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Drähte aus Nickel-Titan, einer Formgedächtnislegierung, sind die Basis des künstlichen Muskels. Wenn die zuvor gespannten Drähte bei Raumtemperatur entlastet werden, kühlen sie sich um bis zu 20 Grad ab. (Bild: Universität Saarland)

Das Forscherteam der Professoren Stefan Seelecke und Andreas Schütze von der Universität des Saarlandes hat eine neue Art des Heizens und Kühlens entwickelt. Der Prototyp transportiert Wärme mit „Muskeln“ aus Nickel-Titan. Dieses Formgedächtnismaterial, auch künstlicher Muskel genannt, gibt Wärme ab, wenn es im sogenannten superelastischen Zustand gezogen wird, und nimmt sie auf, wenn es entlastet wird. Den Effekt nutzen die Forscher für ihre umweltfreundliche Kühl- und Heiztechnik, die bereits doppelt bis dreifach so effizient ist wie übliche Heiz- und Kühlgeräte.

Weitere Forschungsprojekte in Hannover

3D-Multimaterialdruck bei Wärmetauschern

Auch Forscher der Technischen Universität Chemnitz präsentierten ein Projekt aus dem Bereich Heizen und Kühlen auf der Hannover Messe: Johannes Rudolph und Fabian Lorenz der Professur für Elektrische Energiewandlungssysteme und Antriebe gelang der Druck spezieller Wärmetauscher, die über eine keramische Innenstruktur verfügen. Bei der Herstellung wurden hochviskosen Pasten durch ein Extrusionsverfahren schichtweise in Form gebracht und anschließend gesintert. „Dadurch lässt sich eine elektrische und chemische Isolation des Kühlmediums gewährleisten, was für die Kühlung von leistungselektronischen Bauelementen und in chemischen Prozessindustrie neue Möglichkeiten eröffnet“, erklärt Rudolph. Die gedruckten Bauteile können Temperaturen von mehr als 300 Grad Celsius standhalten. Aufgrund des breiten Interesses am 3D-Multimaterialdruck konnten die Chemnitzer Forscher bereits mehrere Industriepartner für eine Zusammenarbeit gewinnen. „Unser Arbeitsschwerpunkt lag vor allem in der Weiterentwicklung des Druckverfahrens, wodurch die Prozesssicherheit und die Qualität der Bauteile gesteigert werden konnte“, sagt Lorenz.

Die EU-Kommission und das US Department of Energy bewerteten das Verfahren als zukunftsträchtigste Alternative zur etablierten Kältekompressionstechnologie. Auf der Hannover Messe zeigten die Wissenschaftler diese Technologie am saarländischen Forschungsstand (Halle 2, Stand B 46). Der Prototyp verwendet für den Wärmetransport eine völlig neue Methode, die neben ihrer Effizienz weitere Vorteile hat. „Klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel etwa braucht man dafür nicht“, erklärt Messtechniker Professor Andreas Schütze.

Im Grunde beruht das Verfahren schlicht darauf, dass Drähte aus einer besonderen Formgedächtnislegierung, in diesem Falle Nickel-Titan, kurz „NiTi“ genannt, gezogen und wieder entlastet werden. „Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese“, erläutert Stefan Seelecke, Professor für Intelligente Materialsysteme der Universität. Bei den Drähten aus Nickel-Titan ist dieser Effekt besonders stark: „Wenn zuvor gespannte Drähte bei Raumtemperatur wieder entlastet werden, kühlen sie sich dadurch um bis zu etwa 20 Grad ab“, sagt Felix Welsch, der gemeinsam mit Susanne-Marie Kirsch im Rahmen von Doktorarbeiten am Prototyp arbeitet. Das macht es möglich, Wärme abzutransportieren. „Beim Belasten findet eine ebenso große Erwärmung statt, sodass der Prozess auch als Wärmepumpe eingesetzt werden kann“, erklärt Welsch.

Der Prototyp, den die Forschergruppe jetzt auf der Hannover Messe vorgestellt hat, ist die erste kontinuierlich laufende Maschine, die Luft mit dem neuen Verfahren kühlt. Ein speziell konstruierter, zum Patent angemeldeter Nockenantrieb sorgt dafür, dass während der Rotation fortwährend Bündel aus 200 Mikrometer dicken NiTi-Drähten gezogen und entlastet werden. In zwei Kammern wird Luft durch die Bündel geblasen. In der einen wird sie erwärmt und in der anderen gekühlt. So lässt sich die Maschine wahlweise als Wärmepumpe oder Kühlmaschine betreiben.

Was so einfach klingt, ist ein kniffliges Unterfangen: Mehrere Jahre haben die Ingenieure an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in verschiedenen Projekten geforscht: Mit Versuchsreihen und Simulations-Modellen fanden sie heraus, wie der Mechanismus am effizientesten abläuft, wie stark die Drähte gezogen werden müssen, um eine bestimmte Kühlleistung zu erreichen, welche Drehzahl bei der Rotation am besten ist und wie viele Drähte sie bündeln müssen: „Durch die größere Oberfläche ist der Wärmetransport schneller, daher kühlen Bündel viel besser“, erklärt Susanne-Marie Kirsch.

Mit einer Thermokamera analysierten die Ingenieure, wie Erwärmung und Abkühlung exakt ablaufen. Durch diese Forschungen haben sie Stellschrauben an der Hand, mit denen sie das System an den Bedarf verschiedener Anlagen anpassen können: „Wir haben mit den Ergebnissen aus den bisherigen Forschungen eine Software entwickelt. Damit können wir unsere Heiz- und Kühltechnik für verschiedene Anforderungen am Computer exakt anpassen und Systeme planen, die dann gebaut werden können“, erklärt Kirsch.

Diese Grundlagenforschung könnte für die Industrie interessant werden. Denn die neue Heiz- und Kühltechnik ist effizient. Je nach Legierung kann sie bis zu dreißigmal mehr Wärme- oder Kühlleistung abgeben als sie mechanische Leistung beim Ziehen und Loslassen benötigt. Damit ist das System bereits zweimal besser als eine Wärmepumpe und dreimal besser als ein bislang üblicher Kühlschrank. „Und dazu ist sie umwelt- und klimafreundlich, da die Kühlung oder Erwärmung unmittelbar erfolgt. So kann beispielsweise Luft in einer Klimaanlage ohne zwischengeschaltete Wärmetauscher gekühlt werden, und wir benötigen dazu keine hochdruckfesten und dichten Leitungssysteme“, erläutert Professor Seelecke.

Jetzt forschen die Saarbrücker Ingenieurinnen und Ingenieure daran, die Wärmeübertragung der Maschine weiter zu verbessern, um die Effizienz noch zu steigern „Wir wollen erreichen, dass die gesamte Energie aus den Phasenumwandlungen möglichst vollständig zum Kühlen oder Heizen verwendet wird“, erklärt Doktorand Felix Welsch. do

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