Dichtungstechnik

Hydraulikdichtungen: Dichtungssysteme sichern das Funktionieren eines fluidtechnischen Systems. Hydraulikdichtsysteme müssen harte Bedingungen bei Druck, Temperatur und Medienverträglichkeit aushalten. Mit neuen Werkstoffen können Dichtungen für besondere Einsatzmöglichkeiten angepasst werden. (Bild: Parker Prädifa)

Doch die Trends in der Dichtungstechnik zeigen klar die Herausforderungen, vor denen die Hersteller von hydraulischen und pneumatischen Elementen stehen.

Ingrid Hunger

„Dichtungen sind C-Teile, die
Höchstleistungen im Verborgenen verrichten.“ Ingrid Hunger,
VDMA, Fachverband Fluidtechnik

Dichtungen sind C-Teile, die Höchstleistungen im Verborgenen verrichten“, erläutert Ingrid Hunger, Leiterin des Arbeitskreises Fluiddichtungen im VDMA und Geschäftsführerin von Hunger aus Würzburg anlässlich der Internationalen Dichtungskonferenz, die gemeinsam vom VDMA-Fachverband Fluidtechnik, dem Arbeitskreis Fluiddichtungen und dem Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart durchgeführt wurde.

„Bei kaum einer anderen Veranstaltung wird wissenschaftliche Forschung mit industrieller Anwendung derart vereint“, betont Hunger. Der Blick falle immer häufiger auf das „uninteressanteste Bauteil“, wie man es in der Branche gern formuliert. Die Kunst des Engineerings liege in der Auslegung des richtigen Dichtsystems für den Anwendungsfall. Die Branche muss auf die gesellschaftlichen Trends zu höherer Leistung bei geringerem Preis und niedrigerem Energieverbrauch eingehen.

So müssen Dichtungen die Bedingungen wie höhere Gleitgeschwindigkeiten, Drücke, Temperaturen und aggressivere Schmierstoffe sowie sich verformende Strukturen beherrschen und dabei möglichst mit höherer Dichtgüte und größerer Zuverlässigkeit glänzen. Drei Arbeitskreise im VDMA geben Unternehmen die Möglichkeit, sich gezielt einzubringen.

Leckagen verschlechtern die Energiebilanz. Wenn es Dichtungen zu kalt wird, weil beispielsweise mobile Maschinen im Außenbereich tiefen Temperaturen ausgesetzt sind, dann leidet ihre Funktionsfähigkeit. Den Einsatz von thermoplastischen Polyurethanen (TPU) bei besonders tiefen Temperaturen hat Dr. Uwe Wallner, ElringKlinger Kunststofftechnik, Bietigheim-Bissingen, zusammen mit dem Sachverständigen und Spezialisten für FEM-Analyse Manfred Achenbach analysiert.

Diese Studien auf der Suche nach einer bisher am Markt nicht vorhandenen Eigenschaft entstammen der Zeit bei Parker Hannifin, dem früheren Arbeitgeber beider. Sie zeigen die Bemühungen mithilfe von Simulationsberechnungen, die Tieftemperaturgrenze normaler Werkstoffe durch den Einsatz einer Metallfeder nach unten zu verschieben.

Eigenschaften bei Tieftemperaturen

Kolbendichtung

Reibungsoptimierte Kolbendichtungen führen zu einem höheren Grad von Energieeffizienz. Der daraus resultierende bessere Wirkungsgrad hydraulischer Systeme hilft bei der Energieeinsparung. Bild: Parker Prädifa

Dafür wird der sogenannte Glasübergangsbereich beispielsweise von TPU als Merkmal benutzt – die Temperatur, unter der sich das thermoplastische Elastomer nicht mehr aus eigener Kraft zurückstellt. Mit dem Einsatz einer Metallfeder lassen sich allerdings nur wenige Kelvin Unterschied erzielen – dies steht in keinem Verhältnis zum Nachteil einer erhöhten Reibkraft. Als Ausweg bleibt die chemische Modifikation, die zum besseren Dichtheitsverhalten eines Tieftemperaturwerkstoffs führt, erläutert Wallner.

Einblick in die Forschung

An den kritischen Stellen technischer Systeme sitzen moderne Dichtsysteme. Sie leisten einen Beitrag zu Funktion, Sicherheit und Umweltschutz. Gefordert wird von ihnen „eine höhere Leistungsfähigkeit, ein kleinerer Bauraum und eine steigende Energieeffizienz“, berichtete Prof. Werner Haas vom Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart.

