Sind Dichtungen das bremsende Element, ja sind sie sogar die Achillesferse der Hydraulik? In welchen Bereichen sind Innovationen zu erwarten? Zu diesem Thema diskutierten in der fluid-Redaktion Experten von Freudenberg Sealing Technologies, Parker Hannifin, SKF Economos sowie der Universität Stuttgart. Die Dichtungen in der Hydraulik haben sich in der Vergangenheit kontinuierlich weiterentwickelt. Wo früher ein O-Ring verbaut war, kamen mit höherem Druck und Pulsation der Stützring, der Polyurethan-O-Ring und dann der Polyurethan-Rechteck-Ring. Doch was erwartet der Markt heute?
Anforderungen an Dichtungen steigen
Gonzalo Barillas, bei Freudenberg zuständig für die Vorausentwicklung von Dichtungen für die Fluidtechnik bei mobilen Maschinen, sieht die Zuverlässigkeit als wichtigste Anforderung an jede Dichtung.
Doch auch die Globalisierung wirke sich auf das Maschinenelement aus: „Da Land- und Baumaschinen heute vielfach geleast werden, weiß man als Hersteller oft nicht, wo die Maschinen landen. Die können genauso gut in Südostasien wie in Nordkanada in Betrieb sein. Die Dichtung muss sowohl Hitze als auch Kälte aushalten. Die Pflege des Hydrauliksystems ist zudem vielerorts schlechter. Man weiß nicht, mit welchem Öl das Hydrauliksystem nachgefüllt wird, oder ob Wartungsintervalle eingehalten werden.“
Sein Kollege Dr. Kristian Müller-Niehuus, bei Freudenberg als Director Engineering Heavy Industry für die stationären Maschinen zuständig, ergänzt: „Ein Trend ist, dass die Erwartung an die Lebensdauer einer Dichtung steigt, und das bei aggressiveren biologisch abbaubaren Medien.“ Steigende Drücke sieht er weniger als Problem, man sei in der Hydraulik seit Jahren an der 400-bar-Druckmauer: „Wir sind vielleicht mal bei 440 bar, aber nicht bei 800 oder 1000. Das haben wir im Griff. Aber wir müssen von -40°C bis 160 °C mit nur einem Werkstoff agieren.“
"Wenn der Kunde zu spät kommt, kann es passieren, dass wir extrem hochwertige Werkstoffe wählen müssen, um die Situation auch dicht zu bekommen."
Dr. Kristian Müller-Niehuus, Freudenberg
Thomas Papatheodorou, Leiter Versuch und Fast Sampling Cell bei Parker Hannifin in der Prädifa Technology Division bringt einen anderen Punkt in die Diskussion: „Nach wie vor wollen die Kunden Kosten reduzieren. Idealerweise sollte die gleiche Dichtung bei gleichem Leistungsvermögen nur noch die Hälfte kosten als vielleicht noch vor zehn Jahren.“ Auch er sieht das Problem, dass Maschinen in Mitteleuropa ausgelegt, dann aber in Kolumbien oder Malaysia eingesetzt würden, wo unter anderem hohe Luftfeuchtigkeiten den Dichtungen zusetzten. Hinzu kommt: „Viele Öle, die in Europa funktionieren, müssen noch lange nicht in Amerika oder Asien funktionieren. Selbst Öle mit der gleichen Bezeichnung haben manchmal andere Zusammensetzungen. Dessen sollte sich der Kunde einfach bewusst sein.“
Thomas Deigner, Geschäftsführer bei SKF Economos, bestätigt, dass zuverlässige Dichtfunktion und Preis wesentliche Punkte seien. Er ergänzt allerdings: „Es geht auch darum, Prozesskosten zu senken, etwa durch automatische Montage oder durch konstruktive Maßnahmen, etwa wenn anstatt drei Dichtungen nur eine verwendet wird. Es geht auch um Einbauraum und Montagemöglichkeit.“
"Es geht darum, Prozesskosten zu senken, durch automatische Montage oder durch konstruktive Maßnahmen, etwa wenn anstatt drei Dichtungen nur eine verwendet wird."
