Wind, Welle und Strömung enthalten zusammen 300-mal mehr Energie, als die Menschheit insgesamt verbraucht. Theoretisch könnten diese Energieressourcen allein also den gesamten denkbaren Strombedarf decken. Die Lösung unserer Energieprobleme scheint direkt vor der Haustür zu liegen: Im Gegensatz zur Solarenergie steht die Meeresenergie zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit. Anders als bei der Windenergie sind Gezeiten, Strömungen und bis zu einem gewissen Grad auch Wellengang immer vorhanden und langfristig planbar.
Andererseits sind 90 Prozent der Ozeanflächen so weit vom Land entfernt, dass Netzanbindung und Wartung von Meereskraftwerken wohl noch die nächsten zehn bis 15 Jahre große Schwierigkeiten bereiten werden. In Küstennähe hingegen drohen Konflikte mit Fischern, Schifffahrt und Tourismus sowie Umweltprobleme. Trotzdem sind sich die Experten einig: Innovative Anlagen zur Nutzung der Meeresenergie können innerhalb weniger Jahrzehnte mindestens so viel Strom erzeugen wie 100 Kernkraftwerke. Nicht mithilfe einer einzigen Technik, sondern in der sinnvollen Kombination ganz unterschiedlicher Kraftwerkstypen.
Technische Goldgräberstimmung
Bei einem Blick auf den aktuellen Markt wird man feststellen, dass in dem Bereich Meeresenergie eine Art technische Goldgräberstimmung herrscht: Es gibt eine enorme Anzahl von Ansätzen, wie die Energie abgenommen werden und wie und wo sie in Strom konvertiert werden kann. Zahlreiche Ideen werden getestet – und viele erscheinen in technischer Hinsicht durchaus solide. Allerdings sind die Entwicklungs-, Installations- und Wartungskosten momentan noch derart hoch, dass es nur wenige Projekte bis zur Marktreife schaffen.
Noch sind so gut wie alle Technologien auf Förderung angewiesen, denn oft werden sie von jungen und kleinen Unternehmen vorangetrieben. Diese haben nicht selten Schwierigkeiten damit, mit den Anlagen Projektgrößen zu erreichen, die die Rentabilität solcher Investitionen möglich machen. Eine staatliche Förderung der Technologien ist somit unerlässlich. Die gibt es aber nur in Ländern, die die geographischen Voraussetzungen dafür mitbringen, vor ihrer Küste derartige Projekte einsetzen zu können. Prominentester Vertreter in Europa ist hier die schottische Regierung.
Sie setzt konsequent auf Meeresenergie und möchte aus Schottland das „weltweite Zentrum der Wellen- und Meeresströmungsenergie“ machen. Da ist es kein Wunder, dass sich unter anderem auch große deutsche Firmen wie Siemens oder Bosch Rexroth in britische Unternehmen einbringen oder Zusammenarbeiten etablieren, um an diesem Markt partizipieren zu können.
Energie aus den Gezeiten
Energie lässt sich im maritimen Bereich aus diversen physikalischen Effekten gewinnen. Mit Offshoreparks wird bereits in großem Umfang die Windenergie über dem Meer genutzt. Darüber hinaus lässt sich Energie durch Meereswärmekraftwerke aus den Temperaturunterschieden in verschiedenen Meerestiefen gewinnen.
Osmosekraftwerke arbeiten an Stellen, wo große Flüsse in das Meer fließen, mit dem Salzgehaltunterschied zwischen Fluss- und Seewasser. Gezeitenkraftwerke arbeiten ähnlich wie die Kraftwerke an einem Stausee – mit dem Unterschied, dass die Wassermassen nicht bergab fließen, sondern durch Ebbe und Flut hin- und her bewegt werden.
Strömungsenergietechnik baut auf bekannter Windenergietechnik auf: Ganz ähnlich wie bei einer Windkraftanlage werden bei Strömungskraftwerken Unterwasserrotoren verwendet, die durch die Wasserbewegung angetrieben werden. Küstenregionen mit starkem Gezeitenstrom wie Großbritannien, Kanada, Frankreich und im ostasiatischen Raum haben große Potenziale zur Nutzung dieser Technologie.
Das britische Unternehmen Marine Current Turbines (MCT), mittlerweile eine 100%-ige Tochter von Siemens, entwickelte eine Anlage bestehend aus einem circa 40 Meter hohen Turm, der auf dem Meeresgrund verankert ist und über die Wasserfläche herausragt. An diesem Turm ist eine Traverse befestigt, die wiederum die Rotoren an den Enden trägt.
