Hydraulik mit Wasser statt Öl? Zunächst klingt der Begriff ‚Wasserhydraulik‘ etwas befremdlich. Per Definition fasst diese Bezeichnung alle wasserbasierenden Fluide von Klar- und Grubenwasser bis hin zu HFA- und HFC-Flüssigkeiten zusammen.
Historisch gesehen ist die klassische Ölhydraulik aus der Klarwasserhydraulik entstanden, die bereits im 19. Jahrhundert bei Schmiedepressen zum Einsatz kam. Zur damaligen Zeit steckte die Ölhydraulik, wie wir sie heute kennen, noch in den Kinderschuhen.
Wasserhydraulik – ein Für und Wider
Doch dann entwickelte sich die Ölhydraulik schnell zum Standard, denn die Wasser-Variante hat neben vielen Vorteilen auch Schwächen. Unter anderem hat Wasser im Vergleich zu Öl eine deutlich geringere Viskosität. Diese geht mit größeren Leckageströmen einher und führt zu einem geringeren Wirkungsgrad der Hydraulik.
Zudem sind Ventile und Pumpen der Ölhydraulik wegen der niedrigeren Viskosität nicht für Wasser geeignet. Aufgrund des hohen Dampfdruckes ist Wasser anfällig für Kavitation, sprich die Bildung und Auflösung dampfgefüllter Hohlräume in Flüssigkeiten. Dieses Phänomen kann im schlimmsten Fall zu Materialschäden im Hydrauliksystem führen und dessen Wirkungsgrad verringern. Zudem bedingt der korrosive Aspekt wässriger Medien den Einsatz hochwertiger Materialien, was letztendlich hohe Komponentenpreise bedeutet.
Dennoch hat die Wasserhydraulik starke Seiten, wie Dr. Dirk Schulze Schencking, technischer Geschäftsführer von Hauhinco, erklärt. Das Unternehmen aus dem westfälischen Sprockhövel entwickelt seit über 100 Jahren wasserhydraulische Lösungen wie Entzunderungsanlagen, Hochdruckpumpen, Ventilen und Steuerungen für den Bergbau und die Industrie. Dr. Schulze Schencking betrachtet das Für und Wider der Wasserhydraulik unter verschiedenen Gesichtspunkten.
Thema Sicherheit: Überall dort, wo es zur Entzündung des Arbeitsmedium kommen könne, sei Wasser eine gute Wahl. Als Beispiele nennt der Experte die Warmumformung oder den Bergbau. Bei letzterem ginge es neben den Kosten für das Medium, die nur einen Bruchteil von denen von Ölen sind, primär um die eingebrachte Brandlast. So sei speziell beim Abbauverfahren mit Strebausbau (Long Wall) Wasser oder ein HFA Fluid das Medium der Wahl. Hingegen würden bei Neuanlagen der Schwerindustrie fast ausschließlich ölhydraulische Lösungen eingesetzt, da es mittlerweile gute Kompensationsmaßnahmen wie CO2-Löschanlagen gebe und die Technik weitestgehend leckage- sowie störungsfrei sei.
Ein zweiter Punkt sei, so Dr. Schulze Schencking, die Frage nach der Verwendung: Wird das Medium zur Leistungsübertragung im klassischen Sinne genutzt oder ist es eher ein Betriebsstoff? Ein Beispiel für Letzteres sind die hydromechanischen Entzunderungsanlagen von Hauhinco. Sie sind Teil von Warmwalzanlagen und entfernen mittels einer ausgeklügelten Wasserstrahltechnik Eisenoxid (Zunder) von der Oberfläche und verbessern somit die Oberflächenqualität der Walzprodukte.
