Smart Retrofit ist eine gute Methode, einzelne Prozesse zu digitalisieren.

Smart Retrofit ist eine gute Methode, einzelne Prozesse zu digitalisieren. (Bild: alphaspirit-adobe.stock.com)

Um eine Maschine ‚smart‘ aufzurüsten, muss zunächst die Frage nach messbaren Größen gestellt werden. Diese Messgrößen dürfen nicht nach dem Gießkannenprinzip ermittelt werden, sondern sollten zielgerichtet auf die Probleme der Ursachenanalyse der 5-Times-Why-Methode zugeschnitten sein. Die somit ermittelten Bedarfsdaten zur Analyse sind nun sensorisch abzubilden. Dafür bietet eine Vielzahl von Anbietern passende Sensoren an. Der optimale Sensor ist bedarfsgerecht auszuwählen. Zu beachten ist hier Messbereich, Genauigkeit, Messgeschwindigkeit, Messprinzip, Robustheit, Versorgungs- und Anschlussprinzip und Form des Ausgangs­signals und dessen Stabilität gegenüber äußeren Einflüssen. Oft lassen sich die physikalischen Größen zur Transparenz des Problems nicht direkt messen. Hier nutzt man die Methode der virtuellen Sensorik.

Bei dieser Methode handelt es sich um eine Ableitung von Messgrößen aufgrund von vorliegenden Daten weiterer Sensoren, die Rückschlüsse auf die Ursache sicherstellen. Ein Beispiel ist die Korrelation von Temperatur, Druck und Viskosität von Öl. Anhand des Datenblattes lässt sich die Viskosität ableiten, ohne hierfür einen teuren Sensor einsetzen zu müssen. In den folgenden Beispielen finden sich weitere Anwendungen von direkten Messgrößen, aber auch von abgeleiteten physikalischen Größen und letztlich dem gesamten Zustand der Anlage.

Netzwerktopologie mit angepasstem Sicherheitskonzept

Zur Datenerfassung gehören weitaus mehr als nur Sensoren. Zur Datenerfassung und Datenübertragung eignet sich ein Edge Device mit Gateway-Funktion und intelligenter Steuerung für höhere Ansprüche. Zur Anbindung der Sensoren müssen passende Hardwareanschlüsse für die Versorgung und das Ausgangssignal der Sensoren in ausreichendem Umfang vorhanden sein. Der Messbereich sollte groß genug für die zu erfassenden Werte ausgelegt sein. Von großer Bedeutung ist die Fehlerrate und die Sampling-Geschwindigkeit der Messeingänge. Diese Eingänge müssen mit dem Ausgangssignal des Sensors in Signaltyp sowie Belastbarkeit abgeglichen sein, um Beschädigungen vorzubeugen. Wichtig zu erwähnen ist auch die Skalierbarkeit des Systems. Sind im Nachgang weitere Use Cases abzubilden, sollte das System jederzeit ohne große Mehraufwände und Kosten erweiterbar sein.

Die Grundvoraussetzung für den Datentransfer ist eine Netzwerktopologie mit angepasstem Sicherheitskonzept. Kernelemente sind dabei das Edge Device, das Manufacturing Execution System (MES) und das Enterprise Resource Planning System (ERP) oder eine IoT-Plattform (Internet of Things). Das Edge Device übernimmt alle Tätigkeiten rund um die Maschine. Es erhält die Aufträge vom MES und steuert die Maschine über eine integrierte speicherprogrammierbare Steuerung (SPS). Gleichzeitig erhält das Device die Daten aus der neu integrierten Sensorik, wertet diese gegebenenfalls aus und leitet sie zur Speicherung in Datenbanken weiter oder steuert, anhand der aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse, eine entsprechende Aktorik an.

Im Use-Case-Reflow- Ofen ist das Einhalten einer konstanten Temperatur die Herausforderung.
Im Use-Case-Reflow-Ofen ist das Einhalten einer konstanten Temperatur die Herausforderung. (Bild: nordroden-adobe. stock.com)

Durch die Verknüpfung mit dem MES und dem ERP kann das Edge Device auch Regel- und Ticketmanagement übernehmen. So können Aktionen wie die Beauftragung der Instandhaltung zur Wartung der Maschine oder die Beschaffung von Ersatzteilen direkt durch das Edge Device veranlasst werden.

