Die Industrie ist verunsichert, der Forschungsfonds Fluidtechnik hat dem Phänomen ein Forschungsprojekt gewidmet.
Die Einschätzungen der Praktiker reichen von „permanente Gefahr für komplette Hydraulikanlagen“ bis zu „Marketinggag“. Oder man äußerst sich derzeit gar nicht, wie beispielsweise bei Walter Stauffenberg, wo man wissen ließ, „dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht verbindlich hierzu äußern möchten beziehungsweise können“. Skeptisch ob der Relevanz ist man auch bei Parker. Einige Unternehmen würden das Problem überbewerten, meint Marco van Boven, Marketingleiter der Hydraulic Filter Division Europe. „Oft ist die Ursache ein Fehler in der Ölauswahl, der Systemauslegung oder der falschen Verwendung von Komponenten.“
So könne zum Beispiel eine falsche Auslegung oder Positionierung des Ölbehälters zu starker Schaumbildung führen. Die elektrostatische Entladung könne dann sogar den Schaum zum Explodieren bringen. Relativ selten beobachte man hingegen das Durchbrennen von Filtermaterial. Boven: „Hin und wieder kann man an Ventilen (Steuerkolben) Schäden aufgrund elektrostatischer Entladung entdecken, aber im Verhältnis zu den vielen Systemen, die im Einsatz sind, bleiben die Reklamationen und Probleme gering.“
Keineswegs für einen Marketinggag hält man das Phänomen beim Filterhersteller Hydac. Dort geht man von einer „sehr großen Dunkelziffer von Schäden“ aus: „In Hydraulikanlagen kommt es zu Störungen wie Ausfällen der Elektronik, defekten Filterelementen und dadurch zu einer unzureichenden Reinheitsklasse im Öl und vorzeitiger Ölalterung“, erklärt Dr. John K. Duchowski, Leiter Technologieentwicklung des Hydac Fluid Care Center.
Diese Probleme würden in der Praxis jedoch oft gar nicht mit elektrostatischer Aufladung in Verbindung gebracht. Immerhin seien zurzeit schon etwa 50 Prozent aller Hydraulik- und Schmieröle in einem Leitfähigkeitsbereich, in dem es zu elektrostatischen Aufladungen kommen könne. Dr. Duchowski warnt: „Die Tendenz zu niedrig leitfähigen Ölen ist stark ansteigend, das prognostizieren vor allem die Ölhersteller, die ihre Kapazitäten zur Produktion der alten leitfähigen Öle nach eigenen Aussagen immer mehr zurückfahren.“
Diese Tendenz sieht auch Markus Claudy, Sales Manager EMEA bei Eaton Technologies. Hinzu käme die gestiegene Leistungsdichte, die zu kompakteren Anlagen führe und die Problematik der Ladungstrennung hydraulischen Systemen zusätzlich fördere.
