Die deutsche Schiffsbauindustrie erlebt derzeit keine glatte See, aber auch keine ganz stürmische. „Die Lage stellt sich widersprüchlich dar“, berichtet Dr. Jörg Mutschler, Geschäftsführer Nord und Marine Equipment and Systems, VDMA. Zum einen sind die Frachtraten in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen, laut World Container Index teilweise bis zum Sechsfachen. Frachtraum ist gefragter denn je, aber nicht in ausreichender Menge vorhanden. Die Infrastruktur der Containerschifffahrt kann mit der Nachfrage kaum mehr Schritt halten. Vor einigen großen Häfen bilden sich lange Staus. Die Passagierschiff-Branche dagegen kämpft mit pandemiebedingten Einschränkungen. So kommt es, dass zum einen Transportschiffe in großem Umfang nachgefragt und gebaut werden. „Durch die gestiegenen Frachtraten haben die Reeder genug Geld für Investitionen. Nur: Freie Bauplätze sind kaum zu finden. Die Werften weltweit sind gut ausgelastet“, sagt Dr. Mutschler. Und auf der anderen Seite müssen Werften im Passagierschiff-Sektor schließen, große Schiffsbauvorhaben werden zurückgezogen. Die Bremer Lloyd Werft meldete Insolvenz an, ebenso die MV-Werften, Teil der Genting-Gruppe. Das 1,5 Mrd Euro teure Kreuzfahrtschiff ‚Global Dream‘ steht seit Monaten halbfertig herum.
Kreuzfahrtbranche verunsichert
„Früher konnten die Werften mit Aufträgen über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren Vorlauf planen, jetzt zögern viele Reeder und schieben ihre Aufträge weiter in die Zukunft“, so Dr. Mutschler. Das Räderwerk zwischen Transport- und Warenströmen, Schiffbau und Zulieferindustrie, Reedern und Betreibern läuft nicht mehr so, wie die Beteiligten es gewohnt sind. „Es ist aber auch eine spannende Zeit“, meint Mutschler. Eine Zeit, in der viel Neues entsteht: Den Bau von Containerschiffen haben seit Jahren die Asiaten in fester Hand, doch mit der Verknappung der Frachtkapazitäten sind auch die Preise der Werften gestiegen: „Produktionstechnisch konnten deutsche Werften mit den niedrigen Kosten asiatischer Werften nicht mithalten. Doch mit der Explosion der Frachtkosten lohnt sich der Bau kleinerer Containerschiffe plötzlich auch an dem Hightech-Standort Deutschland“, so Mutschler. So plant beispielsweise die Flensburger Schiffsbaugesellschaft den Bau kleinerer Containerschiffe.
Koexistenz: Hydraulik und Elektrik
Auch in Bezug auf die Elektrifizierung von Anwendungsbereichen, die bislang hydraulisch dominiert waren, gibt es interessante Neuentwicklungen. So verfügten bislang vor allem größere Schiffe über hydraulisch angetriebene Stabilisatoren. Die beweglichen Flossen sind am Schiffsrumpf angebracht und können bei stärkerem Seegang die Rollbewegung des Schiffs ausgleichen. Der schwedische Konzern SKF hat neben hydraulischen Stabilisierungssystemen nun auch elektrische im Portfolio. „Wir bei SKF Marine sehen in der Elektrifizierung großes Potenzial und treiben dieses Geschäftsfeld entsprechend voran“, berichtet Mathias Rusch, Geschäftsführer SKF Marine GmbH, Hamburg. Die Gefahr einer Verdrängung sieht er nicht. „Je nach Einsatzbereich haben hydraulische oder elektrische Stabilisierungssysteme ihre Vorteile. Für große Schiffstypen mit teilweise schwenkbaren Stabilisatoren besteht weiter ein Bedarf für hydraulische Systeme. Sie bleiben also im Markt.“ Da aber zunehmend auch kleinere Schiffstypen und Yachten mit Stabilisatoren ausgestattet werden, lohnt sich die Entwicklung elektrischer Systeme. „Ihr großer Pluspunkt ist die Umweltverträglichkeit. Sie brauchen kein Hydrauliköl und insgesamt weniger Energie, erzeugen weniger Lärm und sparen Platz, weil sich das Gesamtsystem flexibel an Bord verteilen lässt“, sagt Rusch. Er geht davon aus, dass auf absehbare Zeit beide Systeme – die hydraulischen und die elektrischen Stabilisatoren – nebeneinander existieren werden.