Ökologie und Nachhaltigkeit als Innovationstreiber
Bei der Entscheidung für den Einsatz von Öl- oder Wasserhydraulik wird die ökologische Blickrichtung immer entscheidender. Die nahezu grenzenlose Verfügbarkeit von Wasser und die Tatsache, dass Klarwasser die Betriebskosten senkt, weil unter anderem keine Vorkehrungen für Ölaustritt zu treffen sind, sind nur einige Aspekte, die stark für die Wasserhydraulik sprechen.
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In eine ähnliche Richtung geht die Forschungs- und Entwicklungskooperation zwischen Bosch Rexroth und dem französischen Energieunternehmen TotalEnergies. Ziel dieser Zusammenarbeit sei es, so Klaus Ellenrieder, Leiter des Projektes ‚Fluid‘ bei Bosch Rexroth, „nachhaltigere, wasserbasierte, biologisch abbaubare und schwer entflammbare Alternativen zu mineralölbasierten Hydraulikflüssigkeiten weiterzuentwickeln und zu qualifizieren.“
Während TotalEnergies die Fluide entwickelt und vertreibt, wird sich bei Bosch Rexroth um Tests und Zertifizierungen gekümmert. Bosch Rexroth verweist auf langjährige Erfahrungen mit HFC-Hydraulikflüssigkeiten und wolle dieses Know-how jetzt auf die neuen HFC-E-Flüssigkeiten erweitern, ohne die Hydraulikkomponenten dafür anpassen zu müssen.
Wasserbasierte Hydraulikflüssigkeiten der Kategorie HFC-E sind laut Klaus Ellenrieder mineralölfrei, ohne fossile Kohlenwasserstoffe, schwer entflamm- sowie biologisch abbaubar. Teilweise würden sie über eine H1-Zulassung (H1 = Schmierstoffe mit unbeabsichtigtem, gelegentlichen Lebensmittelkontakt) für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie verfügen und hätten sich seit vielen Jahren für den Einsatz im Bergbau bewährt. Im Brandfall seien sie mit Wasser löschbar und verfügten über ein hohes Kühlpotenzial, heißt es von Bosch Rexroth.
Die Mindestanforderungen an Fluide seien laut Bosch Rexroth in den einschlägigen Normen wie der ISO 12922 definiert. Darüber hinaus sollen die Hydraulikflüssigkeiten auch die zukünftigen Anforderungen des Rexroth-‚Fluid-Ratings‘ für wasserhaltige Hydraulikflüssigkeiten erfüllen.
Mit dem ‚Fluid-Rating‘ würde Schmierstoff- und Additivherstellern die Möglichkeit geboten, deren Hydraulikflüssigkeiten unter realistischen Bedingungen von Bosch Rexroth zu testen und auf der ständig wachsenden Bosch-Rexroth-‚Fluid-Rating-List‘ platzieren zu lassen. Damit würde, so Klaus Ellenrieder, die Anwendungssicherheit von Hydraulikflüssigkeiten erhöht. Anwender könnten einfacher und schneller erkennen, ob eine Hydraulikflüssigkeit für eine Applikation oder den Einsatz mit Rexroth-Hydraulikkomponenten geeignet sei.
Projektschwerpunkte sind neben der Erweiterung des Fluid-Ratings das Überwachen und Warten von Hydraulikflüssigkeiten. Ein Monitoring von Hydraulikflüssigkeiten ermögliche den bedarfsgerechten Wechsel. Die Standzeiten sollen somit erhöht und Ausfälle durch frühzeitigen Verschleiß vermieden werden.
Wasserbasierte Fluide – damit nichts anbrennt!
Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt sich die Fuchs Lubricants Germany mit dem Entwickeln und Herstellen wasserbasierter Hydraulikfluide und gehört zu den Marktführern im Bereich wasserhaltiger, schwerentflammbarer Hydraulikfluide bei Industrie- und Bergbauanwendungen.
