
Das neue TÜV-Verband-Merkblatt 1276 beschreibt die Wirkung von gasförmigem Wasserstoff auf Metalle und bietet Fachleuten praktische Hilfe bei der Auswahl geeigneter Materialien und Prüfverfahren. (Bild: vetrana - stock.adobe.com)
„Wasserstoff kann Metalle im Laufe der Zeit verändern und schwächen“, sagt Ingo Blohm, Referent für Beschaffenheitsanforderungen und Dampfkesselanlagen beim TÜV-Verband. „Leitungen und Tanks können dadurch Risse bekommen, undicht werden oder im schlimmsten Fall brechen.“ Wie sich das vermeiden lässt, zeigt ein aktuelles Merkblatt des TÜV-Verbands. Darin wird beschrieben, wie sich geeignete Materialien auswählen und prüfen lassen, um Wasserstoffanlagen sicher zu betreiben. „Die Werkstofffrage entscheidet mit über den Erfolg der Wasserstoffwirtschaft“, sagt Blohm. „Unser Ziel ist es, das technische Wissen in klare Empfehlungen für den sicheren Anlagenbetrieb zu übersetzen.“ Passend dazu rückte auf der Hamburger Messe „Hydrogen Technology Expo Europe“ das Thema Material- und Anlagensicherheit in den Fokus der Wasserstoffbranche und beleuchtete ein Feld, zu dem der TÜV-Verband mit dem neuen Merkblatt einen wichtigen Beitrag leistet.
Harte Materialprobe, da Wasserstoff das Metall verändert
Der Umgang mit gasförmigem Wasserstoff stellt Materialien auf eine harte Probe. Dringt das Gas in ein Metall ein, schieben sich seine winzigen Atome zwischen die Metallatome. Dadurch verändert sich die innere Struktur: das Material wird spröder, verliert an Festigkeit und kann unter Belastung plötzlich versagen. „Besonders häufig ist die wasserstoffinduzierte Rissbildung“, sagt Blohm. „Dabei dringt Wasserstoff in feinste Poren des Metalls ein und schwächt dort die Bindungen zwischen den Atomen.“ Unter Belastung können so winzige Risse entstehen, die sich im Laufe der Zeit unbemerkt vergrößern und schließlich zum Bruch eines Bauteils führen. Eine andere Form der Schädigung ist das sogenannte Blistering. Hier sammelt sich Wasserstoffgas in kleinen Hohlräumen im Inneren des Materials. Der entstehende Druck kann das Metall aufwölben oder sogar ablösen. Auch an Schweißnähten kann Wasserstoff gefährlich werden. Unter Spannung entstehen dort bevorzugt Risse, ein Effekt, den Fachleute als Spannungsrisskorrosion bezeichnen. „Solche Schäden entstehen oft schleichend und bleiben lange unentdeckt“, sagt Blohm. „Gerade deshalb ist es entscheidend, die Mechanismen genau zu kennen und schon bei der Planung geeignete Materialien auszuwählen, die diesen Belastungen standhalten.“
Wenn Bauteile so gestaltet werden, dass sich Kräfte gleichmäßig verteilen, lassen sich Schwachstellen von vornherein vermeiden. Sanfte Übergänge statt scharfer Kanten, die richtige Wandstärke oder eine glatte Oberfläche können darüber entscheiden, ob ein Bauteil Jahrzehnte hält oder frühzeitig Risse bekommt.
Prüfverfahren, die wasserstoffbedingte Schäden rechtzeitig erkennen
Um solche Schädigungen zu verhindern, braucht es aus Sicht des TÜV-Verbands technisches Wissen, klare Prüfverfahren und praxisnahe Leitlinien. Genau hier setzt das Merkblatt an. Es zeigt, welche Prüfverfahren sich eignen, um wasserstoffbedingte Schäden rechtzeitig zu erkennen. Dazu gehören Ultraschallprüfungen, mit denen sich feine Risse oder Veränderungen im Inneren des Metalls aufspüren lassen, ebenso wie Röntgen- oder Druckprüfungen, die Schwachstellen sichtbar machen, bevor sie sicherheitsrelevant werden. Zudem enthält das Merkblatt Hinweise, wie sich Bauteile so gestalten und fertigen lassen, dass sie weniger anfällig für Versprödung oder Rissbildung sind. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Schweißtechnik.
