Das Technologieunternehmen Continental hat gemeinsam mit einem Spezialwasserbau-Unternehmen eine neue Generation des Großen Blasenschleiers, auch Big Bubble Curtain genannt, in einem Pilotprojekt erfolgreich getestet.
Mehr Energieeffizienz und weniger Treibhausgase – und das so schnell wie möglich: Das sind die erklärten Ziele der Energiewende. Der Ausbau der Windenergie auf See läuft dementsprechend unter Hochdruck. Derzeit sind in Deutschland Offshore-Windparks mit einer Gesamtleistung von über 5,3 Gigawatt in Betrieb. Bis zum Jahr 2030 sollen die Windenergieanlagen vor den hiesigen Küsten auf eine Gesamtleistung von 15 Gigawatt kommen. Laut der Stiftung Offshore-Windenergie könnte so sauberer Strom für bis zu 15 Millionen Haushalte erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, entstehen neue Windparks in Nord- und Ostsee.
Doch für die Meeresbewohner bedeuten diese Vorhaben vor allem eins: Jede Menge Baulärm und Vibrationen. Säugetiere wie die unter Artenschutz stehenden Schweinswale, aber auch Robben oder Fische wie Dorsche und Heringe nutzen Schall, um sich zu orientieren, zu kommunizieren, um Beute aufzuspüren und Feinde zu orten. Zum Schutz der Tiere gilt deshalb in deutschen Gewässern im Abstand von 750 Metern zur Baustelle ein Schallpegel von maximal 160 Dezibel. Dieser Grenzwert des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUB) hat die Entwicklung neuer Technologien zur geräuscharmen Installation der Fundamente vorangetrieben.
Bei der Installation von Windkraftanlagen werden die bis zu acht Meter starken Fundamente mit tausenden von Schlägen möglichst tief in den Meeresboden gerammt. Ansonsten würden Wind und Wellen sie schlichtweg umwerfen. Jeder einzelne Rammstoß verursacht dabei einen infernalischen Lärm von bis zu 225 Dezibel. Das entspricht etwa dem doppelten Lärm einer Kreissäge und ist im Meer kilometerweit zu hören. Für die geräuschsensiblen Schweinswale und andere Meerestiere ist er eine Qual. Zum Vergleich: Die menschliche Schmerzgrenze liegt bei etwa 120 Dezibel. Eine einfache aber wirkungsvolle Lösung ist der Einsatz eines Blasenschleiers.
Die Lösung liegt in der Luft
„Ein Blasenschleier entsteht durch den Einsatz eines unserer stark perforierten Schläuche, den die Installationsfirma als Ring um die Baustelle legt, bevor die Pfähle der bis zu 150 Meter hohen Windkraftanlagen in den Meeresboden gerammt werden“, erläutert David Hoffmann, im Continental-Konzern verantwortlich für Industrieschlauchlösungen in der Region EMEA und APAC. Die Schlauchenden sind an leistungsstarke Kompressoren an Deck von Schiffen angeschlossen. Während der Arbeiten pumpen sie mit zehn Bar ölfreie Druckluft in die Schläuche. Die Luft entweicht durch Löcher im Schlauch, die nach einem genauen definierten Muster angebrachten sind. Dabei entsteht ein Vorhang aus Millionen kleiner Luftblasen, die zur Wasseroberfläche aufsteigen – eine Art Whirlpool bildet sich um die Baustelle.
Die Luftblasen verändern die Dichte des Wassers und brechen somit die Schallwellen. Je nach Beschaffenheit des Bodens und Wasserströmungen setzen Wasserbauspezialisten auch Verfahren mit zwei Ringen ein. Hoffmann bilanziert: „Die clevere Technik senkt den Schallpegel um bis zu 18 Dezibel.“ Eine Erhöhung des Schallpegels um sechs Dezibel wird als Verdoppelung der Lautstärke wahrgenommen, die Reduktion um sechs Dezibel entsprechend als Halbierung. Wird die Lautstärke um 18 Dezibel gesenkt, entspricht dies folglich einer Verringerung des Lärms um 95 Prozent.
Doch wie bleibt der Schlauch ohne zusätzliche Stahlketten zum Beschweren am Meeresgrund, wenn die mit Druck zugeführte Luft für Auftrieb sorgt? Um eine Lösung für diese Herausforderung zu finden, beauftragte der Entwicklungspartner die Schlauchexperten von Continental.
Bisher verfolgen Installationsunternehmen zwei Ansätze, um die Schläuche auf dem Meeresgrund zu halten. Beim ersten wird der Schlauch mit Zusatzgewichten versehen, die ihn am Boden verankern. Der Nachteil dieser Methode: Es ist kompliziert, die Konstruktion nach den Bauarbeiten wieder an die Wasseroberfläche zu befördern. Die zweite Variante besteht aus einem Rohrsystem. Dies ist jedoch schwierig am Meeresboden zu installieren.