Die beiden Antriebsstränge besitzen jeweils einen Rotor mit 16 Meter Durchmesser und haben ein Gewicht von 27 Tonnen. Die Traverse lässt sich hydraulisch auf der senkrechten Achse bewegen – zu Wartungszwecken über das Wasser in die Höhe und zum Betrieb zurück unter die Wasserlinie. „SeaGen“ heißt diese Anlage, die in einer Meerenge in Nordirland installiert ist. Die SeaGen-Technik lehnt sich eng an das Vorbild der Windräder an: So lässt sich je nach Strömung der Anstellwinkel der Rotoren und die Drehzahl variieren, die Drehbewegung wird über einen Generator umgewandelt.
Zwar sind die Investitionskosten für Meeresströmungskraftwerke aufgrund ihrer hohen Installationskosten noch etwa doppelt so hoch wie bei Offshore-Windkraftanlagen, jedoch hat der grüne Strom aus dem Meer einige Vorteile: Wasser hat eine 800-mal größere Dichte als Wind, daher ist bei gleicher Strömungsgeschwindigkeit das Energieaufkommen deutlich höher als bei der Windkraft.
Ein 1,2-MW-Gezeitenkraftwerk wie das in Nordirland hat also mehr Vollaststunden und kann im Jahr genauso viel Strom produzieren wie eine 2,5-MW-Offshore-Windturbine. Insgesamt ist der Stromertrag besser kalkulierbar und damit auch planbar – die Gezeitenströme, die durch den Mond und die Erdanziehungskraft bestimmt werden, sind nicht wetterabhängig und lassen sich auf Jahre im Voraus berechnen.
Hinsichtlich der Technik bei dieser Anlagenart könnte man eine vorsichtige Prognose darüber anstellen, dass sich die Technik der Windkraftanlagen mit ihrer Generatorgetriebetechnik durchsetzen wird – das Grundkonzept ist bei der Windkraft tausendfach erprobt und bekannt – man muss das Rad nicht neu erfinden.
Hydraulische Wandler vs. Generatorgetriebetechnik
Dabei wäre hier durchaus auch ein hydraulischer Wandler denkbar, wie ihn beispielsweise Bosch Rexroth in solchen Anlagen verbaut: Dieses einfache und sehr robuste Konzept wandelt die Rotationsbewegung mittels Hydropumpe in einen hydraulischen Förderstrom um. Dieser treibt auf der Sekundärseite einen Axialkolbenmotor mit verstellbarem Schluckvolumen an, der fest an den mit netzsynchroner Drehzahl laufenden Generator gekoppelt ist.
Damit kommt der hydraulische Wandler ohne aufwendige Leistungselektronik aus. Ein besonderer Vorteil: Die stufenlose Änderung des Übersetzungsverhältnisses durch die Verstellmöglichkeiten im Axialkolbenmotor fängt nicht nur Lastspitzen ab, sondern erlaubt auch die Anpassung der Rotordrehzahl an unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten. Damit erreicht der hydraulische Wandler über den gesamten Gezeitenzyklus einen optimalen Wirkungsgrad.
Auch unterschiedliche Rotordrehrichtungen bei Ebbe und Flut bei den fest fixierten Anlagen können mittels der Verstellmotoren realisiert werden. Die aufgelöste Bauweise der Hydraulik kann darüber hinaus die Anzahl der schwer zugänglichen Bauteile unter Wasser reduzieren: Lediglich die robuste Rotorpumpe zur Erzeugung des Förderstroms ist direkt mechanisch mit dem Rotor gekoppelt.
Der Hydromotor-Generatorsatz kann in einem für den Betreiber besser erreichbaren Teil der Anlage installiert werden, zum Beispiel über Wasser. Dies reduziert den Wartungsaufwand und erhöht die Verfügbarkeit.
Hydraulik in Wellenkraftwerken
Andere Konzepte setzen ebenfalls auf Hydraulik. So wie in einigen vielversprechenden Projekten im Bereich der Wellenkraftwerke. Neben anderen Wellenenergiekonzepten, die Strom überwiegend mittels Turbinen erzeugen, sind dies diejenigen, die nach dem Prinzip „schwingende Körper“ (Oscillating Bodies) funktionieren. Anlagen dieses Typs setzen die Bewegung der Wellen um.
Für Aufsehen sorgt immer wieder das britische System von Pelamis Wave Power, eine Art Seeschlange, die aus mehreren Gliedern zusammengesetzt ist und auf den Wellen schaukelt. Dieses Wellenkraftwerk wurde vom deutschen Energieriesen Eon in Auftrag gegeben und von Pelamis Wave Power entwickelt. Die 150 Meter lange und 750 Tonnen schwere Konstruktion liegt nicht starr im Ozean, sondern passt sich den Wellenbewegungen geschmeidig an.