Anwendungsfall ‚Reflow-Ofen‘

Die Herausforderung im vorliegenden Beispiel des Reflow-Ofens ist das Einhalten einer konstanten Temperatur im Ofen. Nach durchgeführter 5-Times-Why-Analyse hat sich herausgestellt, dass die Temperatur neben dem Heizelement maßgeblich durch einen Lüfter im Gehäuse reguliert wird. Die Regulierung des Heizmoduls ist nicht möglich. Ziel des Anwendungsfalls muss also sein, die Störung wie Ausfall oder Vibration des Lüfters zu detektieren und eine Eskalation des Fehlers zu starten.

Das System in Lösungsbausteinen

Nach der 5-Times-How-Methode soll nun die benötigte Funktion in mehrere Lösungsbausteine unterteilt werden. Die Analyse hat für den Beispielfall ergeben, dass drei ineinandergreifende Lösungsbausteine abgeleitet werden können. Hierbei wurde die Unterteilung auf Basis der verwendeten Hard- und Software getroffen, da davon auszugehen ist, dass für die Umsetzung verschiedene Verantwortlichkeiten berührt werden. So wird etwa die Eskalation als Benachrichtigung an ein außerhalb der Maschine liegendes System (MES) gesendet. Die Integration eines Sensors zur Detektion des Lüfterausfalls bedingt höchstwahrscheinlich das Einbeziehen eines anderen Personenkreises. Ebenso wird davon ausgegangen, dass ein Zurücksetzen in den Normalzustand nötig wird, was eine Interaktion mit dem Benutzer (GUI/HMI) bedingt.

Detektion einer Störung des Lüfters

Die Anforderungen an die Detektion können nun genauer spezifiziert werden. Beispielsweise können hier Abtastraten, Toleranzen und Wertebereiche definiert werden. Sind alle Anforderungen formuliert, wird eine Lösungsskizze erarbeitet. Im vorliegenden Fall sieht die Lösungsskizze einen Vibrationssensor vor, der ab einer bestimmten Schwingungsstärke ein Feld in der Maschinensteuerung setzt und eine vordefinierte Funktion zur Eskalation aufruft.

Eskalation des Fehlers

Eine beispielhafte Anforderung an die Eskalation könnten die Reaktionsgeschwindigkeit oder das zu verwendende Kommunikationsprotokoll des Zielsystems sein. Die Lösungsskizze sieht einen Node-RED Flow (Ablauflogik) vor, der auf die Änderung des vom Vibrationssensors gesetzten Wertes reagiert und diesen an das MES sendet.

Die Instandhaltung kann über die Fehlermeldung informiert und eine Ersatzteilbestellung automatisch im ERP ausgelöst werden.
Die Instandhaltung kann über die Fehlermeldung informiert und eine Ersatzteilbestellung automatisch im ERP ausgelöst werden. (Bild: Kwanchanokadobe. stock.com)

Fehler-Zurücksetzung nach Behebung

Die Anforderungen an das Zurücksetzen des Systems in den Normalzustand können in diesem Fall einfach gehalten werden. Eine mögliche Anforderung könnte die Bedingung der Eingabe einer Notiz zur Beschreibung der Fehlerbehebung sein. Als Lösungsskizze wird eine grafische Oberfläche vorgesehen, die einen personalisierten Login, ein Feld zur Fehlerbeschreibung und einen Bestätigungsbutton für den Beginn der Wartungsarbeiten abbilden soll. Ebenfalls soll ein Ende der Wartungsarbeiten über diese grafische Oberfläche dokumentiert werden.

Gebrauchsnutzen der Lösungsbausteine

Die Analyse des Gebrauchsnutzens der Lösungsbausteine hat ergeben, dass das MES mit der isolierten Information des Sensorwerts keine weiteren sinnvollen Aktionen triggern kann. Daher muss die Lösungsskizze erweitert werden. Die Benachrichtigung wird mit Informationen über Maschinenname, Zeitstempel und SI-Einheit des gemessenen Wertes erweitert. Auch hat sich durch die Betrachtung der dem Benutzer zur Verfügung stehenden Systeme herausgestellt, dass bereits eine Log-Buch-Lösung im Einsatz ist und dort jegliche Fehlerbehebungen der Anlage dokumentiert werden.

Eine zweite Implementierung dieser Funktion ist somit überflüssig. Ebenso sind die Arbeitsabläufe im Beispielunternehmen so organisiert, dass jeder Fehlermeldung von Maschinen innerhalb von 30 min nachgegangen werden muss. Damit sind die Informationen über Wartungsbeginn und -ende für diesen Anwendungsfall überflüssig. Die Lösungsskizze soll folglich so abgeändert und vereinfacht werden, dass der Fehlerzustand automatisch zurückgenommen wird, sobald der Messwert unter den Grenzwert fällt. Eine Benutzerinteraktion wird somit hinfällig.

