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Anger-Entwicklungsingenieur Hannes Trogmann (re.) und LCM-Projektleiter Andreas Plöckinger im Inneren jener Zerspanungsmaschine, die schon in Kürze an den Kunden ausgeliefert wird. (Bild: LCM/Simlinger)

Mit einem Prestigeauftrag von Mercedes Benz sorgten der Zerspanungsspezialist Anger Machining und die Linz Center of Mechatronics (LCM) vor drei Jahren für Furore. Für die Bearbeitung des Ventilblocks des neuen 9-Gang Automatikgetriebes (9G-Tronic) hatten die beiden Unternehmen eine völlig neuartige Präzisionsanlage entwickelt. Diese bearbeitet drei Werkstücke gleichzeitig. Die Spindelköpfe für die Bohr- und Fräsaufsätze sind mit einem hochpräzisen Feinkorrektur-System ausgestattet, das dafür sorgt, dass ungewollte Positionsabweichungen der Werkstücke elektronisch ausgeglichen werden. Das garantiert eine gleichbleibend hohe Verarbeitungsqualität.

Während diese drei Anlagen in Neckartal seit fast drei Jahren ausfallsfreie Präzisionsarbeit liefern, haben Anger und LCM die Technologie für andere Anwendungen weiterentwickelt. Dabei hat vor allem der Kostendruck für einen wichtigen Innovationsschub gesorgt: In der Hydraulik ersetzen Digitalventile Proportionalventile. Diese sind nicht nur in der Anschaffung wesentlich – sie sorgen auch ansonsten für sinkende Kosten. Vier Maschinen hat Anger bereits ausgeliefert, vier weitere sind im Aufbau.

Redimensionierung der Maschine

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Für den neuen Auftrag musste die Maschine neu dimensioniert werden. Jetzt können komplexe Werkstücke in einem Doppelbearbeitungsprozess hochpräzise gefertigt werden. (Bild: LCM/Simlinger)

"Es war schon länger unser Ziel, die Feinkorrektur, die direkt an den Spindelköpfen arbeitet, in den Bauteilträger – also auf die Spannvorrichtung – zu verlagern“, erinnert sich Günther Siegwart, Senior Konstrukteur in der F&E-Abteilung bei Anger. Damit hätte die Feinkorrektur der bis zu vierzig Spindeln zentral erfolgen und der Hardwareaufwand drastisch reduziert werden können. Da eine wirtschaftliche sinnvolle Lösung nicht realisierbar war, kam das Projekt allerdings über ein Versuchsstadium niemals hinaus. Schon damals hatte man vielversprechende Experimente mit Digitalventilen gestartet.

„Mit dem neuen Auftrag eines Kunden aus dem Automotive-Sektor waren wir zu einer Redimensionierung der Maschine gezwungen. Das hat viele Vorzeichen geändert“, sagt Siegwart. Statt drei Werkstücken werden jetzt nur noch zwei parallel bearbeitet. Die Zahl der Frässpindeln hat sich auf vier reduziert. Dafür ist die Feinkorrektur nunmehr auf allen drei – statt bisher zwei – Achsen möglich. Dadurch können pro Spindelpaar sechs Achsen korrigiert werden, was die Bearbeitungsqualität der Maschine massiv erhöht. „Jetzt können auch verblüffend komplexe Werkstücke in einem Doppelbearbeitungsprozess hochpräzise gefertigt werden“, erklärt LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz. „Eine Maschine kann jetzt sogar fünf unterschiedliche Bauteile zerspanen.“

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Gruppenbild mit Stahlmembran: Anger-Entwicklungsingenieur Hannes Trogmann (2.v.l.), LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz (li.), Bernd Winkler (re.), Leiter der LCM-Entwicklungsabteilung Antriebe und LCM-Projektleiter Andreas Plöckinger diskutieren die Feinarbeit der Stahlmembran, die eine Präzision von unter 5 μm erlaubt. (Bild: LCM/Simlinger)

