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Digitale Schulungen reduzieren Reisekosten und Gesundheitsrisiken. Sie eigenen sich insbesondere für theorielastige Themen. - (Bild: fizkes – stock.adobe.com)

Die Digitalisierung von Veranstaltungen hat in den letzten Monaten große Sprünge nach vorn gemacht. Verschiedene Konzepte wurden und werden ausprobiert. Das reicht vom einfachen Vortragsvideo mit Folienpräsentation bis zu virtuellen Welten. Letzteres, also eine Multiplayer-Simulation, die der Fortbildung im Hydraulik-Bereich dient, werde ich heute kennenlernen.

Bevor es losgeht, erklärt ein Tutorial, wie man seine Figur beziehungsweise Avatar durch die digitale Landschaft bewegt. Das funktioniert ähnlich wie bei einem Ego-Shooter mit den Tasten w, a, s und d. Die Blickrichtung wird mit der Maus kontrolliert. Ich suche mir einen Avatar aus, der etwas Ähnlichkeit mit mir hat, statte ihn mit einer Brille aus und trete der Veranstaltung bei.

Erste Schritte in der virtuellen Umgebung

Startpunkt ist die Lobby des Schulungscenters. Durch bodentiefe Fenster sehe ich draußen eine Terrasse und einen See. Obwohl ich eher ein Computerspiel-Muffel bin, gelingt es mir ganz leicht, den Avatar zur Terrassentür hinauszubewegen. Auf einem Rattan-Sessel hat Thomas Küpper seinen Avatar Platz nehmen lassen. Der Hydraulikexperte ist Trainer beim Schulungsveranstalter ATT und heute mein Gastgeber. Wir begrüßen uns und Küpper, der anders als die Schulungsteilnehmer, das Terrain verändern kann, lässt einen wandgroßen Monitor erscheinen. „Zum Kennenlernen zeigt bei den Trainings jeder mit dem Laserpointer auf der Karte, wo er gerade sitzt“, erklärt er. Ich klicke weisungsgemäß auf das Mausrad und tatsächlich erscheint ein roter Lichtstrahl.

Vorteile digitaler Schulungen

Avatar,
Thomas Küpper (Avatar links) und Torben Bötzel führen durch die digitale Schulungswelt. - (Bild: do/ATT)

Während ich weitere Werkzeuge aus der Toolbox der Teilnehmer ausprobiere, erklärt Küpper, dass der Fortbildungsanbieter ATT schon vor der Corona-Krise an einer digitalen Schulungslandschaft arbeitete. „Wenn wir eine Präsenzschulung in Kiel machen, kommen die Teilnehmer auch nur aus diesem Raum. Digital hingegen bringen wir Leute aus ganz Deutschland zusammen. Dadurch können wir auch Schulungen anbieten, wenn es lokal für ein bestimmtes Thema mal nicht genug Interessenten gibt“, berichtet der Trainer. Dies war aber nicht der einzige Grund für die Digitalisierung der Schulungen. Es ging auch um Reisekosten für die Teilnehmer und Trainer. Zwar fallen auch für die Benutzung der Schulungssoftware Kosten an, aber diese liegen deutlich unter dem, was bei Fahrtkosten, Hotelübernachtungen und Equipment-Logistik zusammenkommt. Diesen Vorteil gibt das Unternehmen als günstigeren Veranstaltungspreis an die Schulungsteilnehmer weiter.

„Der Vorteil der digitalen Welt ist, dass man auch Überraschungen einbauen kann. Das macht das Lernen interessanter und abwechslungsreicher. “

Thomas Küpper,Trainer, ATT

Besonderheiten virtueller Fortbildungen

Als ich den Blick mal wieder schweifen lasse, haben sich vor mir unerwartet ein Stehtisch mit Kaffeetassen, bunte Oster-Eier und ein Porzellanhase materialisiert. „Der Vorteil der digitalen Welt ist, dass man auch Überraschungen einbauen kann“, kommentiert Küpper. „Das macht das Lernen interessanter und abwechslungsreicher.“ Auf dem Boden erscheinen farbige, nummerierte Felder. „Hiermit kann man zum Beispiel Abstimmungen machen oder die Teilnehmer Multiple-Choice-Fragen beantworten lassen.“ Ich stelle mich auf Feld 4, das bestätigend aufleuchtet. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich viel mit Computerspielen beschäftigen“, erzählt der Trainer. „Deshalb war diese Umgebung anfangs Neuland für mich. Aber ich habe von Training zu Training neue Möglichkeiten entdeckt Medien zu präsentieren und Gruppen zusammenzubringen.“

Schulungsumgebung,
Gemessen daran, was in einer virtuellen Welt alles möglich wäre, ist die Schulungsumgebung zwar gefällig, aber zurückhalten gestaltet. - (Bild: do/ATT)

Inzwischen hat sich Torben Bötzel aus der Marketingabteilung des Unternehmens hinzugesellt und wir, beziehungsweise unsere Avatare, streifen gemeinsam durch das Schulungscenter. Es stellt einen Bungalow dar. Im Ausstellungsraum sind Baufahrzeuge platziert – leider bleiben sie für mich unsichtbar. Solche kleineren technischen Probleme treten in der virtuellen Schulungswelt hin und wieder auf. Bötzel und Küpper führen dies auf das enorme Wachstum der digitalen Veranstaltungen während der Corona-Pandemie zurück, welche die Server des Anbieters manchmal an den Rand ihrer Kapazität bringt.

