Bewegung im Markt zu sein, wie Norbert Frank, Senior Global Segment Director bei Freudenberg feststellt.
Dichtungen hätten bei den Kunden eine höhere Wertschätzung erlangt, weil immer mehr verstanden werde, wie wichtig perfekt ausgewählte, qualitativ hochwertige Dichtungen für die dauerhaft zuverlässige Funktion der gesamten Anlage seien.

Dichtungen 4.0

Aufhorchen lassen die Freudenberg-Forschungen an intelligenten Dichtungen, die ihren Verschleißzustand anzeigen. In Verknüpfung mit Systemdaten könne so eine Voraussage getroffen werden, wann die Dichtung gewechselt werden müsse. Interessant ist in dem Zusammenhang ein Projekt der Herbert Hänchen GmbH, die an einem sensorgestützten 4.0-System für die vorausschauende Wartung arbeitet. Über ein Ampelsystem soll der Anwender Hinweise darauf erhalten, in welchem Arbeitsstatus sich der Hydraulikzylinder befindet und wann der Wechsel von Dichtungen geboten sei, erklärt Klaus Wagner. Exakte Wartungsintervalle schreibt SMC laut Michael Becker für seine Pneumatikzylinder nicht vor, da die Schmierung erfahrungsgemäß ein Leben lang halte. Angesichts drastisch steigender Vorleistungskosten werde ein waches Auge für die Wartung immer wichtiger, rundet Instandhaltungsleiter Tino Köplin von Vogel & Partner in Berlin das Thema ab.

Ersatzteile bekommen

Dichtungen
Qual der Wahl: Für nahezu jeden Anwendungsbereich bieten die Hersteller die passenden Dichtungen und beraten bei der Auswahl. (Bild: Parker-Prädifa)

In puncto Ersatzteilmanagement hat Freudenberg viele Dichtungen bis zu 30 Jahre im Programm. Zum Vorteil der Anwender sei auch das Lagerprogramm von Parker Prädifa konstant, so Abteilungsleiter Thomas Braun. SMC bietet Dichtungs-Servicesätze für demontierbare, zum Beispiel geschraubte Zylinder an. Vercrimpte Pneumatikzylinder könnten hingegen nicht zerstörungsfrei demontiert werden, so Michael Becker.
Auch die Zylinderhersteller selbst sind ähnlich lieferfähig. „Bei uns gelangen bisweilen Hydraulikzylinder aus den 1960er-Jahren zur Instandsetzung, deren Dichtungen heute gar nicht mehr hergestellt werden“, berichtet Klaus Wagner von der Herbert Hänchen GmbH. Im Reparaturfall würden in den Zylinder dann Dichtungen modernster Bauart eingesetzt.
Wenn eine Dichtung erst einmal ersetzt werden muß, taucht schnell die Frage nach dem Garantiefall auf. Parker Prädifa etwa gibt auf Dichtungen eine Garantie von 24 Monaten ab Lieferung. Eine zeitliche Verlängerung sei nicht möglich, da die Funktion von Dichtungen von vielen Faktoren wie etwa extreme Verschmutzungen am Einsatzort des Zylinders beeinflusst werde.

Wann soll man Dichtungen austauschen?

Woran kann der Anwender erkennen, dass eine Zylinderdichtung ‚hinüber‘ ist? Dazu Tino Köplin von Vogel & Partner: „Meist ist Leckage das erste, äußere Kennzeichen für ein Dichtungsproblem.“ So führen verunreinigte Hydraulikflüssigkeiten selbst bei Stillstand der Anlage zu mäßiger bis starker Leckage. Ein prüfender Blick ins Zylinderinnere erlaubt Rückschlüsse zur genauen Schadensursache. Beispielsweise deuten klebrige, verharzte Dichtungen auf chemische Reaktionen und harte, rissige und brüchige Dichtungen auf extreme Temperaturen im Zylinder hin. Wann macht es dann Sinn, den kompletten Zylinder statt nur die Dichtungen zu tauschen? Dazu Michael Becker von SMC: „Diesen Zeitpunkt muss jeweils der Kunde selbst bestimmen.“ Entscheidend seien die Zylinder-, die Lohn- und die Ausfallkosten seiner Anlage. Aus diesen Faktoren ergebe sich, wann eine Reparatur oder ein kompletter Austausch wirtschaftlich seien. Grundsätzlich gelte, so Michael Becker, je günstiger der Zylinder sei, umso eher mache ein kompletter Austausch Sinn.

Dichtung der Zukunft aus dem 3D-Drucker?

Für Lothar Hörl vom Stuttgarter IMA-Institut sind statische Dichtungen wie Deckeldichtungen aus dem Drucker vorstellbar. Aber im Reparaturfall müssten dynamische Dichtungen zwingend aus Hochleistungswerkstoffen produziert sein. Dies sei zum jetzigen Zeitpunkt über den Drucker noch nicht realisierbar. Ähnlich äußern sich die Dichtungshersteller. Thomas Braun (Parker): „Dichtungen aus dem 3D-Drucker haben einfach noch nicht die erforderliche Materialgüte wie gepresste oder gespritzte Polymere“. Sie seien jedoch bei der Fertigung von Prototypen eine interessante Alternative. So wie beim Rapid Prototyping von Freudenberg. Hier werden den Kunden über den 3D-Druck realistisch anmutende Dichtungsvarianten vorgestellt und Entscheidungsprozesse unterstützt.
Jedenfalls von der Kostenseite sei der 3D-Druck noch keine Alternative. „Unsere Händler können über CNC-Maschinen vor Ort dringend benötigte Ersatzteile viel schneller herstellen“, berichtet Thomas Braun (Parker). Diese Dichtungen kämen dem zu ersetzenden Original sehr nahe. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet das Freudenberg Xpress-Team und fräst oder dreht dringend benötigten Ersatz an CNC-Maschinen. Ins gleiche Horn stößt Tino Köplin von Vogel & Partner. Dort seien Dichtungen aus dem 3D-Drucker für viele Anwendungsfälle getestet worden. Doch nach aktuellem Stand seien die Rüstzeiten des Druckers noch zu hoch, um die Kunden schnell bedienen zu können. Zudem seien die verfügbaren Materialien noch nicht langzeitgetestet, wenngleich sich hier in den nächsten Jahren etwas ­ändern könne. Klingt so, als seien Zylinderdichtungen aus dem 3D-Drucker noch so etwas wie Zukunftsmusik.

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