Als „einzigartig“ bezeichnet er den Umfang und die breite Palette der Forschungsarbeiten am Kompetenzzentrum für Abdichtungen im Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeugbau. Hätten früher die Fluiddichtungen das Konferenzpodium während der Dichtungstagung für sich gepachtet, so erstreckten sich inzwischen die Berichte von Hochleistungs-Gleitringdichtungen über hydraulische und pneumatische Systeme bis hin zu drucklosen Wellendichtungen.

Simulation liefert neue Ansätze

Prof. Haas

„Wir müssen mehr Wissen über Dichtungstechnik an die CAD-Bildschirme bringen.“ Prof. Werner Haas,
Institut für Maschinenelemente. Bild: IMA

„Wir müssen mehr Wissen über Dichtungstechnik an die CAD-Bildschirme bringen“, fordert der Experte, der seit 35 Jahren in der Dichtungsforschung tätig ist, „denn bei den Nutzern herrscht oft ein eklatanter Mangel an Kenntnissen.“ Die Gefahr wachse, dass mangelnder Nachwuchs diese Wissenslücken erheblich verstärke.

Da es sich bei jedem Entwurf eines Dichtsystems um einen Kompromiss widerstreitender Vorgaben handelt, könnten bei der Entwicklung Werkzeuge eingebunden werden, die aus der Simulation bekannt sind. Herbert Baaser von Freudenberg New Technologies, Weinheim, zum Beispiel hat durch eine Studie nachgewiesen, dass Simulation hilft, bestehendes Design von Dichtsystemen zu verbessern, insbesondere im Hinblick auf den Materialeinsatz.

Das Wissen über die Verhaltensweise von Dichtungen im Grenzfall steigt: Der Einsatz modernster Computer-Berechnungswerkzeuge sei zu einem wichtigen Bestandteil der Entwicklungsarbeit geworden, wie sich in vielen Konferenzbeiträgen zeigt.

Schmierstoffversorgung von zentraler Bedeutung

Die bisher unbekannten Mechanismen im Kontakt zwischen Dichtung und Fett hat Max Sommer vom IMA untersucht mit der Frage: Was passiert im Dichtspalt von Radialwellendichtungen? Die Ergebnisse zeigen, dass die Schmierstoffversorgung des Dichtspalts von zentraler Bedeutung ist, und liefern einen neuen Ansatz zur Simulation fettabdichtender Systeme. Den Einfluss von hydrodynamisch wirksamen Mikrostrukturen demonstriert Stephan Neumann vom Institut für Maschinenelemente und Maschinengestaltung IME der RWTH Aachen. Sein Simulationsmodell ermöglicht es, die Gleitflächen von Laufwerkdichtungen zu optimieren.

Industrie 4.0 ist noch Neuland für Dichtungen

Abstreifer

Abstreifer: Durch eine aufeinander abgestimmte Geometrie werden günstige Reibungswerte erreicht. Dies erhöht die Betriebsdauer. Bild: Parker Prädifa

Selbst für unscheinbare Bauteile wie eine Dichtung ist das Stichwort Industrie 4.0 kein Fremdwort mehr, „es ist eine kleine Nische, allerdings trifft es die Masse nicht“, betont Thomas Braun Marketing- und Engineering-Manager bei Parker Prädifa im Vorfeld der Hannover Messe. Denn die eigentliche Vernetzung des Dichtelements gibt es nicht, aber die vierte industrielle Revolution „fußt ja auf zuverlässigen Elementen, die funktionieren müssen – und da ist die Dichtung eine grundlegende Voraussetzung.“

Ansätze zeigten sich bereits mit dem Condition Monitoring: Vorbeugende Wartung in oder neben der Dichtung wird immer stärker genutzt, speziell auch als Integration in die Dichtung. Und einen großen Schritt in Richtung Industrie 4.0 macht neben der funktionellen Überwachung die Identifikation, beispielsweise per RFID-Chip. Da jedoch der Aufwand hoch ist, lässt bisher nur selten eine Anwendung die Mehrkosten als gerechtfertigt erscheinen.

Kunden haben sehr unterschiedliche Anforderungen. Dichtungen müssen entweder eine mechanische oder thermische Belastung aushalten. Aus mechanischer Sicht gilt es vor allem, der Steigerung bei Systemdruck oder Verfahrgeschwindigkeit zu widerstehen.

Die thermische Belastung führt in zwei Richtungen: Der Dichtkörper wird zunehmend an die Grenzen sowohl im hohen wie im tiefen Temperaturbereich getrieben. Dabei muss er auch mit einer steigenden Energiedichte fertig werden. Forschungen untersuchen auch die chemische Beständigkeit der Dichtungen gegen Betriebsmedien. Hier werden Füllstoffe und Additive oft an regionale Bedingungen angepasst.