Aufbau des Anwendungsfalles

Mit Hilfe der Basistopologie und der Lösungsskizze kann nun ein Beispielaufbau für Hardware und Software entwickelt werden. Für die Hardware wurde der in der Grafik gezeigte Aufbau gewählt. Das Edge Device, die Rexroth ctrlX, ist hier Kern des Aufbaus. Über einen Buskoppler und die entsprechenden analogen und digitalen I/Os werden sowohl der Lüfter als auch der Vibrationssensor angeschlossen.

Der Buskoppler selbst ist per EtherCAT mit dem Edge Device verbunden. Um eine Verknüpfung des Edge Devices mit dem MES herzustellen, wird ein Router an das System angeschlossen. Der Switch, über den beide Geräte miteinander verbunden sind, ermöglicht eine Erweiterung des Systems mit weiteren Edge Devices. Im gegebenen Anwendungsfall wird ein Auftrag durch Einlesen eines Barcodes gestartet. Das Edge Device gibt den Steuerungsbefehl an die Maschine und startet dadurch den Lüfter. Während der Auftrag bearbeitet wird, sammelt der Vibrationssensor Daten, welche im Edge Device ausgelesen werden, um eine Störung des Lüfters zu Detektieren.

Automatisches Ticket

Wird ein Warnschwellwert überschritten, gibt das System automatisch über einen Node-RED Workflow ein Ticket im MES auf, um die Instandhaltung über die Fehlermeldung zu informieren. Auch kann über ein Ticket im ERP-System automatisiert das notwendige Ersatzteil, in diesem Fall ein Lüfter, beschafft werden. Die Software des Edge Devices ist dabei so angepasst, dass die Fehlermeldung auch automatisiert zurückgenommen werden kann.

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Weiterentwicklung des CPS

Die Nutzungsmöglichkeiten des CPS gehen weit über das Predictive Maintenance hinaus. In direkter Anlehnung an den zuvor beschriebenen Use Case »Reflow Ofen« kann von einer weiteren Nutzungsmöglichkeit des CPS Gebrauch gemacht werden. Um den Ofen wieder in Betrieb zu nehmen, ist eine Prozessfreigabe nach DIN EN ISO 9001 notwendig. Konventionell werden Reparatur und Inbetriebnahme durch die Instandhaltung mit den zuständigen technischen Abteilungen durchgeführt. Die Ertüchtigung des Systems als CPS ermöglicht nun einen anderen Weg.

So können der Austausch und die anschließende Inbetriebnahme des Lüfters durch einen Fertigungsmitarbeiter vor Ort durchgeführt werden. Die Instandhaltung muss vom Instandhalter nicht mehr in Präsenz stattfinden. Die Prozessfreigabe erfolgt im Tandem aus Fertigungsmitarbeiter vor Ort und Instandhalter remote. Dafür nutzt der Fertigungsmitarbeiter ein Kamerasystem, etwa von einer Augmented-Reality-Brille. Dem Instandhalter liegen das Kamerabild sowie die verfügbaren Sensordaten vor. Er kann alle Einstellungen aus der Distanz vornehmen. Der Fertigungsmitarbeiter vor Ort muss nur eingreifen, falls an der Maschine direkt Änderungen vorgenommen werden müssen. Ein Beispiel hierfür sind zu hohe Vibrationen durch nicht ordnungsgemäß angezogene Schrauben.

Fazit und Empfehlungen für KMU

Die hier vorgestellte Methode kann in vielfältigen Anwendungsszenarien im Smart Retrofit in der Produktion eingesetzt werden. Gerade wenn größere Investitionen kaum möglich sind, liefert das Smart Retrofit eine gute Alternative, um einzelne Prozesse zu digitalisieren. Der vorgestellte Baukasten ist modular aufgebaut und kann als standardisiertes Vorgehen auf weitere Use Cases übertragen werden. Für KMU ergibt sich mit diesem Baukasten die Möglichkeit, schnell und kostengünstig in die Digitalisierung ihrer Maschinen und Arbeitsprozesse einzusteigen und so die eigene Produktion auf ein neues Level zu heben.

AUTOREN: TOBIAS EUSTERWIEMANN & FLORIAN MAIER (BEIDE FRAUNHOFER IPA) UND JULIANE HESS & MARKO GUTH (BEIDE BOSCH REXROTH)

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