Ein Schwergewicht im Feldtest
„Wie bei allen Bauprojekten geht es darum, die Arbeiten mit möglichst wenig Aufwand und möglichst schnell zu erledigen. Deshalb haben wir eine Lösung mit einem Schlauch entwickelt, die flexibel ist und ohne komplizierte Verankerung durch Zusatzgewichte wie Stahlketten funktioniert“, erzählt Hoffmann. Neben der erforderlichen Flexibilität, um eine leichte Handhabung zu ermöglichen, sollte der Schlauch außerdem stabil sein. Abriebfestigkeit, damit Kautschukbestandteile nicht in die Umgebung abgegeben werden, sowie Beständigkeit gegen Salzwasser gehören zu seinen weiteren wichtigen Eigenschaften. Die Aufgabe hat das Technologieunternehmen mit einer Weiterentwicklung seiner Schläuche gelöst.
Jeder Schlauch wird aus verschiedenen Schichten unterschiedlicher Materialien wie Kautschuk und Druckträgern gefertigt. Auch bei den Schläuchen für den Einsatz als Blasenschleier besteht eine dieser Schichten aus einem Drahtgeflecht. Diese Federdrahtspirale dient beim Auf- und Abwickeln der Schlauchleitung als Knickschutz und zugleich hält sie die Form des Schlauches bei Über- oder Unterdruck stabil.
„Der Clou unserer Entwicklung liegt darin, dass wir unseren Schlauch mit zusätzlichem Draht wie eine Spirale umwickelt haben. Das Ergebnis ist ein regelrechtes Schwergewicht, das sehr gut in der gewünschten Tiefe tariert werden kann“, berichtet Hoffmann. Ein Meter Schlauch mit einem Innendurchmesser von 100 Millimetern bringt nun stattliche 20 Kilogramm auf die Waage.
Erster Test in 60 Metern Tiefe
1.000 Meter Schlauch mit einem Gewicht von 20 Tonnen sind nötig, um einen Ring um eine Baustelle zu legen. Die Schläuche werden deshalb auf riesige Trommeln an Bord von Schiffen aufgewickelt und zu der Meeresbaustelle transportiert. „Das mag zunächst recht aufwendig klingen, ist aber in der Handhabung deutlich einfacher als die bisherigen Lösungsansätze mit Stahlketten oder Rohrsystemen“, so Hoffmann.
35 Kilometer nordöstlich der Insel Rügen liegt das Baugebiet des Windparks Arkona-Becken Südost. Künftig sollen von hier aus 60 Windkraftanlagen 400.000 Haushalte mit sauberem Strom versorgen. Sie haben zusammen eine installierte Leistung von 385 Megawatt. Continental testet dort Ende letzten Jahres die weiterentwickelten Schläuche. Das Ergebnis: Die Schlauchgiganten haben den Feldversuch mit Bravour bestanden. Dabei liefen gleich mehrere Installationen parallel.
Das Schlauchsystem des Big Bubble Curtain funktionierte bei den Bauarbeiten in 60 Metern Tiefe einwandfrei. Es blieb stabil am Meeresboden liegen, während Luftblasen den Lärm und Vibration reduzierten. Die Bergung nach den Bauarbeiten lief ebenfalls problemlos ab – ohne Spuren am Meeresboden zu hinterlassen. Schließlich sollen die Schläuche mehrfach zum Einsatz kommen. „Insgesamt hat sich das Handling im Vergleich zum Einsatz von Zusatzgewichten mit der Innovation von Continental deutlich verbessert“, berichtet Hoffmann zufrieden.
Innovation für den Klima- und den Naturschutz
Inzwischen hat der Hersteller den Schlauch zum Patent angemeldet. „Die technischen Rahmenbedingungen, die Umweltbedingungen und die -anforderungen an Offshore-Windkraftanlagen sind deutlich komplexer als bei Anlagen an Land. Wir leisten mit unserer innovativen Lösung einen Beitrag zum Ausbau regenerativer Energiequellen auf hoher See und schützen dabei die Meeresbewohner vor Baulärm“, ergänzt Hoffmann.
Blasenschleier zum Schallschutz kommen nicht nur beim Bau von Windparks zum Einsatz. Sie eignen sich für zahlreiche weitere Anwendungsbereiche, wie beispielsweise Minenräumarbeiten, Offshore-Ölbohrungen, seismische Untersuchungen oder Hafen- und Küstenentwicklung sowie Brückenbau und bei der Errichtung künstlicher Inseln. Auch, um Ölverschmutzungen in einem bestimmten Bereich zu halten, oder um Seetang, Algen, Quallen oder Treibgut von Stränden, Häfen und Küsten fernzuhalten, eignet sich der Bubble Curtain. In diesen Fällen dient er als Barriereschutz. So kann das System Fische vor Staudämmen oder kontaminierten Bereichen im Meer und in Flüssen schützen und in sichere Bereiche führen. do
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