Christoph Hinz. Tries.

Christoph Hinz, Master of Engineering, stellvertretender Konstruktionsleiter, ­Marketingleitung bei Tries. (Bild: Hinz)

Herr Hinz, Sie arbeiten als stellvertretender Konstruktionsleiter bei Tries, einem Unternehmen mit Sitz in Ehingen, Baden-Württemberg, das komplette hydraulische Anlagen und komplexe hydraulische Steuerungssysteme anbietet. Wie ist die Situation in Ihrer Region bezogen auf Nachwuchs an Hydraulikfachkräften?

Christoph Hinz: "In unserer Region haben wir immer noch einen sehr guten Ruf und eine starke Präsenz im Bereich der Hydraulik. Die Ausbildungssituation ist hier vergleichsweise entspannt. Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass Hydraulikfachkräfte immer gefragt sein werden, da wir spe­zielle Produkte herstellen, die eine fundierte Ausbildung erfordern."

Wie ergeht es frisch von der Uni oder Hochschule kommenden Maschinenbau­ingenieuren in einem Unternehmen?

Hinz: "Der Einstieg junger Absolventen ist eine Herausforderung. Ich will es ganz drastisch formulieren: Im Prinzip fangen sie in der Industrie neu an. Das Handwerkszeug dafür bekommen sie in der Universität oder in der Hochschule. Sie kriegen einen Überblick über die ingenieurwissenschaftlichen und physikalischen Grundlagen. Und in der Industrie lernen sie dann erst, wie man tatsächlich aus ingenieur­wissenschaftlichen Grundlagen Produkte macht. Und das ist ein Prozess, der geht über einige Jahre.

Wenn sie zum Beispiel in die Entwicklung kommen, so wie ich damals, und sollen einen Hydraulikzylinder oder einen Steuerblock konstruieren, müssen sie eine Schraubenberechnung machen. Dann müssen sie die Schweißnahtberechnung machen. Dann müssen sie den Druckbehälter berechnen. Dann müssen sie die Dichtung auslegen. Dann müssen sie die Randbedingungen verschiedener Prozesse in der eigenen Firma mit einbeziehen, weil man ja gewisse Dinge schon länger so macht und auch einen Maschinenpark dazu hat.

Dann müssen sie Materia­lien auswählen, dann müssen sie das ganze Projekt in finite Elemente berechnen. Vielleicht wenn es noch ein bisschen komplexer wird, sogar noch eine CFD dazu machen. Und es geht ja nicht nur darum, das überhaupt zu können, sondern auch in einer endlichen Zeit fertig zu werden. Mit dem ersten Zylinderprojekt, das ein junger Ingenieur so machen wird, wird man wahrscheinlich keinen Gewinn machen. Beim zweiten dauert dann alles nur noch halb so lang. Und dazu kommt noch gewisses Damoklesschwert, die Produktehaftung. Das kann schnell existenziell sein für ein Unternehmen, wenn man da Fehler macht. Aber das lernt man leider nicht an der Hochschule."

Herr Prof. Niebergall, Sie unterrichten an der TH Ulm Hydraulische Antriebs- und Steuerungstechnik. Wie sehen Sie die Rolle der Hochschulen bei der Ausbildung von Hydraulikingenieuren?

Niebergall: Die Hochschulen spielen eine wichtige Rolle, indem sie den Studierenden die notwendigen physikalischen und ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen vermitteln. Vorteilhaft ist dabei immer, wenn die Hochschulen auch praxisrelevante Lehrinhalte anbieten können und engen Kontakt zur Industrie pflegen. Das Kompetenzzentrum Hydraulik an der Technischen Hochschule Ulm ermöglicht es den Studierenden, sich frühzeitig in Richtung der hydraulischen Antriebstechnik zu spezialisieren."

Kompetenzzentrum Hydraulik an der THU

Das Kompetenzzentrum Hydraulik an der THU ist eine aus Industriemitteln (> 1,5 Millionen EUR) finanzierte technisch-naturwissenschaftliche Plattform zur Ausbildung und Weiterentwicklung der Ölhydraulik. Das Ziel ist die Innovationskraft der beteiligten Unternehmen durch eine fundierte Fachausbildung sowie über angewandte Forschung wirkungsvoll zu unterstützen. Neue Mitgliedsunternehmen können sich dem Kompetenzzentrum Hydraulik an der THU (KHU) anschließen. Derzeit bündelt das KHU die Hydraulikfachkompetenz von 20 Unternehmen vorwiegend aus dem süddeutschen Raum. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen hängt stark von qualifiziertem Ingenieurnachwuchs mit fundierten Hydraulikkenntnissen ab. Die IHK Ulm förderte die Initiative zusätzlich im Rahmen der Finanzierung einer Stiftungsprofessur.