Auflagen für die Nutzfahrzeugbranche

Große Erwartungen hat die Nutzfahrzeugbranche an die Dichtungstechnikhersteller. Die riesigen Maschinen kämpfen mit kleinen Blättern Papier: Umweltgesetze schränken Möglichkeiten beispielsweise beim Rußpartikelfilter oder den Ölen ein. „Bei den mobilen Maschinen gibt es zwei große Themen“, resümiert Braun, „die Betriebsmedien und die Umweltauflagen.“

Thomas Braun

„Hydraulikmotoren in Verbindung mit elektrischen Antrieben lassen neue Kraftzentren entstehen, die hohe Anforderungen an die Dichtungstechnik stellen.“ Thomas Braun, Parker Prädifa. Bild: Parker Prädifa

Seit zwei Jahrzehnten versucht sich die Hydraulikbranche vom Mineralöl zu lösen und stattdessen Nativ-Ester einzusetzen, die auch deutlich umweltfreundlicher sind. „Das gelingt immer besser“, weiß der Spezialist von Parker, aber die Dominanz des Mineralöleinsatzes sei immer noch hoch. Eindeutig sind die Umwelt-auflagen bei der Beschichtung der Kolbenstangen mit Chrom-VI. Diese muss substituiert werden, keine leichte Aufgabe „bei dem tribologischen Zusammenspiel zwischen Dichtkörper, Fluid und Stangenoberfläche.“

Standzeiten und Wartungsintervalle sollen verlängert werden. Gleichzeitig soll ein Einsatz der Dichtungen in immer größere wie immer kleinere Maschinen ermöglicht werden, um sie auf ihrem Eroberungszug rund um die Welt zu unterstützen.

„Viele Erdbeweger suchen Produktionsstandorte in Low-Cost-Ländern“, berichtet Braun über die Fertigungsverlagerung nach Asien. Dann müssten die Dichtungshersteller mit ihren Produktionsstandorten folgen. Vor Ort stoßen sie auf namhafte Konkurrenzunternehmen, die ihre Fühler auch schon nach Europa ausstrecken. So sei viel Bewegung im Markt, die als Treiber für Innovationen auch auf die Antriebstechnik wirkt.

Hybrid fährt vor

Bei den mobilen Maschinen und den Transportfahrzeugen erwartet Parker-Mitarbeiter Braun „viel Bewegung“. Hydraulikmotoren in Verbindung mit elektrischen Antrieben lassen neue Kraftzentren entstehen, die wiederum „hohe Anforderungen an die Dichtungstechnik stellen“, so Braun. Diese Qualitätsansprüche, auch in Asien, sind vor allem durch die Technologie und Innovation in Europa und Nordamerika abgedeckt.

Rückblickend ist alle zwei bis drei Jahrzehnte ein großer Sprung bei der Entwicklung der Dichtungswerkstoffe zu erkennen. So kamen zuerst die Gummi-Elastomere zum Einsatz, dann die thermoplastischen Polyurethane. Aktuell werden Hochleistungskunststoffe verwendet.

Die Werkstoffkompetenz steht im Mittelpunkt des MDA-Messeauftritts der Parker Engineered Materials Group vom 13. bis 17. April in Hannover. Highlight ist die Weltpremiere einer neuen Werkstofffamilie mit herausragenden Leistungsmerkmalen (Halle 20, C 48). Das neue Material kann zum Beispiel als Dichtelement, Führungselement, Anti-Extrusionselement und Konstruktionswerkstoff für vielfältige Bauteile verwendet werden. Besonders prädestiniert ist es für anspruchsvolle Anforderungen in der Hydraulik. fa

Autor: Georg Dlugosch, freier Autor für fluid

Dichtungen im Fokus

SKF-Seal-Jet-Technologie

Spanende Fertigungsverfahren wie die SKF-Seal-Jet-Technologie liefern gestochen scharfe Dichtkanten. Sie eignen sich für die meisten dichtungstechnischen Werkstoffe. Bild: SKF Economos

Eine runde Sache

Der Umsatz der im VDMA organisierten Hersteller von Dichtungstechnik ist 2013 um 4 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro gestiegen. Zu Fluiddichtungen zählen Hydraulik- und Pneumatikdichtungen, O-Ringe sowie Wellendichtungen.

Bei Dichtungsplatten sind Faser-, Grafit- und PTFE-Platten versammelt. Unter Gleitringdichtungen versteht man Rührwerks-, Profilring- und Balgdichtungen.

 

 

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