Alarmierende Zahlen: Die CO2-Emissionen aus dem Bau und Betrieb von Gebäuden steigen weiter. Im Jahr 2019 betrugen sie bereits 38 % der globalen CO2-Emissionen, der Anteil des Baugewerbes beträgt immerhin 10 %. So lautet das Ergebnis des ‚2020 Global Status Report for Buildings and Construction‘ im Auftrag der UNO. Die Bauindustrie muss grüner werden, gleichzeitig leidet sie unter Fachkräftemangel und Modernisierungsdruck. „Die Prozesse in der Bauindustrie wurden sehr lange kaum verändert, der Druck heute ist für viele ein Anlass, sich intensiver mit Automatisierung zu beschäftigen“, sagt Jörg Rommelfanger, ABB Robotics.
Die Baustelle der Zukunft
Wie die Baustelle der Zukunft aussehen könnte, haben die Universitäten Dresden und München gemeinsam mit 22 Industriepartnern in einem dreijährigen Projekt erprobt: Automatisierte Maschinen, 5G und Baustellenprozesse waren hier die Ansatzhebel. „Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt ist das Optimierungspotenzial bei den Bauprozessen“, sagt Benjamin Beck. Als operativer Leiter koordiniert er das Verbundprojekt Bauen 4.0. Für Prozess-Verbesserungen bilden die Ortsinformationen aller Güter eine wichtige Datenquelle. „Wir haben dafür Tracking&Tracing-Module an Maschinen, Anbaugeräten aber auch Containern befestigt“, so Beck. Die Volumina loser Güter wie Sandhaufen werden optisch vermessen. Die Daten wertet ein Baustellenleitsystem herstellerübergreifend aus. Über Simulationstools erreichen die Planer weitere Verbesserungen. „Der Planer simuliert die Abläufe und sendet dann an die Auftragsverwaltung des Leitsystems einen Job. Den erhält der Maschinenbediener und kann loslegen“, so Beck. Geht es um repetitive Arbeitsschritte, kann eine automatisierten Maschine den Job übernehmen.
Prozesse in die Fabrik verlagern
Roboter selbst spielen bei Bauen 4.0 allerdings keine Rolle. „Der Roboter direkt auf der Baustelle wird nicht der unmittelbar nächste Schritt sein“, vermutet der Robotik-Experte Rommelfanger. Bei ABB werden die Prozesse daher aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Nicht der Roboter soll auf die Baustelle, sondern die Prozesse in die Fertigungshalle.
„Wir setzen bereits beim Premanufacturing an. In der Verbesserung der Vorfertigungsprozesse liegt hohes Potenzial“, so der Leiter der Robotics-Sparte. Die Kompetenz von Automatisierern wie ABB liegt in der Materialhandhabung, im Nieten, Schrauben oder Kleben – Prozesse, zu denen rund 50 Jahre Erfahrung aus der Automobilbranche vorliegen. „Es ist erstaunlich, wie sich diese Technologien ‚out-of-the-box‘ nun in der Baubranche nutzen lassen“, sagt Rommelfanger. Welche Prozesse sich in die Fabrik oder nahe an die Baustelle verlagern lassen, erläutert er anhand einiger Beispiele. Mit der kanadischen Baufirma Intelligent City entwickelte ABB eine Lösung zum Handling großer Holzbauteile für modulare Gebäude, die eine Abfallreduktion von 30 Prozent mit sich brachte.
Für Skanska in Schweden hat ABB als verlängerte Werkbank den Roboter nahe an die Baustelle gebracht. „Unsere Roboter stellen Stahl-Bewehrungskörbe her. Diese Geflechte geben dem Beton den nötigen Halt und werden sonst manuell vor Ort ‚geflochten‘. Ein Mitarbeiter auf der Baustelle benötigt 16 Stunden für die Verarbeitung einer Tonne Material, der Roboter nur eine Stunde“, berichtet Rommelfanger.
Bei der Firma FingerHaus in Deutschland kommt eine automatisierte Beplankungsanlage mit ABB-Robotern zum Einsatz, die Wände nach Kundenmaß fertigt. Durch die exakten Prozesse entsteht nahezu kein Verschnitt mehr.