Professor Dr.-Ing. Mathias Niebergall.
Professor Dr.-Ing. Mathias Niebergall, Professor an der TH Ulm, Leitung für das Kompetenzzentrum Hydraulik an der THU sowie das Steinbeis Transferzentrum Hydrauliksysteme. (Bild: THU)

Wie kam es dazu, dass das Kompetenz­zentrum Hydraulik gegründet wurde?

Niebergall: "Die Initiative zur Gründung der Stiftungsprofessur kam von der Industrie, angeführt von Herrn Manfred Tries von der Firma Tries. Gemeinsam mit vielen Unternehmen und der Industrie- und Handelskammer in Ulm wurde das Kompetenzzentrum Hydraulik an der Technischen Hochschule Ulm ins Leben gerufen. Die Industrie erkannte den Bedarf an gut ausgebildeten Hydraulikingenieuren und unterstützte die Gründung dieser Einrichtung. Die Stiftungsprofessur war über fünf Jahre angelegt, die ist mittlerweile abgelaufen und ging in eine normale Professur über, die vom Land finanziert wird. Wir initiieren gegenwärtig eine weitere Stiftungsprofessur, in der die klassische Hydromechanik mit Elektronik und Software erweitert wird."

Wie sieht die Ausbildung an dem Kompetenzzentrum Hydraulik aus und was ist das Besondere daran?

Niebergall: "Die Studenten können in fünf Modulen, von denen jedes jeweils über ein Semester läuft, vertiefte Kenntnisse in Ölhydraulik, Mobilhydraulik, Druckflüssigkeiten und Dichtungen, Simulation hydraulischer Systeme sowie Elektronik und spezielle hydraulische Systeme erwerben. Darüber wird dann ein Zertifikat ausgestellt. Das Besondere an diesen Veranstaltungen ist, dass neben den immatrikulierten Studierenden auch externe, also bereits berufstätige Teilnehmer mit bereits erfolgreich abgeschlossenem ingenieurwissenschaftlichem Studium die Module belegen können. Die Vorlesungen finden übrigens in den Abendstunden statt und sind weitestgehend auch Online zugänglich. Auch Techniker und Meister technischer Ausbildungsgänge haben die Möglichkeit, die Grundlagenmodule zu belegen. Die Studienleistungen können mit Zertifikaten dokumentiert werden. Aktuell, also im Sommersemester 22 und im Wintersemester 22/23, hatten wir insgesamt 186 Teilnehmer und davon 22 externe."

Rund um das Kompetenzzentrum Hydraulik in Ulm

Das Kompetenzzentrum Hydraulik gehört zum Institut für Fahrzeugsystemtechnik und das wiederum zur Fakultät Maschinenbau und Fahrzeugtechnik der THU. Es wird von Prof. Dr. Mathias Niebergall geleitet.

Aus dem regulären Lehrkörper der THU sind Prof. Dr. Walter Commerell, Prof. Dr. Peter Renze, Prof. Dr. Wolfgang Schulz und Prof. Dr. Max Sommer beteiligt. Das Kompetenzzentrum Hydraulik wird durch akademische/wissenschaftliche Mitarbeitende verstärkt sowie durch Ingenieure und Techniker der Labore unterstützt.

Am 2. März 2023 wurden an der THU wieder Zertifikate an die erfolgreichen Absolventen und Absolventinnen der Hydraulik-Zusatzqualifikation überreicht. Der diesjährige Hydraulikpreis wurde gleich zweimal vergeben: Christoph Köhler und Daniel Lang erhielten ihn für ihren exzellenten Notendurchschnitt von 1,0 über alle fünf Module.

Zur Geräte-Ausstattung gehören unter anderem ein Hydraulikpumpen- und Hydromotorenprüfstand (550 kW) aus einer Public-Private-Partnership mit Bosch Rexroth; ein Ventilprüfstand (26 Kilowatt), gestiftet von der Tries GmbH; einer Prüfeinrichtung für Ölzustandssensoren und Hydrauliköle und Hydrauliktrainingssystemen wie zum Beispiel Schalthydraulik oder Mobilhydraulik.

