Sind elektrische Lösungen besser als hydraulische – diese Frage wird nicht nur in Fachartikeln diskutiert. Ist Hydraulik bald eine Technologie von gestern? Sollten Unternehmen eher auf Elektrik setzen?
Professor Thomas Nied-Menninger, Hochschule Bochum: Ich beobachte den Trend zur Elektrifizierung schon seit meinen Studienzeiten. Hydraulik war und ist immer noch ein Nischenfach – umfassendes hydraulisches Fachwissen findet sich häufig nur noch bei Systemanbietern.
Axel Binner, Geschäftsführer Hydropa: Wir beobachten ebenfalls diesen Trend – allerdings ist die pauschale Aussage, dass Elektrik besser ist als Hydraulik, schlichtweg falsch. Es gibt immer weniger Hydraulik-Fachkräfte, im Gegensatz dazu aber immer mehr Elektriker. Vielleicht werden deshalb tendenziell eher elektrische Lösungen verbaut – obwohl Hydraulik häufig die bessere Entscheidung wäre.
Wenn beide Technologien ihre Berechtigung haben: Wann empfiehlt es sich, Hydraulik einzusetzen und in welchen Fällen ist Elektrik die bessere Wahl?
Thomas Nied-Menninger: Als Faustregel kann man ansetzen: Je größer die Last und je dynamischer die Bewegung desto wahrscheinlicher ist Hydraulik die optimale Lösung: Bis zu einer Tonne sind fast immer elektromechanische oder pneumatische Antriebe eine Alternative. Ein bis vier Tonnen können sowohl mit Elektrik als auch mit Hydraulik bewegt werden. Fünf Tonnen und mehr hingegen sind ein klarer Fall für die Hydraulik. Die Dynamik spielt eine wichtige Rolle: Elektrik stößt bei Schwergewichten, die sehr schnell beschleunigt werden müssen, einfach an ihre Grenzen; das besagen schon die Gesetze der Physik.
Axel Binner: Aus diesem Grund kommen bei Industriemaschinen, die zum Beispiel Metall verarbeiten, zumeist hydraulische Lösungen zum Einsatz: Für das Walzen, Pressen, Stanzen, Schneiden und Biegen von Metall ist extrem viel Kraft erforderlich und wenn Maschinen kostengünstig und energieeffizient arbeiten sollen, ist Hydraulik fast immer die beste Lösung.
„Wir brauchen mehr Elektriker, die sich mit Hydraulik auseinandersetzen.“
Axel Binner, Geschäftsführer Hydropa
Stefan Löbeth, Geschäftsführer ACO Detego: Bei uns geht der Trend immer stärker zur Hydraulik. Wir fertigen nach Kundenanforderungen unter anderem Schachtabdeckungen, Bodentore und Notausstiege – und mittlerweile setzen wir in 99 Prozent der Aufträge auf Hydraulik. Lediglich ein Prozent sind elektrische Lösungen, die vom Kunden explizit so angefordert werden. Elektrohubzylinder benötigen deutlich mehr Raum als Hydraulikzylinder – das Einsparen von Platz ist für uns ein klares Argument für Hydraulik. Hinzu kommt: Die von uns gefertigten Schachtabdeckungen oder Entrauchungsklappen sind sehr schwer. Man muss sie auch im Notfall und bei Stromausfall öffnen können und das funktioniert zuverlässig mit Hydraulik, wenn wir einen Druckspeicher einbauen.
Einige Quellen sagen, dass Hydraulik nur 44 Prozent der Antriebsleitung überträgt – im Gegensatz zur Elektrik, die 80 Prozent abliefert. Was sagen Sie dazu?
Thomas Nied-Menninger: Sobald Elektrik es schafft, Supraleitungen bei Raumtemperatur bereitzustellen, dann hat Elektrik die Vorteile auf ihrer Seite, weil dann mit großen Strömen auch große Kräfte erzeugt werden können. Vorher nicht. Davon abgesehen bleiben solche Grafiken meistens die Herleitung schuldig – und bleiben damit Behauptungen.
Solche Aussagen sind einfach veraltet und basieren wahrscheinlich auf Anlagen, die in den 60er Jahren konstruiert wurden – die Schwerindustrie musste nicht auf Nachhaltigkeit achten, der tatsächliche Stromverbrauch spielte keine Rolle. Solche Anlagen wurden vielleicht noch mal in den 90ern überarbeitet und waren dann immer noch nicht energieeffizient.
Werden alte hydraulische Anlagen mit aktuell verfügbaren Komponenten neu überarbeitet und optimiert, sind diese so energieeffizient, dass sie innerhalb kürzester Zeit ihre Investitionskosten wieder einspielen. Sie dürfen also nicht die Leistung alter hydraulischer Anwendungen mit der Leistung neuer elektrischer Anwendungen vergleichen.
Axel Binner: Moderne Hydraulik wird ständig weiterentwickelt und – genau wie Elektrik – individuell auf die Funktion abgestimmt. Sie kann durch modernste Sensorik äußerst präzise gesteuert und geregelt werden. Die modernen Schnittstellen sind so aufgebaut, dass eine hydraulische Achse mit dem gleichen Aufwand in eine SPS-Steuerung integriert werden kann wie eine elektromechanische – der Programmierer bemerkt übrigens keinen Unterschied.