Bei Hydac führt man die elektrostatische Aufladung ausschließlich auf diese niedrige Leitfähigkeit des Öles zurück, denn „aus Erfahrung wissen wir, dass es in Hydraulik- oder Schmierölsystemen keine kritische Aufladung mit Ölen gibt, die leitfähiger als 500 pS/m sind“. Sein Kollege Frank Jung, Geschäftsbereichsleiter bei Hydac Filter Systems, ergänzt: „Durch die geringere Löslichkeit für polare Stoffe kann es außerdem zur Bildung und Ablagerung von Varnish, das sind gel- bis harzartige oder feste lackähnliche Stoffe, in der gesamten Anlage kommen.“
Um ihrer vorzubeugen, eigneten sich Nebenstrom-Feinstfilter und bei bereits befallenen Anlagen Nebenstrom-Pflegesysteme auf Ionentauscherbasis. Und auch Parker-Mann van Boven bestätigt: „Bei Auftritt von Varnish muss der Alterungsprozess des Öles untersucht werden. Dabei muss auch geprüft werden, ob elektrostatischen Entladungen auftreten.“
Tankvolumen vergrößern ist keine Lösung auf Dauer
Eine weitere Vermutung hat Michael Kühnlein, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Dr.-Ing. Hubertus Murrenhoff am Institut für fluidtechnische Antriebe und Steuerungen (IFAS) der RWTH Aachen. Kühnlein untersucht das Phänomen im Rahmen eines vom Forschungsfonds Fluidtechnik geförderten Projekts seit Ende 2011 und glaubt: „Neben der geringeren Leitfähigkeit ist auch der Trend, vor allem in der Mobilhydraulik, zu immer kleineren Tankvolumina und damit einhergehend den verkürzten Verweilzeiten ein Treiber der Elektrostatik-Problematik, da dadurch die Zeit für den Ladungsausgleich im Tank geringer ist.“
Genau an diesem Punkt setzt auch Kühnleins Rat an, um kurzfristig für Abhilfe zu sorgen: „Es hilft, das Tankvolumen zu vergrößern, weil dadurch mehr Zeit für einen Ladungsausgleich im Tank bleibt.“ Das sei allerdings keine Lösung auf Dauer, denn dies stehe im Widerspruch zu der Entwicklung hin zu engeren Spalten und damit höheren Filtrationsanforderungen.
Gefordert seien die Filterhersteller, die Filterelemente entwickeln müssten, „die eine elektrostatische Aufladung weitgehend vermeiden oder zumindest reduzieren“. Gedanken müssten sich aber auch die Hydrauliköle-Hersteller machen, denn es gebe zwar Antistatik-Additive, „denen fehlt es aber an Langzeitstabilität“.
„Am wichtigsten ist der Dialog mit Anwendern und Ölherstellern, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen und sie für dieses mögliche Problem zu sensibilisieren“, erklärt auch Thomas Schäfer, Entwicklungsleiter Filter bei Bosch Rexroth. Dort beobachtet man das Phänomen der elektrostatischen Aufladung in Hydraulikfiltern seit mehr als fünf Jahren.
Allerdings liege der Schadensanteil „unterhalb von einem Prozent“. Als Sofortmaßnahme empfiehlt der Praktiker den Wechsel zu einer leitfähigen Hydraulikflüssigkeit und die deutliche Reduzierung der Strömungsgeschwindigkeit. Ein Schlüssel zur Problemlösung könnten auch die richtigen Öladditive sein. Ziel sei es, eine Leitfähigkeit „jenseits der kritischen Grenze von 300 pS/m“ zu erreichen. Schäfer: „Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass die nachträgliche Zugabe von Antistatik-Additiven nicht flächendeckend zum Einsatz kommt.“
Appell an die Ölhersteller
Bei den Bosch Rexroth bekannt gewordenen Schadensfällen habe die Leitfähigkeit weniger als 50 pS/m, in Einzelfällen sogar weniger als 10 pS/m betragen. Hinzu kämen jedoch weitere Faktoren wie Strömungsgeschwindigkeit, die Filterfeinheiten nach ISO 16.889 und die Temperatur, da die Leitfähigkeit mit der Temperatur zunehme. Geringeren Einfluss hätten hingegen der Wassergehalt und die höhere Reinheitsklasse.
Metallische Schmutzpartikel könnten die elektrostatische Aufladung reduzieren. Das bestätigt auch IFAS-Mann Kühnlein. Der metallische Abrieb in der Flüssigkeit erhöhe die Leitfähigkeit. „Anwender berichten von etwa zwei Wochen“, sagt Kühnlein. Diese Erfahrung hat auch Eaton-Mann Claudy gemacht: „Die Effekte treten nach der Einlaufphase der Anlage nahezu nicht mehr auf, da der anfängliche metallische Verschleiß die Leitfähigkeit erhöht.“
Opfer der Entladungen könnten alle Komponenten sein, vom Filterelement selbst über das Gehäuse bis zur gesamten Anlage. Die Funkenentladungen könnten elektrische Geräte wie Messelektroniken negativ beeinflussen. Außerdem verschlechterten sie die höhere Qualität durch thermische Überlastung, was einer Erhöhung des Verschleißes, Stillstand, Ausfallzeiten, ja sogar zu Brand, verbunden mit hohen Reparaturkosten, führen könne.