Herzstück der Feineinstellung der Spindelköpfe sind jeweils vier hydraulisch verstellbare, in Paaren gegeneinander wirkende elastische Stahlmembranen. Diese erlauben sozusagen als Druckkissen Positionskorrekturen in allen drei Achsen – und das mit einer Genauigkeit von unter 5 μm. „Um die hohen Stellkräfte, die wiederum eine sehr hohe Steifigkeit des Systems erlauben, möglichst exakt und verlustfrei auf den Spindelkopf zu übertragen, haben wir um diesen einen sehr steifen, allerdings beweglichen Rahmen gelegt“, sagt Bernd Winkler, Leiter der Entwicklungsabteilung Antriebe bei LCM. I

mmerhin wirken bis zu drei Tonnen Stellkräfte auf das Gesamtsystem. Die logische Begleiterscheinung einer konventionellen proportionalhydraulischen Lösung: „Es entstehen hohe Temperaturschwankungen aufgrund der hydraulischen Verlustleistung“, erklärt LCM-Projektleiter Andreas Plöckinger. Diese Hitzeentwicklung führt unweigerlich zu thermischen Spannungen und damit gleichzeitig zu geometrischen Veränderungen an Werkstück und Werkzeugen sowie reduzierter Genauigkeit. Da die dafür nötige Kühlung außerdem noch Zusatzkosten verursacht, galt es, die Hitzequelle zu eliminieren. „Das ist mit einem Digitalventil verblüffend einfach möglich gewesen“, sagt Plöckinger.

Dominoeffekt an Kosteneinsparungen

Bei herkömmlichen Hydrauliksystemen erzeugen die Pumpen immer maximalen Druck. Proportionalventile reduzieren diesen auf das gewünschte Maß. Um eine hohe Regelgenauigkeit zu erreichen, weisen herkömmliche Proportionalventile eine hohe interne Leckage auf, was zu hohen Energieverlusten führt.

Digitalventile vermeiden durch ihre Sitzbauweise genau diese Verluste. Das reduziert nicht nur die Arbeitsleistung der Hydraulikpumpe enorm, sondern auch die Wärmentwicklung im Ventil und damit in der Hydraulikflüssigkeit und den umliegenden Komponenten. „Außerdem kosten Digitalventile deutlich weniger, arbeiten präziser, sind wesentlich energieeffizienter, leckage- und praktisch wartungsfrei“, betont LCM-Projektleiter Plöckinger. Dass Digitalventile um rund 80 Prozent billiger sind als Proportionalventile ist allerdings nur ein Aspekt der Kostenreduktion. Auch die Energiekosten reduzieren sich um bis zu 90 Prozent. Nunmehr ist auch die gesamte Hydraulikanlage wesentlich schlanker. „Wir kommen jetzt ohne großes Aggregat und großen Kühler aus“, sagt Plöckinger. Auch die zuvor sehr aufwändige Sensorik konnte reduziert werden. Für die Feinverstellung reichen Drucksensoren, teure Weg- und Wirbelstromsensoren konnten eingespart werden.

Entwickelt in neun Monaten

Dass die neuen Digitalventile auch eine neue Steuerungselektronik brauchen, hatten die Entwickler erwartet. Einigermaßen überraschend war es, dass auch diese nur rund ein Drittel der zuvor verwendeten Lösung kostet. Da die neue Steuerungselektronik eigentlich für Gleichstrommotoren entwickelt wurde, musste eine knifflige Sonderlösung gefunden werden. „Weil wir völliges Neuland betraten, mussten wir selbstverständlich in die Programmierung investieren, wurden dabei aber vom Hersteller vorbildlich unterstützt“, sagt Anger-Konstrukteur Siegwart.

Gerade einmal neun Monate haben LCM und Anger-Machining von der ersten Projektbesprechung im Mai 2016 bis zur Auslieferung der ersten Maschine im Dezember gebraucht. Nach ersten Vorversuchen in den eigenen Labors präsentierten die LCM-Entwickler im Juli die auf Digitalventilen basierende Lösung. Da schon im August 2016 mit einem von Anger Machining engagierten Programmierer die neue Steuerungselektronik angepasst wurde, konnte im Dezember bereits die erste Maschine an den Kunden ausgeliefert werden. „Die einzige Panne, die mir in Erinnerung ist, war ein falsch montiertes Ventil, das nicht präzise genug gearbeitet hat“, erinnert sich. „Diese Panne hatten wir allerdings binnen kürzester Zeit behoben.“ hei

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