Fuchs entwickelte mit ‚Hydrotherm 42 HFC‘ gemäß ISO 12922 eine neue wasserbasierte HFC-Flüssigkeit (siehe Infokasten), die sich laut Hersteller unter anderem durch einen besonderen Flüssigkeits- und Dampfphasen-Korrosionsschutz auszeichnet. Durch ein optimiertes Additivsystem bietet dieses Fluid zudem einen überdurchschnittlichen Verschleißschutz. Das gute Luftabscheidevermögens und die geringe Schaumneigung dieses Öles sorgen dafür, dass das gesamte Hydrauliksystem frei von unliebsamen Störungen bleibt. Über das hohe Druckaufnahmevermögen des Fluids würde zudem das Leistungsvermögen des hydraulischen Systems gestärkt, erklärt das Unternehmen. Anwendungsgebiete seien neben dem Bergbau die industrielle stationäre Hydraulik.
Fuchs Lubricants Germany befasst sich darüber hinaus mit wasserhaltigen Getriebeölen. Hier werden spezielle Polyglykole und Verdicker mit definiertem Wassergehalt und abgestimmten Additivsystem eingesetzt.
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Auch die Firma Hermann Bantleon aus Ulm – Gesellschafter der deutschen AVIA – befasst sich seit langem mit der Entwicklung wasserbasierter Fluide. Bantleon-Anwendungsspezialist Max Baur nennt hier unter anderem das mineralölfreie ‚Avia Fluid HFC‘ vom Typ HFC. Bei HFC- beziehungsweise HFC-E-Hydraulikölen handelt es sich um wässrige Polymerlösungen mit einem üblichen Wassergehalt >35 Prozent.
Laut Hersteller kennzeichne sich dieses Öl, das der ISO 6743-4 entspricht, durch einen hohen Viskositätsindex sowie einen guten Verschleißschutz. Hinzu käme eine hohe Scherbeständigkeit, also die Fähigkeit der Flüssigkeit, dessen Viskosität unter starker mechanischer Belastung beizubehalten. Bei Bantleon habe man zudem die Erfahrung gemacht, dass Dichtungswerkstoffe der Werkstoffgruppen NBR/ HNBR für dieses Fluid im Allgemeinen gut geeignet seien.
Anwendungsexperte Max Baur von Bantleon empfiehlt schwer entflammbare HFC-Fluids für den Einsatz in Stahlwerken oder Gießereien.
Max Baur ergänzt, dass HFC-Hydraulikflüssigkeiten die mit Abstand besten Werte für die Schwerentflammbarkeit und die hydraulischen Eigenschaften bieten würden. Denn bei Temperaturen von mehr als 600 °C sollen sich diese Fluide nicht entzünden oder weiterbrennen. Der hohe übliche Wassergehalt >35 Prozent sorgt hier für mehr Sicherheit als bei wasserfreien schwerentflammbaren HFDU-Hydraulikflüssigkeiten. Bei Umgebungstemperaturen von –20 bis + 60 °C seien diese Medien bis zu Arbeitsdrücken von 250 bar einsetzbar, heißt es von Bantleon weiter. Als typische Anwendungsgebiete werden Druckgieß- und Glasformmaschinen oder Hydraulikanlagen in Stahlwerken, Gießereien oder Härtereien genannt.
Für stationäre Auto-Waschanlagen
Wer demnächst seinem Gefährt eine reinigende Wäsche gönnt, dürfte ebenfalls auf eine Entwicklung aus dem Haus Bantleon stoßen. So wurde jüngst eine biologisch abbaubare Hydraulikflüssigkeit auf Wasser-Glykolbasis für stationäre Waschanlagen von Automobilen entwickelt. Das Produkt würde einen guten Verschleiß- und Korrosionsschutz bieten und der empfohlene Temperatureinsatzbereich bei –20 bis + 60 °C liegen, erläutert Max Baur von Bantleon. Bei den Hydrauliköl-Herstellern wird also weiter kräftig getüftelt. Im Markt ist zudem ein wachsendes Interesse an umweltverträglichen Fluiden unverkennbar.