Dazu kommen Schwierigkeiten, die bei allen digitalen Veranstaltungen zutage treten, weil Ausstattung und Netzverbindung der Teilnehmer nicht immer mitspielen. „Wir bekommen im Feedback teilweise Kritik zur Stabilität, aber die Welt an sich, die Steuerung des Avatars – das wird sehr gut bewertet“, berichtet Bötzel. „Selbst Teilnehmer, die mit Computerspielen nichts am Hut haben, finden sich spätestens nach zwei Stunden problemlos hier zurecht.“

Kommentar

Im beruflichen Umfeld gerät manchmal aus dem Blick, dass es sich bei den Arbeitskräften größtenteils um Menschen und nicht um Roboter handelt. Anders als Maschinen lernen und arbeite Personen besser, wenn sie auch emotional angesprochen und motiviert werden. Wenn es darum geht, Leute an den Bildschirm zu bringen, hat niemand mehr Erfahrung und Erfolg als die Spieleindustrie. Dass virtuelle Welten hauptsächlich für den Freizeit- und E-Sports-Bereich entwickelt wurden, spricht aber ja nicht dagegen, bewährte Konzepte auch im professionellen Schulungsumfeld zu verwenden. Im Gegenteil könnten Schulungs-Anbieter möglicherweise noch stärker von den Erkenntnissen der Games-Hersteller profitieren, wenn es darum geht, die Motivation der Teilnehmer zu stärken und ihr Interesse zu wecken. 

Beamen spart Zeit

Live-Demo,
Teilnehmer versammeln sich für eine Live-Demonstration. - (Bild: do/ATT)

Wir betreten einen Raum, in dem gerade eine Handvoll Teilnehmer eine Gruppenaufgabe löst. „Läuft alles bei euch?“, fragt der zuständige Trainer sie. „In fünf Minuten beame ich euch wieder herüber, ok?“ Küpper richtet uns einen persönlichen Audio-Kanal ein, damit wir die Gruppe nicht bei der Arbeit stören. „So eine Gruppenaufgabe kann zum Beispiel sein, dass die Teilnehmer anhand von Messwerten herausfinden müssen, wo in einem System die Störung ist“, erklärt er. Über einen großen Monitor können sie im Internet gemeinsam Informationen recherchieren, um ihre Aufgabe zu lösen. Damit die Wege zwischen den Räumen nicht zum Zeitfresser werden, kann ein Trainer die Teilnehmer per Mausklick auf verschiedene Räume verteilen und auch wieder zurückholen.

Inzwischen versammeln sich die Teilnehmer-Avatare einer laufenden Schulung um einen wandgroßen Bildschirm im Eingangsbereich, wo gleich eine Live-Schaltung zum Thema Pumpeninstandhaltung stattfinden wird. Solche Videos, in denen an einer Maschine bestimmte Aufgaben demonstriert werden, dienen auch dazu, die fehlende Haptik des digitalen Raums etwas zu ersetzen. „Was auch fehlt, ist die Mimik der Teilnehmer. Deshalb muss man als Trainer mehr nachfragen als bei einer Präsenzschulung. Das funktioniert aber sehr gut“, berichtet Küpper. Laut der Bewertungsbögen, die er mir zeigt, sehen das die Teilnehmer auch so: Demnach würden sechs von sechs Teilnehmern die Onlineschulung weiterempfehlen.

So geht es nach Corona weiter

Für die digitalen Schulungen eignen sich vor allem Themen, die viel Theorie beinhalten, zum Beispiel Fortbildungen zur befähigten Person für Schlauchleitungen oder Grundlagen-Schulungen zur Hydraulik. „In diesem Bereich werden auch nach der Pandemie mehr Schulungen online als präsent stattfinden“, ist Bötzel überzeugt.

Nach gut zwei Stunden verlasse ich die Digitalveranstaltung, etwas überrascht, wie schnell die Zeit vergangen ist. Meine anfängliche Skepsis gegenüber dem Konzept hat sich als unbegründet herausgestellt. Obwohl technisch nicht alles perfekt lief, bleibt mir der Besuch in der virtuellen Schulungswelt als angenehme Unterbrechung des Pandemie-Alltags in Erinnerung.

Zum Schulungsanbieter

Advanced Training Technologies (ATT) ist auf technische Schulung in der Hydraulik und angrenzenden Fachgebieten spezialisiert. Seit 1989 sammelt das Unternehmen Erfahrung im Trainingsalltag, damals noch unter dem Namen Fluid Training. Nach und nach erweiterte die Firma ihr Portfolio und wurde schließlich in ATT eingegliedert. Das Ziel ist bei Präsenz- und Online-Schulungen, Fachwissen mit Spaß zu vermitteln – das Unternehmen spricht hier von „Entertrainment“. Um die Teilnehmer möglichst gut miteinzubeziehen und in die digitale Welt zu ziehen, kamen die üblichen Videokonferenz-Tools nicht in Frage. Mit der digitalen Schulungswelt ATT Space ist das Unternehmen sehr zufrieden. Für die digitale Welt wurden die bisherigen Schulungen gezielt an die Lernumgebung angepasst.

Auf einen Blick

ATT verwendet für digitale Schulungen eine virtuelle Umgebung, in der jeder Teilnehmer über einen Avatar repräsentiert wird. Das Konzept enthält als Bausteine unter anderem: Vorträge, Arbeit mit Whiteboards, Gruppenarbeit und Live-Demonstrationen. Das Ziel ist, über Interaktion und ein abwechslungsreiches Programm die Motivation und den Lernerfolg zu verstärken.

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