Thomas Deigner, SKF Economos
„Die Gleitringdichtung funktioniert eigentlich sehr gut, wenn sie eingelaufen ist und konstante Betriebsbedingungen hat, so wie es über viele Jahre in jeder Pumpe war“, führt Professor Werner Haas aus. Professor Haas ist Leiter des Bereichs Dichtungstechnik am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart. „Heute werden die Pumpen aber über drehzahlgeregelte Antriebe je nach Leistungsanforderung hoch und runter gefahren, und das macht doch sehr große Schwierigkeiten. Ein anderer Bereich ist Robotik, dort haben wir schnelle, kurze, ruckartige Bewegungen, und das mögen die Dichtstellen überhaupt nicht.“ Die Anwender stellten zwar immer höhere Forderungen, was Drücke, Drehzahlen oder Temperaturen anbelange, auch im Tieftemperaturbereich, aber das Wissen über die Funktion einer Dichtstelle sei relativ gering. „Dort liegen viele Fehler begründet, die heute in der Praxis auftreten“, so der Professor.
Die Zukunft der Dichtungen
Doch ist ein bewährtes Element wie die Dichtung nicht in seiner Entwicklung am Ende? Wo gibt es noch Innovation? Gonzalo Barillas ist optimistisch: „In Zukunft wird das Thema Werkstoffe die maßgebliche Rolle spielen. Die Geometrien haben sicherlich auch einen Effekt, aber Innovation wird hauptsächlich vom Werkstoff ausgehen, der auch stark die Konstruktion der Dichtstelle beeinflusst – je nach dem Material der Gegenlauffläche.“ Weitere Anforderungen an die Dichtungstechnik kommen laut Barillas aus dem regulatorischen Umfeld. „Die Einschränkungen bezüglich Chrom VI in der Hartverchromung, obwohl wir direkt damit nichts zu tun haben, gehen uns natürlich auch viel an“, führt er aus. Denn es sei die Frage, welche Alternativen die Kunden für den verchromten Zylinder wählen. Keramische Schichten etwa seien sehr abrasiv, allerdings gebe es auch dafür Lösungen. Thomas Papatheodorou bestätigt: „Ich sehe das nicht ganz so problematisch, weil wir uns mit der Thematik schon seit circa 20 Jahren beschäftigen. Es wurden bereits unterschiedlichste Beschichtungen getestet.“
"Viele Öle, die in Europa funktionieren, müssen noch lange nicht in Amerika oder Asien funktionieren. Selbst bei gleicher Bezeichnung kann die Zusammensetzung anders sein."
Thomas Papatheodorou, Parker Hannifin
Dr. Kristian Müller-Niehuus meint, dass, wenn Chrom VI wegfällt, zunächst viele unterschiedliche Oberflächen am Markt sein werden, von denen nach zehn Jahren ein, zwei Oberflächen übrig blieben, die kommerziell gut herstellbar seien. „Da werden dann alle anderen folgen: Schmierstoffhersteller, Dichtungshersteller, und gute Systeme entwickeln.“
Um flexibel auf die jeweiligen Anforderungen einzugehen, schlägt Thomas Deigner vor, dass der Kunde sehr früh im Entwicklungsstadium mit dem Dichtungshersteller zusammenarbeitet. „Wir bieten an, dass der Kunde zu uns kommt und seine Bauteile mitbringt. Dann designen wir zusammen Dichtung und Dichtstelle. Das bringt für Kunden viele Erkenntnisse und kann auch oft deutlich Kosten einsparen.“
Ein Punkt, den Dr. Müller-Niehuus genauso sieht: „Aus meiner Sicht hakt es häufig genau daran, dass der Kunde zu spät kommt und für eine vorhandene Einbausituation spontan das reale Teil benötigt. Dann kann es passieren, dass wir wirklich extrem hochwertige Werkstoffe, PEEK zum Beispiel oder FKM, FFKM wählen müssen, um die Situation, die er uns dort anbietet, auch dicht zu bekommen.“