Und was muss darüber hinaus passieren, damit sich die Wasserhydraulik in Bereichen durchsetzt, die momentan von der Ölhydraulik beherrscht werden? Dr. Dirk Schulze Schencking von Hauhinco spricht der Politik eine wichtige Rolle zu, die mit neuen Regularien wie der REACH-Verordnung zu mehr Umweltschutz helfen könne. Ansonsten bliebe die Wasserhydraulik weiterhin eine Nischentechnologie, die – richtig eingesetzt – der Ölhydraulik ebenbürtig sei.
Fluid ist nicht gleich Fluid
Die Kennzeichnung der unterschiedlichen, wasserbasierten Flüssigkeitstypen im Bereich der Hydraulikfluide sind in der DIN 51502 und der DIN ISO 12922 zu finden. Im Wesentlichen entsprechen sie den Klassen des 7. Luxemburger Berichts (Grundlage für die Europäische Politische Zusammenarbeit).
Die wichtigsten Anforderungsspezifikationen von schwerentflammbaren wasserhaltigen Hydraulik-Fluiden ist die DIN ISO 12922. Ebenfalls sind spezifische brandtechnische Untersuchung gemäß factory mutual (USA) und bergbauspezifischen Anforderungen nach DMT (Deutsche Montan Technologie) zu beachten.
HFA-Flüssigkeiten sind Öl in Wasser-Emulsionen mit einem Wassergehalt von mehr als 80 Prozent oder synthetische Lösungen von Estern/Polyglykol. Diese werden im Bergbau unter Tage und in Grubenanwendungen eingesetzt. Hier dient das Fluid zur Druckübertragung. Gleichzeitig gewährleistet es einen guten Korrosionsschutz und geringe Reibeigenschaften. Hinzu kommen eine gute Stabilität bei hohen Druckbereichen, hohen Temperaturen und entsprechenden rauen Betriebsbedingungen unter Tage. Einsetzbar ist die HFA-Variante bei Temperaturen von +5 bis +55 °C.
HFB-Fluide sind Wasser-in-Öl-Invert-Emulsionen. Diese werden vor allem im Untertagebau im Bereich der Commonwealth-Staaten sowie in Großbritannien eingesetzt.
HFC-Fluide sind nach wie vor die wichtigste Gruppe der wasserbasierten Druckflüssigkeiten. Hierbei handelt es sich um wässrige Lösungen von Polymeren, in der Regel auf Basis von Polyglykol Verdickern in Verbindung mit dafür konzipierten Additivsystemen und Mono/Diethylenglykol. HFC-Flüssigkeiten basieren in der Regel auf einer schwer entflammbaren Lösung aus Wasser/Glykol. Diese ist auf 35 bis 50 Prozent voll entsalztem Wasser in Verbindung mit Polymer- und Polyglykol-Verdickern sowie weiteren Komponenten aufgebaut.
Abgestimmte Additivsysteme sichern ein gutes Verschleißschutzvermögen und Korrosionsschutzverhalten sowie gute tribologische Eigenschaften.
HFC-Flüssigkeiten sind in der Regel alkalisch eingestellt (PH >9) und besitzen einen Flüssig- und Gasphasen-Korrosionsschutz. Sie eignen sich für Betriebsdrücken von 200 bis 250 bar. HFC-Fluide werden in der industriellen stationären Hydraulik, Mobilhydraulik und im Bergbau eingesetzt. Hier müssen die Komponenten, Pumpen und Hydraulikaggregate auf den Einsatz von wasserbasierten HFC-Flüssigkeiten optimiert sein.
HFC-Flüssigkeiten kommen in der Regel überall dort zum Einsatz, wo Brandgefahr beim Austreten der unter Druck stehenden Hydraulikflüssigkeit besteht. Die empfohlenen Einsatztemperaturen von HFC-Flüssigkeiten liegen bei etwa –20 bis 60 °C.
(Quelle: Fuchs Lubricants Germany).