Elektromechanische Antriebe
Elektrifizierte Fahrzeuge lösen nicht unbedingt alle Probleme. „Elektromechanische Antriebe kann man in Baumaschinen wie Bagger oder Radlader nicht einsetzen“, schränkt Dierk Peitsmeyer, Product Portfolio Manager Bucher Hydraulics ein. Warum, beschreibt er am Beispiel eines Bagger-Auslegers: „Die vier Zylinder an einem Ausleger können nicht von Elektromotoren mit Getriebe und Spindel ersetzt werden, da diese für die Linearbewegung auf dem Ausleger platziert sein müssten und den gesamten Aufbau zu groß und schwer machen würden“, erklärt Peitsmeyer. Spindel und Getriebe hätten darüber hinaus Probleme mit Schock und Staub.
Der limitierende Faktor für elektrifizierte Baumaschinen ist laut Prof. Marcus Geimer vom KIT der geringe Energieinhalt. „Wenn das Fahrzeug nur 1,5 Stunden zwischen zwei Batterieladungen produktiv eingesetzt werden kann, ist das zu wenig.“ Prof. Geimer ist am KIT verantwortlich für den Institutsteil Mobile Arbeitsmaschinen. „Werden zum Beispiel nur zwei Motoren für das Fahren eingesetzt, macht das durchaus Sinn, aber die Linearbewegung der Hydraulik durch linearelektrische Antreibe zu ersetzen, ist technologisch nicht sinnvoll“, sagt Geimer.
Getrieben wird das Thema Elektrifizierung durch die Politik, auch auf EU-Ebene, wie etwa durch das Verbot des Verbrennungsmotors für Pkw. Für größere Maschinen wäre dies fatal. „Wir beobachten die rechtliche Lage sehr genau und werden rechtzeitig die Hand heben, wenn es um das Verbot für Verbrenner für große Maschinen geht“, sagt Christian Ludwig, Leiter Communications & Investor Relations bei der Deutz AG. Deutz hat sich technologieoffen aufgestellt: „Bis zu einer Leistung von 50 kW lohnen sich elektrische Antriebe, bei 100 kW und mehr – nein“, so Ludwig.
Klimaneutral mit Refuels
Klimaneutralität kann ebenso mit Refuels erreicht werden. Wasserstoff als Kraftstoff für den Verbrenner ist schon länger im Gespräch, doch wie sieht es mit der Brennstoffzelle aus? „Beim Wasserstoff muss die Speicherung in Betracht gezogen werden. Dafür benötigt man eine etwas aufwendigere Infrastruktur und eine entsprechende Aufbereitung des Wasserstoffs“, erläutert Prof. Geimer. Er ist zwar leicht, hat aber ein großes Volumen. Je nach Druck und Temperatur steigt der Energieinhalt. „Das bedeutet, man benötigt das Fünf- oder Achtfache des Tankvolumens im Vergleich zum Diesel – das ist ein Problem“, sagt Prof Geimer.
Deutz hat einen ersten Wasserstoff-Motor bereits in einer Pilotapplikation mit dem Partner Rhein Energie. „Der nächste Schritt wird eine Bahnapplikation sein; Bahn, weil es im Schienenverkehr viele Strecken gibt, auf denen sich der Aufbau einer Stromversorgung nicht lohnt“, berichtet Ludwig. Einfacher ist es auf diesen Strecken an Start- oder Endpunkten eine Lademöglichkeit für Wasserstoff aufzubauen. Das nächste Ziel ist dann große Bau- und Agrarmaschinen mit Wasserstoffmotoren auszustatten. Geplant ist, bereits ab 2024 in Serie zu gehen.
Kraftstoffe neu denken
Das Projekt ‚Refuels – Kraftstoffe neu denken‘ des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) umfasst die gesamte Wertschöpfungskette. „Alle Fahrzeuge – ob alt oder neu – können diese regenerativen Kraftstoffe tanken. Ziel ist es, eine schnelle ergänzende Lösung für eine CO2-neutrale Mobilität zu schaffen“, so Prof Geimer, „allerdings gibt es dorthin nicht nur eine Lösung.“ Geimer zählt weitere Kraftstoffe auf: Flüssige Kraftstoffe, gewonnen durch Elektrolyse mithilfe erneuerbarer Energien (Power to Gas), können eins zu eins wie Diesel verwendet werden. Allein die Motoren müssen leicht modifiziert werden. Die Herstellung ist energieintensiv und womöglich politisch nicht gewollt, würde aber für schwere Bau- oder Landmaschinen gut funktionieren. Auch Methan ist ein Gas, das in Biogas-Anlagen nachhaltig erzeugt werden kann. Verflüssigt bei Minus 167° ist die Energiedichte ähnlich der von Diesel. Sowohl im Verkehr als auch im internationalen Gashandel kommt LNG (Liquefied Natural Gas) zum Einsatz. Gekühlt reduziert sich das Volumen auf 1/600 – höchste Energiedichte auf kleinstem Raum und damit ideal für den Transport.