Bei mobilen Anwendungen wie zum Beispiel bei Landmaschinen und Erdbaumaschinen wird das übrigens schon immer so umgesetzt, denn diese müssen einfach extrem effizient funktionieren. Mobile Anwendungen waren technisch immer weiterentwickelter als Industrieanlagen – hydraulische On-Demand-Steuerungen sind hier schon seit langem Standard. Auch die Energierückgewinnung und strömungstechnische Optimierung werden mit Hilfe von neuen additiven Fertigungsmethoden erfolgreich umgesetzt.
Ist Hydraulik wartungsintensiver als Elektrik? Muss bei hydraulischen Systemen mit mehr Verschleiß gerechnet werden als bei elektrischen?
Axel Binner: Alte Hasen können sich bestimmt noch an Zeiten erinnern, als hydraulische Anwendungen häufig undicht waren und an Tropfsteinhöhlen erinnerten. Aber genauso, wie Sie heute unter Ihrem Auto auf Ihrem Parkplatz keinen Ölfleck mehr haben, ist moderne Hydraulik, vom erfahrenen Fachmann konstruiert, dicht und damit sauber.
Sie finden hydraulische Anwendungen deshalb zum Beispiel auch in der Papierindustrie, wo Verunreinigungen einfach nicht passieren dürfen. Davon abgesehen: Auch elektromechanische Lösungen arbeiten mit Schmierstoffen, müssen sich also genauso mit den Herausforderungen Dichtigkeit und Umweltverträglichkeit auseinandersetzen.
Thomas Nied-Menninger: Bei der Hydraulik liegen alle beweglichen Teile in hydraulischem Öl und sind deshalb weniger Reibung ausgesetzt. Das führt zu einem geringeren Verschleiß als bei der Elektrik. Wichtig ist, die ganze Anwendung zu sehen: Ein Beispiel: Wenn Sie ein Fahrzeug konstruieren, dass den Planeten Mars erkunden soll, dann muss ein solcher Mars-Rover für einen sehr langen Zeitraum komplett wartungsfrei funktionieren. Das ginge auch mit Hydraulik, wäre aber zu aufwendig – da fahren Sie mit einer elektromechanischen Lösung einfach besser.
Stefan Löbeth: Wir verbauen bei unseren Bodentoren und Schachtabdeckungen zum Beispiel Festverrohrungen statt Schläuche – Schläuche müssten nach spätestens sechs Jahren getauscht werden, Rohre halten einfach viel länger. Moderne Hydrauliksysteme sind also, wenn klug konstruiert, nicht wartungsintensiver oder verschleißanfälliger als elektrische Anlagen.
Was wünschen Sie sich in der Zukunft von Antriebstechnik?
Thomas Nied-Menninger: Ich wünsche mir weniger Pauschalisierungen und mehr individuelle Betrachtungen: Ingenieure verbessern gerne ihre allererste Lösung, bis sie sozusagen optimal ist. Es gibt aber immer mehr als eine Lösung und ich wünsche mir von Konstrukteuren mehr Mut, über den Tellerrand zu gucken, Dinge anders zu machen, die wirklich beste Lösung für die jeweilige Kundenanforderung zu finden.
Stefan Löbeth: Wir gehen sehr offen an Konstruktionsaufträge heran: Wir wollen wissen, wofür das Bodentor oder die Schachtabdeckung ist, wo es eingebaut wird, wie oft es geöffnet und geschlossen werden soll, wir holen alle notwendigen Informationen ein – erst dann planen und konstruieren wir die Lösung, die für den Kunden wirklich optimal ist.
Wir arbeiten mit externen Planungsbüros zusammen, die das Prinzip Gegengewichtsantrieb bevorzugen – immer macht das aber aus unserer Erfahrung keinen Sinn, denn dieses Prinzip reagiert sehr sensibel auf Zusatzgewichte. Stellen Sie sich vor, ein Bodentor öffnet sich im Brandfall nicht, nur weil ein Motorrad darauf abgestellt wurde!
„Es gibt aber immer mehr als eine Lösung und ich wünsche mir von Konstrukteuren mehr Mut, über den Tellerrand zu gucken [...].“
Professor Thomas Nied-Menninger, Hochschule Bochum
Axel Binner: Dem kann ich nur zustimmen: Wir brauchen mehr Elektriker, die sich mit Hydraulik auseinandersetzen und Konstrukteure, denen bewusst ist, dass Hydraulik schon lange keine Technik mehr von gestern ist, sondern ein feinfühliger und smarter Kraftprotz, der durchaus seine Berechtigung hat.
Ein Beispiel für die effiziente Verbindung beider Technologien findet sich in jedem herkömmlichen Pkw: Bremsen und Dämpfung funktionieren hydraulisch, während für das Öffnen von Fenstern, Türen oder Heckklappen weniger Kraft erforderlich ist – ein klarer Fall für die Elektrik. Wenn elektrische Lösungen mehr Sinn machen als hydraulische, kommunizieren wir das ganz klar unseren Kunden gegenüber. Und wir bieten Schulungen an, damit Unternehmen die Stärken beider Technologien völlig ausschöpfen können.
Auf einen Blick
Für viele Anwendungen ist mehr als eine Antriebsart denkbar. Welche am besten geeignet ist, hängt vom Einzelfall ab. Bei alten Hydraulik-Anlagen rentiert sich oft eine Überarbeitung mit aktuellen Komponenten.
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