„Pelamis“ (zu Deutsch Schlange) besteht aus zylinderförmigen Segmenten mit einem Durchmesser von 3,5 Metern, die durch Scharniere miteinander verbunden und beweglich sind. Die Zylinder sind mit Trossen am Meeresgrund verankert. Setzen Wellen die immer quer zum Wellenkamm ausgerichtete Konstruktion in Bewegung, schaukelt sie schlangenartig auf dem Wasser.
Kolbenpumpen in den Zylindern nehmen über die Bewegung der Scharniergelenke die Wellenenergie auf und pressen hydraulische Flüssigkeit im Innern der Kraftwerk-Segmente mit hohem Druck in Hydrospeicher. Der daraus gespeiste Ölstrom treibt einen Motor an, der wiederum an einen Generator gekoppelt ist und die Wellenkraft in Strom verwandelt. Unterseekabel transportieren den so entstehenden Strom in das Energienetz auf dem Land.
Zur Kategorie „Oscillating Bodies“ zählen auch schwimmende Generatoren, bei denen sich ein Schwimmkörper an einem festen Widerlager seitlich entlang- oder aber senkrecht auf- und ab bewegt. Diese Schwimmkörper können auf oder unter der Wasseroberfläche liegen.
Die schottische Entwicklerfirma Albatern, die einen Verbund von mehreren auf dem Wasser schwimmenden Bojen nutzt, arbeitet nach diesem Prinzip. Ihr „Wavenet“ ist ein Wellenenergie-Konverter mit einer schwimmenden, netzförmigen Struktur, die flexibel in alle Richtungen beweglich ist und so von der Wellenrichtung unabhängig arbeitet. Im Prinzip sieht sie aus wie eine Schlange, nur mit dreidimensionaler Struktur. Einzelne Bojen sind über Pumpmodule ohne starre mechanische Endpositionen miteinander verbunden.
Diese netzartige, flexible Verknüpfung erweist ihre Stärken insbesondere dann, wenn bei Sturm und besonders starken, großen Wellen eine starre Konstruktion zerstört werden würde. Bis zu drei Bojen sind jeweils über ein hohles zentrales Steigrohr verbunden. Jeder Auftriebskörper ist selbst ebenfalls hohl und nimmt in seinem abgedichteten Gehäuse die Power-Take-off-Einheit auf, also den hydraulischen Motor, elektrischen Generator sowie die Steuerung. Albatern setzt damit in seiner aktuellen Prototypanlage bereits einen ölbasierten hydrostatischen Triebstrang zur Leistungswandlung ein.
Die australische Firma Carnegie Wave Energy verfolgt mit ihrem Ceto-Projekt das Prinzip einer unter Wasser installierten Boje. Hier nimmt die Boje die Wellenbewegung auf und setzt einen Kolben unter Druck. Dadurch wird Flüssigkeit an Land gepumpt, wo über eine Turbine der Strom erzeugt wird.
Im Rhythmus der Wellen
Bei der Entwicklung der Firma Aquamarine Power handelt es sich dagegen um eine riesige Auster, die in Küstennähe in einer Wassertiefe von zehn bis 15 Metern am Meeresboden verankert wird. Sie gehört zu einem Projekt, mit dem Schottland vor seiner Küste einen 40-MW-Wellenkraftpark installieren will. Bei diesem Anlagentyp Oyster 800 wave energy converter werden durch die Hin- und Herbewegung der Klappe im Rhythmus der Wellen zwei hydraulische Kolben bewegt, die eine wasserhaltige Flüssigkeit mit hohem Druck durch eine Rohrleitung an Land pumpen, wo dann eine Turbine angetrieben wird. Mit niedrigem Druck fließt die Flüssigkeit in einem zweiten Rohr wieder zur Klappe zurück.
Am liebsten wäre es den Entwicklern gewesen, wenn sich für diese Anwendung Salzwasser aus dem Meer direkt hätte verwenden lassen. Nach umfangreichen Studien hat sich jedoch herausgestellt, dass dies nicht darstellbar ist. Der Salzgehalt ist zu stark korrodierend, und die Mikroorganismen im Wasser lassen die Technik ebenfalls in kurzer Zeit stark leiden. Daher wird Süßwasser mit Zusätzen verwendet.
Die Energie wirkt nur im Wasser
Das Konzept, Flüssigkeiten an Land zu pumpen, um dort die Konvertierung vorzunehmen, fesselt die Anlagen an die Küstennähe. Mehr als ein paar Hundert Meter können die Leitungen kaum lang sein, wenn die Ausbeute noch rentabel sein soll. Ziel der Entwickler im Bereich Ocean Energy von Bosch Rexroth ist es unter anderem daher, ein standardisiertes, für verschiedene Formen von maritimer Anwendung geeignetes Power-Take-off-System zu konstruieren, das die Meeresenergie bereits direkt an der Anlage selbst in Strom umwandelt, der dann nur noch über ein Seekabel zum Stromnetz auf dem Festland fließen muss.