Effizienzsteigerung hydraulischer Systeme
Weitere Effizienzsteigerungen erreichen die Hydrauliker. Bucher Hydraulics zum Beispiel hat mit Helax eine hydraulische Linear-Antriebslösung entwickelt, die laut Hersteller mit einem Energieverlust des Subsystems von weniger als 20 % eine der effizientesten, wenn nicht sogar die effizienteste Lösung auf dem Markt ist. Helax ist interessant für mobile Maschinen, die die Energie elektrisch verteilen, aber die Arbeit hydraulisch verrichten.
An einer Baumaschine finden die Bewegungen gleichzeitig statt, mit unterschiedlichen Lastdrücken. Bei herkömmlichen Hydraulik-Systemen mit nur einer Pumpe sind die Verluste durch das Abdrosseln des niedrigen Lastdrucks sehr groß. Helax wird in einem elektrischen Verbund mit mehreren Antrieben eingesetzt. „Der Wirkungsgrad rekuperativ beträgt bis 84 Prozent. Es gibt eine stufenlose Kontrolle von 0 bis maximal 4500/min bei hohen Drücken bis maximal 450 Bar. Das ist einzigartig. Die Elektrifizierung bedeutet keine Verdrängung der Hydraulik, sondern eine alternative Möglichkeit, die Energieverteilung neu zu gestalten“, sagt Peitsmeyer. Erste Prototypen sind bereits im Einsatz. Allerdings sind die Kosten im Vergleich zur Ventiltechnik höher. „Im Vergleich zu den Batteriekosten rechnet sich das System auch hinsichtlich der Betriebskosten trotzdem“, so Peitsmeyer.
Load-Sensing-(LS-)Systeme verstehen
Auch in Prof. Geimers Institutsteil stehen Hydrauliksysteme im Fokus: „Wir beschäftigen uns vor allem mit Technologien, die die Effizienz von Hydraulikkomponenten und Systemen steigern und so den Gesamtenergieverbrauch senken“, berichtet Prof. Geimer. Im Mittelpunkt der Forschungs-Aktivitäten stehen Load-Sensing-(LS-)Systeme. Im LS-System werden Druck und Volumenstrom an den Bedarf der Verbraucher angepasst. Energetisch ungünstig ist dabei der gleichzeitige Betrieb mehrerer Verbraucher mit deutlich unterschiedlichen Lastdrücken. Diese Verluste können reduziert werden, indem der niedrigere Lastdruck durch Erhöhung des Rücklaufdrucks am Verbraucher angehoben wird, was die an den Druckwaagen abzudrosselnde Druckdifferenz verringert. Technisch umgesetzt werden kann diese Lösung durch Einsatz eines Speichers. Im Projekt ‚Rückspeisemöglichkeiten‘ wird der Wirkungsgrad des LS-Systems zum Beispiel weiter verbessert, indem die Leistung aus dem Speicher effizient in das System rückgespeist wird. In dem Projekt Bauen 4.0 liefern die Hydrauliksysteme Informationen, die für ein Condition Monitoring genutzt werden. Kommuniziert wird über ein 5G-Campusnetzes. „Aufbau und Integration der 5G-Funk-Module aller Maschinen war ein Meilenstein“, sagt Beck. Aus Neugier haben die Forscher mit einem gewöhnlichen Xbox-Controller die Maschinen ferngesteuert. „Das hat tatsächlich äußerst latenzarm und robust funktioniert“, so Beck.
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Im September wird es auf einem Gelände in Hoyerswerda eine Abschlussveranstaltung des Verbundprojektes geben. Die Besucher können auf einer realitätsnahen Tiefbaustelle die vernetzten Bagger, Radlader und Ladekran bei der Arbeit beobachten. Beck ist überzeugt, dass der Ansatz von Bauen 4.0 richtig ist und viele Verbesserungsmöglichkeiten in der Organisation einer Baustelle demonstriert: „Das hat sich durch die starke Industriebeteiligung deutlich gezeigt.“