Norwegen deckt schon jetzt mehr als 98 Prozent seines Energiebedarfs aus Wasserkraft. Und Schottland will in drei Jahren seinen gesamten Strom aus Erneuerbaren Energien gewinnen. Der Frage, wie sie ihr eigenes Wasserkraft-Potenzial optimal nutzen können, gehen die Schotten unter anderem hoch oben an ihrer Nordküste auf den Grund – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Im „Pentland Firth“ haben sie in einem ersten Schritt vier 1,5 Megawatt-Gezeitenturbinen auf dem Meeresboden installiert. Aus diesen Anfängen soll im Zuge des „MeyGen“ genannten Projekts das größte Gezeitenkraftwerk der Welt hervorgehen. Drei der vier dortigen Pilot-Turbinen hat Andritz Hydro geliefert.
Installationen halten enormen Kräften stand
Der Standort des Projekts ist mit Bedacht gewählt: MeyGen liegt in einer vergleichsweise flachen Meerenge, genannt Inner Sound, zwischen dem nordschottischen Festland und der Insel Stroma – und damit zugleich zwischen Atlantik und Nordsee. An dieser Stelle erzielen die Gezeiten Strömungsgeschwindigkeiten von gut 3,5 m/s. Das klingt nach wenig, aber weil Wasser rund achthundertmal dichter ist als Luft, werden hier enorme Kräfte frei.
Um diesen Antriebskräften und Maschinenbelastungen zu widerstehen, müssen die dort abgesetzten Unterwasser-Installationen entsprechend robust sein. So wiegen allein die ca. elf Meter langen Gondeln der Turbinen rund 130 Tonnen; mit Nabe, Rotorblättern und Verbindung zum Unterbau sind es 200 Tonnen. An der Spitze der Gondeln rotiert ein dreiflügeliger Propeller mit einem Durchmesser von 18 Metern. Auf dessen Rotorfläche wirken durch das mit 13 Stundenkilometern strömende Wasser Kräfte ein, wie sie an Land durch einen Orkan mit ca. 350 km/h entstünden. Um den wechselnden Gezeitenströmen sowie Wasserturbulenzen gleichermaßen zu widerstehen, werden die Verstellwinkel der Rotorblätter ständig über Blattlager mit Antrieben geregelt und die Gondeln der Strömungsrichtung angepasst.
Hightech-Wasserräder sollen 25 Jahre überstehen
„Der zuverlässige Betrieb muss ebenso gewährleistet sein wie die hohe Leistung der eingesetzten Technik“, erklärt Carsten Herrmann aus der Konstruktionsabteilung von Andritz Hydro. Denn die „Hightech-Wasserräder“ sollen mindestens 25 Jahre überstehen und nur alle fünf Jahre gewartet werden, weil Serviceeinsätze auf hoher See schwierig, risikoreich und kostenintensiv sind.
Umso wichtiger war es, dass das Unternehmen schon bei der Auslegung der Rotorwellenlagerung, der Berechnung der Nutzungsdauer, bei den dynamischen und statischen Kräfte-Berechnungen sowie bei der spezifischen Ausführung der Lager Unterstützung durch SKF-Experten einholte. „Beispielsweise wurde die Rotorwellenlagerung so konzipiert, dass die extrem hohen Axialkräfte aus dem Wasserstrom sowie ,parasitäre‘ Biegemomente aus den Rotorblättern gut über die Hauptwelle mit Wälzlagern auf den Maschinenträger abgegeben werden“, sagt Markus Stäblein, zuständiger Ingenieur der Technischen Beratung bei SKF in Schweinfurt.
Die Hauptwellen- sowie Blattlagerung wurde genauestens simuliert – mit der SKF Berechnungssoftware „SimPro Expert“ (inklusive Berechnungen gemäß Finite-Elemente-Methode zur Verformung der Gesamtkonstruktion). Dank der frühen Einbindung der Technischen Beratung in die Planungs- und Konstruktionsphase konnte SKF maßgeschneiderte Großlager entwickeln, die für die besonderen Anforderungen im starken Gezeitenstrom an der schottischen Nordküste bestens gewappnet sind.