Dr. Jörg Mutschler

Dr. Jörg Mutschler, Geschäftsführer Nord und Marine Equipment and Systems des VDMA (Bild: VDMA)

Herr Dr. Mutschler, vorweg – wie geht es dem Zuliefermarkt des Schiffbaus gerade?

Unseren Kunden, den Reedern geht es derzeit sehr gut. Nach dem Zusammenbruch der Lieferketten durch Corona ist die Nachfrage nach Transportkapazitäten stark angestiegen und die Preise schossen in die Höhe. Gleichzeitig brauchten die Reeder weitere Schiffskapazitäten und bestellen deshalb im Moment in der ganzen Welt Transportschiffe. Deshalb geht es den meisten Schiffsbau-Zulieferern auch sehr gut. Ironischerweise fehlt es an Lieferkapazitäten, so dass die Hersteller von Komponenten und Systemen ihrerseits auf Material warten müssen.

Wodurch unterscheiden sich eigentlich die Unternehmen, die Sie vertreten, von dem klassischen Maschinenbau zu Land?

Wir vertreten rund 250 Unternehmen, die maritimspezifische Lösungen mit einem Exportanteil von 70 bis 80 Prozent anbieten. Zum einen müssen diese Produkte mit anderen Umweltbedingungen zurechtkommen als an Land, also dem Meerwasser, den Wellen und der isolierten Situation auf dem Meer. Zum anderen kommt dazu, dass diese Produkte besonderen Sicherheitsanforderungen entsprechen müssen. Alle Komponenten, die im Schiffbau eingebaut werden, werden von Klassifikationsgesellschaften abgenommen – wir sagen ‚gestempelt‘ – und zwar jedes einzelne Bauteil. Es gibt Armaturen-Hersteller, die verkaufen weltweit an maritime Abnehmer und haben mehr als einen Prüfstand in ihrer Produktion stehen, weil unterschiedliche Klassifikationsgesellschaften zur Prüfung kommen. An solchen Beispielen wird klar, dass die gegenseitige Anerkennung der Klassifizierungsgesellschaften ein großes Thema für die Hersteller und uns im ­VDMA ist. Was noch anders ist als bei den meisten reinen Zulieferern: Wir sind hauptsächlich Systemlieferanten. Wenn eine Werft ein Antriebssystem ordert, also Motor, Getriebe, Welle und Propeller, dann bauen das nicht die Mitarbeiter auf der Werft ein, sondern da kommen die Spezialisten der Hersteller auf die Werft und montieren, testen und optimieren die Systeme. Das wäre in der Automobilindustrie undenkbar.

Wie lässt sich der Zuliefermarkt im ­Schiffbau größenmäßig einordnen?

Je komplexer und höherwertiger das Schiff ist, desto größer ist der Anteil der zugelieferten Komponenten. Das kann bei Passagier- oder Kriegsschiffen 80 Prozent ausmachen. Die deutschen Zulieferer bestreiten dabei weltweit den größten Marktanteil, gefolgt von Japan, China und Korea.

Wie kommt denn überhaupt das deutsche Zulieferteil auf ein Schiff?

Wenn ein Reeder ein Schiff bei einer Werft in Auftrag gibt, dann bestimmt er, welcher Antrieb und welche Brücke von welchem Hersteller montiert werden soll. Dazu gibt es eine Masters-List. Das Ziel der deutschen Zulieferer ist es, durch Qualität, Innovation und Verlässlichkeit bei weltweiten Schiffsbauaufträgen auf auf diese Liste zu kommen. Wir beim VDMA versuchen dabei zu helfen. Dafür haben wir Herstellerkataloge und sind auf den großen Messen weltweit mit Gemeinschaftsständen vertreten. So helfen wir mittelständische Unternehmen, die auch weltweit erfolgreich sein wollen.

Welche Rolle spielt die SMM dabei?

Die SMM in Hamburg ist immer noch die wichtigste Schiffsbaumesse der Welt. Der größte Wettbewerb dazu ist die Marintec China, die normalerweise immer in den Zwischenjahren stattfindet, wenn keine SMM ist. Coronabedingt hat sich das verschoben und sie findet im Dezember statt.

Werften und Zulieferer arbeiten also beim Bau des Schiffes eng zusammen – wie sehr hilft dabei schon die Digitalisierung?

Die Digitalisierung ist ein ganz großes Thema. Wir haben festgestellt, dass im Schiffbau, wo verschiedenste Systeme zusammenkommen, das vernetzen und abgleichen der Systeme die meiste Zeit kostet. Unser Lösungsansatz heißt deshalb Standardisierung. Wir haben begonnen, einen MTP-Standard, also ein einheitliches Kommunikationsprotokoll, zu definieren, damit sich alle Geräte gegenseitig verstehen, wenn sie zusammengesteckt werden. Dazu haben wir zusammen mit Unternehmen der maritimen Wirtschaft ein VDMA-Einheitsblatt, das ‚MTP (Module Type Package) im Schiffbau‘ entwickelt, das von deutschen Werften bereits unterstützt wird. Um einen Effekt zu haben, und am Markt vergleichbare Bedingungen zu schaffen, müssten allerdings alle Werften weltweit diesen Standard einhalten und das ist eine Herausforderung. China will beispielsweise technologisch vom Westen unabhängig werden. Aber Digitalisierung hilft bei der Effizienz und auch dem Umweltschutz, denn mit digitalen Werkzeugen lässt sich zum Beispiel die Route besser organisieren.