Batterien, Brennstoffzellen und emissionsarme Kraftstoffe
Auch die Energieversorgungssysteme auf See erleben eine Hybridisierung – Vorreiter in deren Erprobung ist die Meyer Werft. Dort entsteht derzeit die Silver Nova, ein kleineres Kreuzfahrtschiff, das LNG-Motoren, ein Brennstoffzellensystem für den Hotelbetrieb sowie Batterien nutzt. Das 4 MW starke Brennstoffzellensystem wird ergänzend zu den LNG-Maschinen als erste große Installation dieser Art in der Kreuzfahrtbranche für die Stromversorgung des Schiffes eingesetzt und den gesamten Hotelbetrieb versorgen. So werden Schadstoffemissionen während der Liegezeiten im Hafen vermieden. Zusätzlich erhöht ein Batteriesystem durch das Abfangen von Lastspitzen die gesamte Effizienz des Schiffes und reduziert den Treibstoffverbrauch. Ein neu entwickeltes Micro-Auto-Gasification-System (MAGS) reduziert das Abfallvolumen an Bord, was zu nochmals geringeren Verbrennungsemissionen führt.
„Ein weiteres Schiff für Ocean Residences ist in Planung und auch an Bord der AIDAnova werden wir bereits 2022 Brennstoffzellen in kleinerem Rahmen nachrüsten. Zudem arbeitet unser Ingenieurbüro Meyer Neptun Engineering mit dem LIKAT in Rostock bereits an einer Power-to-Liquid-Lösung für die Schifffahrt“, ergänzt Pressereferent Florian Feimann. Laut Feimann ist die Kreuzfahrtbranche prädestiniert für ihre Rolle als Vorreiter in Dingen Nachhaltigkeit. „Die Passagiere schlafen bildlich ausgedrückt neben dem Schornstein. Emissionen und Vibrationen sind da extrem störend. Wer eine Kreuzfahrt bucht, will mit einem guten Gefühl an Bord gehen.
Übergangslösung LNG
LNG gilt derzeit als Zwischenlösung. Was danach kommt, ist ungewiss. „Es gibt keinen Königsweg“, meint Dr. Mutschler und wägt die Vor- und Nachteile der einzelnen Brennstoffe ab: Wasserstoff hat den Nachteil, dass auf dem Weg der Erzeugung und des Transportes viel Energie verloren geht. Ammoniak muss nicht gekühlt werden, ist aber giftig. Womöglich wird sich Methanol durchsetzen. „Am liebsten wären den Reedereien Motoren, die alles können“, so Dr. Mutschler. Die Frage auf welches Pferd man setzen soll, treibt viele um und jeder Energieträger hat wiederum Auswirkungen auf die Hydraulik-Komponenten. Je nach chemischer Zusammensetzung und Temperaturen müssen Armaturen und Ventile mit neuen Werkstoffen gebaut und beschichtet sein. „Erst im Langzeitschiffsbetrieb zeigen sich die Einflüsse neuer Kraftstoffe und Kraftstoffgemische auf das System Schiff. Kraftstoffgemische werden in nächster Zeit im Maritimen Markt noch zunehmen, bevor ein einheitlicher Kraftstoff gefunden wird“, bestätigt Axel Schulz, CEO von Aquametro Oil & Marine, einem Hersteller von Mess-, Optimierungs- und Monitoring-Lösungen für alle Arten von Flüssigkeiten auf Schiffen.
Um den Umgang mit Kraftstoffgemischen zu erleichtern, bietet Aquametro Oil & Marine einen sogenannten Homogenizer, der Inkompatibilitäten im Kraftstoff auf eine Größe von 5 µm zerkleinert und durchmischt, um so homogene Gemische herzustellen. „Das hat einen positiven Einfluss auf den stabilen Verbrennungsprozess im Motor“, sagt Schulz. Wie der Schiffsantrieb von morgen aussehen wird, entscheiden letztendlich die Reeder. Die weltweit größte Schiffsreederei ist die dänische Maersk - Gruppe. Jeder sechste Container wird von ihr verschifft. Die nächste Schiffsgeneration, die unter der Flagge dieser Reederei fahren wird, nutzt Methanol als Kraftstoff. Maersk hat jüngst beim koreanischen Schiffbauer Hyundai Heavy Industries 12 Containerschiffe bestellt, die mit Methanol betriebene werden sollen. Wenn die Schiffe 2024 in See stechen, wird Maersk zum weltweit größten Verbraucher von grünem Wasserstoff.