Zu diesem Zweck haben sich einige führende Firmen im Bereich Wave Energy und Bosch Rexroth zu einem Konsortium mit dem Namen WavePOD (Wave Power Offtake Device) zusammengefunden, um in der Entwicklung dieser Technik schneller voranzukommen. Gemeinsam mit Aquamarine Power hat Bosch Rexroth bereits einen Prototyp entwickelt, der demnächst im Institut für fluidtechnische Antriebe und Steuerungen der RWTH Aachen getestet werden wird.
Derzeit wird das technische Erzeugungspotenzial der Wellenenergie auf eine jährliche Leistung von 11.400 TWh geschätzt. Die mögliche Energieausbeute kann dabei also sogar deutlich über dem liegen, was man von konkurrierenden „sauberen“ Verfahren wie Sonne, Wind oder Wasserkraft kennt. Das geht aus einer Studie des Electric Power Research Institute (EPRI) hervor, einer Forschungseinrichtung der US-Energiekonzerne. Weiter heißt es da, die Wellenkraft sei eines der Systeme, die der Umwelt am wenigsten schadeten. Die benötigte Fläche sei kleiner und auch der Einfluss auf die Meeresbewohner geringer. Außerdem sei sie weniger sichtbar als Offshore-Windparks.
Die Gesamtkosten bedenken
Ein Traum, wie es scheint. Für die Betreiber von Meeresenergieanlagen ist jedoch nicht nur die effektive Stromausbeute relevant. Entscheidend für Investitionen in dem Bereich sind neben den Installationskosten auch die Gesamtkosten gerechnet auf eine möglichst lange Lebensdauer inklusive Betriebs- und Wartungskosten. Und hier kann es heikel werden, wenn man sich vor Augen führt, dass ernstzunehmende Konzepte beispielsweise Wartungsintervalle von fünf Jahren vorsehen müssen. Angesichts der harten Umgebungsbedingungen auf See sind das für jeden Entwickler, Projektierer und Zulieferer starke Herausforderungen. fa
Autorin Ragna Sonderleittner, freie Autorin für fluid
Gemeinsam ist man stark
Interview mit Peter Erhart, Bosch Rexroth
fluid: Herr Erhart, Sie sind bei Bosch Rexroth im Bereich Ocean-Energy tätig. Womit ist Ihre Abteilung generell beschäftigt?
Wir analysieren, welche speziellen Antriebs- und Steuerungsanforderungen dieser Markt hat. Basierend darauf ist es unsere Hauptaufgabe, entsprechende Systemlösungen zu entwickeln. Dafür nutzen wir unser bestehendes Produktportfolio, das wir bei Bedarf modifizieren und erweitern.
fluid: Welchen Schwierigkeiten sind Entwickler von Meeresenergieanlagen ausgesetzt?
Wir sehen uns nicht als Entwickler von kompletten Meeresenergieanlagen. Das ist die Aufgabe unserer Kunden. Für uns geht es darum, aus der Vielzahl von potenziellen Partnern und deren Konzepten jene herauszufiltern, die uns am vielversprechendsten erscheinen und für die wir die geeigneten Produkte haben.
fluid: Beschreiben Sie bitte kurz das aktuelle Projekt der Zusammenarbeit von Ihrer Abteilung mit mehreren Herstellern und Entwicklern von Wellenenergieanlagen.
Man hat erkannt, dass es – angesichts begrenzter Ressourcen und des hohen Aufwands – zu erwiesen zuverlässigen und wirtschaftlich sinnvollen technischen Lösungen zu kommen, in bestimmten Bereichen sinnvoll ist, gemeinsam an solchen Lösungen zu arbeiten. Ziel des Projekts ist es, einen hydraulischen Triebstrang – einen sogenannten Power Take Off (PTO) – bis zur Serienreife zu entwickeln. Dieser PTO soll mit möglichst wenigen Anpassungen in den doch recht unterschiedlichen Anlagenkonzepten unserer Partner sowie anderer Hersteller von Wellenenergieanlagen Verwendung finden.
fluid: Worin liegen Ihrer Meinung nach die Vorteile einer Kooperation von einem Komponenten- und Systemanbieter wie Bosch Rexroth mit mehreren europäischen Entwicklern von Wellenkraftwerken?
Durch die Bündelung von Ressourcen und Erfahrungen erwarten wir bei der Entwicklung wesentlich effizienter und schneller voranzukommen. Für den Serienanlauf versprechen wir uns Skalen- und Synergieeffekte, die zur Erreichung von wettbewerbsfähigen Stromgestehungskosten vermutlich absolut erforderlich sind. Zusätzlich wird ein „Standard-PTO“ das Vertrauen von potenziellen Investoren in die Anlagentechnik deutlich erhöhen.
Das Interview führte Ragna Sonderleittner