Europa versucht, im Umweltschutz ­Standards zu setzen. Wie ist da die Lage?

Aus wirtschaftlicher Sicht muss man sehen, dass Schiffstransporte vergleichsweise preiswert sind. Der Transport von Shanghai nach Hamburg kostet viel, viel weniger als der Transport mit dem Lkw von Hamburg nach Hannover. Zum Seetransport an sich gibt es also keine realistische Alternative. Wir brauchen aber Schiffe, die nicht mehr mit Schweröl fahren. Die Technik dazu ist auch vorhanden. Motoren, die zukünftig Wasserstoffderivate auf synthetischer Basis nutzen, können in einer Übergangsphase konventionelles LNG, Methanol und Ammoniak mit deutlich reduzierten Emissionen einsetzen. Allerdings ist es aktuell schwer zu entscheiden, ‚auf welches Pferd man setzt‘. Ein neues Schiff soll ja auch in 30 Jahren noch fahren können und was dann der gängige Treibstoff sein wird, ist jetzt noch vollkommen unklar. Es müsste also eigentlich mit allem fahren können. Allerdings: Ammoniak ist giftig und erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen. LNG und andere Stoffe müssen stark abgekühlt werden, und haben deshalb Verluste. Es gibt auch Ansätze für Windkraft, aber wir könnten mit einem Schiff von Hamburg nach Shanghai noch nicht mit Batterien fahren. Und selbst wenn, die Batterien würden die Hälfte des Laderaums einnehmen.

Gibt es schon Druck auf die Betreiber von Schiffen mit Schwerölantrieb?

Schweröl enthält vier Prozent Schwefel. Es gibt bereits viele Häfen und Seegebiete, in den deutlich geringere Schadstoffwerte vorgegeben sind. Dort werden Scrubber oder eben unterschiedliche Kraftstoffe eingesetzt. Das bedeutet für die Schiffe in der Konsequenz auch oft, dass sie zwei Sorten Kraftstoff nutzen und umstellen müssen, wenn sie in diese Häfen oder Gewässer einfahren.

Welche Auswirkungen haben Vorgaben zur Senkung des Co2-Ausstoßes?

Die Situation ist sehr komplex. Ein Beispiel: Früher fuhren die Containerschiffe mit 24 Knoten. Wenn sie, um Kraftstoff zu sparen, nur noch mit 20 Knoten fahren, hat das eine Bugwelle an Auswirkungen. So ein Containerschiff ist hinsichtlich Motor, Propeller und Welle optimiert auf 24 Knoten. Wenn der 20 fährt, ‚rappelt es‘, platt gesagt. Also braucht es einen neuen Propeller, der für 20 Knoten gebaut ist.
Optimierte Teile aus der Zulieferindustrie bedeuten aber natürlich zunächst neuen Impact auf die Umwelt, denn auch sie müssen mit recycelten und möglicherweise importierten Materialien gebaut und dann transportiert werden. Und es geht weiter: Meistens haben Containerschiffe eine feste Route, sie fahren also in festen Frequenzen die gleichen Stationen an. Nehmen wir an, eine Route wird von sechs Schiffen befahren, die gleichzeitig auf den Meeren unterwegs sind. Wenn die jetzt vier Knoten langsamer fahren müssen, braucht man für dieselbe Tonnage pro Zeit ein bis zwei Schiffe mehr. Da fragt sich, ob dann tatsächlich Co2 eingespart wird.

Was tut der VDMA für Decarbonisierung?

Wir haben mit Power-to-X unter Federführung des Fachverbandes Motoren und Systeme eine Arbeitsgemeinschaft mit unseren Mitgliedsunternahmen im gesamten VDMA und arbeiten an effizienten Wegen, die Energie aus Wind und Sonne in einem Kraftstoff zu bündeln. Das Ziel ist, die elektrische Energie aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen zum Beispiel dafür zu verwenden, Wasserstoff zu erzeugen. Der lässt sich dann für eine Reaktion mit CO2 verwenden, um gasförmige Energieträger zu erzeugen. Die wiederum lassen sich mit vertretbarem energetischem Aufwand zu einem Flüssiggastreibstoff für Verbrennungsmotoren komprimieren. Power-to-X hat das Potenzial, die Schifffahrt spürbar klimaneutraler zu machen. Da über 90 Prozent aller Waren mit dem Schiff transportiert werden, haben wir da einen großen Hebel für die Verbesserung des Weltklimas in der Hand.

 

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