Als Sofortmaßnahme empfiehlt auch Markus Claudy einen größeren Tank, was allerdings selten umsetzbar sei. Weitere Möglichkeiten seien eine geringere Durchflussreibung durch größere Filter oder niedrigere Volumenströme sowie größere Anschlussrohrdurchmesser. „Bei Einsatz von Hydraulikflüssigkeiten mit einer Leitfähigkeit unter 300 pS/m empfehlen wir den Zusatz von Antistatikmitteln.“ Eine Aussage, wann das Problem endgültig gelöst sei, wagt Claudy derzeit nicht.
Auch bei Parker appelliert man an die Ölhersteller, ihren Beitrag zu leisten. Parker drängt auf einen neuen Industriestandard, der die Anzahl der Entladungen und die Energiefreigabe pro Entladung definiert. Würde die minimale Leitfähigkeit ebenso definiert wie heutzutage die Viskosität, „dann wäre das Problem stark reduziert“, so Marco van Boven. Nichtsdestotrotz bietet Parker ein spezielles Static-Control-Filter- Medium an, allerdings für Systeme mit höchsten Anforderungen an Öltyp und Qualität, beispielsweise zur Positionierung des Spiegels einer Sternwarte.
Einen großen Schritt in Richtung Problemlösung glaubt man jedoch bei Hydac mit Einführung der Stat-Free-Filtertechnologie gegangen zu sein. Die einzige technisch sinnvolle Maßnahme bestehe darin, die elektrostatische Aufladung zu vermeiden. Dr. Duchowski: „Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Aufladung an Stellen entsteht, an denen es viel Kontaktfläche pro Zeit zwischen zwei triboelektrisch sehr unterschiedlichen Materialien gibt.“ Da ein Filterelement aus sehr vielen kleinen Poren mit extrem großer Kontaktfläche bestehe, entstehe dort auch die größte Aufladung. Die Stat-Free-Filter leiteten beim Durchströmen Ladungen im Öl ab und verhindern somit solche Blitz-Entladungen.
Er hält den Ansatz anderer Hersteller, das Problem über eine Erhöhung der Leitfähigkeit zu lösen, für verkehrt. „Das verlagert das Problem nur, da das Filterelement das Öl immer noch sehr hoch auflädt, die Entladungen aber nicht am Filterelement stattfinden, sondern irgendwo dahinter, beispielsweise im Tank. Durch unsere neue Filtertechnologie konnten wir die Anzahl der Probleme signifikant reduzieren, vor allem die Aufladung.“ Das Ziel einer Nullaufladung habe man allerdings noch nicht erreicht, „daran arbeiten wir zurzeit“.
Ebenfalls eine spezielle Filterreihe hat man bei Argo-Hytos entwickelt. Exapor-Spark-Protect-Filter sorgen für einen Ladungsausgleich beim Durchströmen des Filtermaterials. Matthias Jung, Produktmanager Filterelemente: „Hierfür wurde ein spezieller, zum Patent angemeldeter Filterelement-Aufbau entwickelt, der für den Ladungsausgleich sorgt.“
Die Filter seien kompatibel zu Standard-Filterelementen. „Sie erfordern keine Umbau- oder Zusatzmaßnahmen an Filter und Hydrauliksystem, alle übrigen Filterleistungsdaten bleiben unverändert.“ Filter-Fachmann Jung empfiehlt deren Einsatz bei einer elektrischen Leitfähigkeit des verwendeten Hydrauliköles unter 500 pS/m. Der höhere Preis sei verglichen mit den hohen Kosten für Reparatur und Instandhaltungsmaßnahmen sowie dem Verdienstausfall während der Maschinenstillstandzeiten gering.
Autor: Michael Pyper, freier Journalist