Stiftungsunternehmen des Kompetenzzentrums Hydrauik (Stand März 2020) sind: Technische Hochschule Ulm, IHK Ulm, Avia, Bantleon, Hansa-Flex Stiftung, Arios, Hawe Hydraulik, Kässbohrer Geländefahrzeug AG, Liebherr, Magirus, Magnet-Schulz, Moog, MAN, Power-Hydraulik, Bosch Rexroth, Tries, SFC Koenig, Röhm, Voith Hydraulic, Weber Hydraulik, Zwick Roell und Trelleborg.

Für die Zusatzqualifikation ‚Zertifizierter Fachingenieur Hydraulik‘ müssen mindestens drei Ausbildungsmodule zusätzlich zum regulären Studium absolviert werden – für die Zusatzqualifikation ‚Zertifizierte Fachkraft Hydraulik‘ sind es mindestens zwei.

Hinz: "Ich möchte an der Stelle noch betonen, dass an der TH Ulm damit ein einzigartiges Angebot besteht. Unsere enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern ermöglicht es den Studierenden, top­aktuelle Entwicklungen und Forschungsthemen aus erster Hand zu erleben. Es kommen regelmäßig Gastdozenten aus der Industrie, die den Studierenden aus der Praxis erzählen können, und ich sehe oft, dass das ein Aha-Erlebnis auslöst. Üblicherweise lernen die Studenten von Klausur zu Klausur und nehmen die Zusammenhänge, die dann aber in der Praxis sehr wichtig sind, kaum richtig wahr. Genauso ist es mit den Exkursionen zu beteiligten Industrieunternehmen. Dort dürfen die angehenden Hydrauliker die praktische Arbeit hautnah kennenlernen und das motiviert immer enorm. Diese praxisnahe Ausbildung ist in Deutschland eher selten und bietet den Studierenden einen unschätzbaren Mehrwert für ihre zukünftige Karriere."

Herr Niebergall, sehen Sie eine Notwendigkeit für einen eigenständigen Studiengang für Hydraulikingenieure?

Niebergall: "Ich halte es für sinnvoller, eine breit aufgestellte Ingenieurausbildung anzubieten, die die Grundlagen für die verschiedenen relevanten Fachgebiete vermittelt. Moderne hydraulische Antriebssysteme sind eng mit Fachgebieten wie Elektronik und Software verbunden. Studierende sollten die Möglichkeit haben, sich breit aufzustellen und dann bei Bedarf eine Spezialisierung in Hydraulik zu wählen."

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Eine etwas ketzerische Frage: Ist es für Hydrauliker ratsam, Chinesisch zu sprechen?

Niebergall: "Die chinesische Regierung hat Hydraulik vor einigen Jahren zu einer ihrer Kernkompetenzen erklärt und massiv in die Hydraulikausbildung und -produkte investiert. Ob man Chinesisch lernen muss, ist sicherlich nicht zwingend, aber in einem hart umkämpften Markt kann es von Vorteil sein. Die Wettbewerbsfähigkeit spielt immer eine entscheidende Rolle."

Aber was passiert, wenn China genauso viel weiß wie wir?

Niebergall: "Nun, ich sehe das rein professionell: Das Leben ist ein ständiger Wettbewerb, und wir müssen uns auf Anstrengung und Innovation einlassen, um voranzukommen. Es wird nicht so sein, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen können. Wir müssen besser sein als der Wettbewerb, das gilt für jeden Bereich."

Wie sehen die Berufsaussichten und ­Einstiegsgehälter für Hydraulik­ingenieure aus?

Niebergall: "Die Einstiegsgehälter sind vergleichbar mit anderen maschinenbauspezifischen Bereichen. Es hängt von Abschluss und Qualifikation ab, aber ich rate jungen Leuten, nicht nur auf das Gehalt zu schauen. Wichtiger ist, dass sie eine Tätigkeit finden, die ihnen Freude bereitet und ihnen die Möglichkeit bietet, sich weiterzuentwickeln."

Ein kluger Rat. Die Freude an der Arbeit ist letzten Endes doch entscheidend. Gibt es sonst noch etwas, das Sie jungen Studierenden mit auf den Weg geben ­möchten?

Niebergall: "Ich empfehle ihnen, sich möglichst breit auszubilden und ihre Interessen zu erkunden. Eine vielseitige Grundlage eröffnet viele Möglichkeiten. Zudem sollten sie sich für Themen entscheiden, die ihnen Freude machen, denn nur so werden sie ihr volles Potenzial entfalten."

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