Es tut nicht weh, lässt einen aber zurückzucken, wenn es passiert: Wie ein Nadelstich piekst ein Blitz in die Handfläche, wenn wir in einem trockenen Raum Hände schütteln oder eine Türklinke berühren. Dabei treten erhebliche Spannungen auf: Erst über 2000 Volt nehmen wir die Ladung wahr, beim Gehen über einen Teppichboden in einem beheizten Raum lädt sich die Haut mitunter sogar bis zu 30.000 Volt auf. Sind dann noch explosive Stoffe wie Öl, Gas, oder auch Holz- und Mehlstaub in der Nähe, kann es gefährlich werden.
Was hat das mit Kabeln zu tun? Eine Menge, denn ihr Mantel kann sich durch Reibung aufladen und schlagartig entladen. Bisher behalf man sich durch aufwändige Erdungsvorrichtungen, um Ladungsansammlungen vom Leitungsmantel zu bekommen. Eine Alternative hat die Stuttgarter Lapp Gruppe vorgestellt: die weltweit erste Versorgungsleitung mit einem antistatischen Mantel. Die Leitung mit dem patentgeschützten Mantelmaterial kommt bereits auf Ölbohrplattformen des norwegischen Herstellers Aker Solutions zum Einsatz.
Weniger Widerstand
Ladungsträger sammeln sich auf Kabeln oder auf anderen schlecht leitenden Gegenständen meist durch Reibungselektrizität. Das hängt von der Ableitfähigkeit ab. Diese sollte möglichst hoch sein, damit die Ladungsträger auf der Oberfläche des Objekts – hier auf dem Kabelmantel – möglichst schnell abgeführt werden können. Die Aufgabe der Lapp-Ingenieure bestand also darin, die Ableitfähigkeit zu steigern, beziehungsweise den Oberflächenwiderstand zu verringern. Ein Material ist ableitfähig, wenn der spezifische Widerstand mehr als 104 Ohmmeter und weniger als 109 Ohmmeter beträgt.
Für einen Gegenstand oder eine Einrichtung gibt es eine zweite Größe, den Oberflächenwiderstand. Dieser muss zwischen 104 und 109 Ohm liegen, gemessen bei 23 Grad Celsius und 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit, beziehungsweise zwischen 104 und 1011 Ohm, gemessen bei 23 Grad Celsius und 30 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit. Das legt die TRGS 727 fest, die sich mit der Vermeidung von Zündgefahren beschäftigt. Zur Erklärung: Die Atex-Richtlinie 2014/34/EU beschreibt den Explosionsschutz auf europäischer Ebene. Die Umsetzung der Atex-Richtlinie erfolgt in jedem europäischen Mitgliedsstaat in eigenen nationalen Gesetzen und Verordnungen. Auf deutscher Ebene erfolgte dies durch die Explosionsschutzverordnung (11. ProdSV) sowie der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Daraus leiten sich die TRGS (Technische Regeln für Gefahrstoffe) ab.
Die Antistatik-Leitung von Lapp bewegt sich innerhalb dieser Grenzen. Das beweisen umfangreiche Messungen im hauseigenen Testlabor in Stuttgart. Dort werden harte klimatische Bedingungen wie Trockenheit, Feuchte, Hitze und Kälte simuliert. Produziert wird das Kabel in Grimaud in Frankreich, wo die Lapp Gruppe die Fertigung von Sonderkabeln konzentriert hat.
Geheime Zutat
Das Geheimnis des antistatischen Kabels steckt in seinem Mantel. Er besteht aus einem Kunststoff mit einem Additiv, das die Leitfähigkeit erhöht. Die Befürchtung, darunter könnte die elektrische Isolation des Kabels leiden, ist unbegründet. Die Isolation der Leiter erfolgt immer über die Aderisolation, also den Kunststoff, der die Leiter umhüllt. Der äußere Mantel eines Kabels hat keine isolierende Aufgabe, sondern dient dem mechanischen Schutz, etwa gegen Öl, Chemikalien oder wie in diesem Fall gegen Bohrschlamm sowie bei Biegung, Torsion und Reibung.
Worum es sich bei dem Additiv genau handelt, ist Betriebsgeheimnis, ebenso der aufwändige Prozess, in dem das Additiv in der richtigen Menge und Durchmischung dem Kunststoff beigegeben wird. Lapp hat mit dem Hersteller des Additivs, einem großen Kunststoffhersteller, eine Exklusivvereinbarung: Nur Lapp darf dieses Material derzeit für Kabel nutzen. Kompliziert war die Entwicklung vor allem, weil es nicht reicht, die oben genannten Voraussetzungen zur Vermeidung von Zündgefahren zu erfüllen, sondern auch die NEK TS 606:2016, eine besonders strenge Norm, die Eigenschaften von marinen Kabeln und den Schutz gegen Bohrschlamm regelt. Beide Eigenschaften zu vereinen, ist die eigentliche Innovation.
Auch für andere Branchen geeignet
Sichere Ölbohrplattformen gab es auch schon bevor Lapp das antistatische Kabel entwickelt hat. Gefährdete Bereiche werden eigens geschützt, etwa durch Erdungsbänder an Maschinen oder durch Kleidung und Schuhe, die Aufladungen schnell ableiten. „Mit dem neuen Kabelmantel haben es Konstrukteure nun leichter, weil der Kabelmantel keine statische Elektrizität mehr führt und sich das Schutzkonzept übers gesamte Kabel erstreckt“, erläutert Werner Körner, Leiter Technik & Entwicklung bei U.I. Lapp.
Damit werde es auch für andere Industriezweige interessant, in denen Explosionsgefahr ein Thema ist. Das ist überall dort der Fall, wo Öl, Gas oder zündfähige Chemikalien im Spiel sind, aber auch in der holzverarbeitenden Industrie, wo Holzstäube eine Gefahr darstellen, oder bei der Verarbeitung von Mehl in der Lebensmittelbranche. Die antistatische Wirkung des neuen Kabelmantels lässt sich durch geeignete Kabelverschraubungen an Schaltschränken wie Skintop Brush noch steigern. Die Ladungsträger auf dem Kabelmantel werden über diese Verbindung zusätzlich abgeleitet, ähnlich wie bei einer Erdung über Metallbänder. bf
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