Verbindliche Regeln zum Umgang Wasserstoffanwendungen fehlen
„Beim Verbinden von Metallteilen entstehen oft hohe Temperaturen und Spannungen, die den Werkstoff anfälliger machen können“, sagt Blohm. Durch bestimmte Schweißverfahren, Zusatzwerkstoffe und eine gezielte Wärmebehandlung nach dem Schweißen lassen sich innere Spannungen reduzieren. Dadurch bleibt das Metall stabil. Obwohl Wasserstoffanwendungen in Industrie, Energieversorgung und Mobilität zunehmen, fehlen bislang verbindliche Regeln, wie Materialien unter Wasserstoffeinfluss zu bewerten sind. In bestehenden Normen und technischen Regelwerken wird das Thema Wasserstoffversprödung bisher nur am Rande behandelt. Mit dem neuen Merkblatt gibt der TÜV-Verband Fachleuten aus Planung, Prüfung und Betrieb von Wasserstoffanlagen eine klare Orientierung an die Hand und ergänzt bestehende Vorschriften um praxisnahe Handlungsempfehlungen.
Wasserstoff bringt neue Herausforderungen für Regelwerke
„Viele bestehende Regelwerke wurden für konventionelle Gase entwickelt und berücksichtigen die besonderen Eigenschaften von Wasserstoff nur unzureichend“, sagt Blohm. „Mit der zunehmenden Nutzung von Wasserstoff entstehen neue technische Anforderungen, auf die sich Normung und Praxis schrittweise einstellen. Unser Merkblatt bietet dafür eine erste Orientierung und fasst den bisherigen Wissensstand zusammen.“ Das neue TÜV-Verband-Merkblatt 1276 „Schädigung metallischer Werkstoffe durch den Einfluss von gasförmigem Wasserstoff - Einführung für Sachverständige“ ist als digitale Version im Onlineshop des TÜV-Verbands erhältlich.
Quelle: TÜV-Verband
FAQs zum TÜV-Verband-Merkblatt 1276
1. Was ist das zentrale Thema des neuen TÜV-Verband-Merkblatts 1276?
Das Merkblatt befasst sich mit der Schädigung metallischer Werkstoffe durch gasförmigen Wasserstoff. Es erklärt, wie Wasserstoff die Materialstruktur verändern und dadurch Risse, Sprödigkeit oder Brüche verursachen kann. Ziel ist es, Fachleuten praxisnahe Empfehlungen für die Auswahl, Prüfung und den sicheren Betrieb von Wasserstoffanlagen zu geben.
2. Warum ist Wasserstoff eine besondere Herausforderung für metallische Werkstoffe?
Wasserstoff kann in Metalle eindringen und sich zwischen den Metallatomen ansammeln. Dadurch verändert sich die innere Struktur, das Material verliert an Festigkeit und kann verspröden. Typische Folgen sind Rissbildung, Blasenbildung (Blistering) oder Spannungsrisskorrosion, insbesondere an Schweißnähten.
3. Welche Prüfverfahren empfiehlt der TÜV-Verband zur Erkennung wasserstoffbedingter Schäden?
Das Merkblatt nennt mehrere Prüfmethoden, um frühzeitig Materialschäden festzustellen. Dazu zählen Ultraschallprüfungen, Röntgenprüfungen und Druckprüfungen. Diese Verfahren helfen, feine Risse, innere Veränderungen oder Schwachstellen im Material sichtbar zu machen, bevor sie sicherheitsrelevant werden.
4. Welche Bedeutung hat die Schweißtechnik bei der Vermeidung von Wasserstoffschäden?
Beim Schweißen entstehen hohe Temperaturen und Spannungen, die Metalle anfälliger für Versprödung und Rissbildung machen können. Das Merkblatt empfiehlt daher bestimmte Schweißverfahren, geeignete Zusatzwerkstoffe und eine gezielte Wärmebehandlung nach dem Schweißen, um innere Spannungen zu reduzieren und die Stabilität des Materials zu erhalten.
5. Welchen Beitrag leistet das Merkblatt zur Weiterentwicklung der Wasserstoffwirtschaft?
Das Merkblatt schließt eine wichtige Lücke, da bisherige Normen Wasserstoffeinflüsse kaum berücksichtigen. Es bündelt den aktuellen Wissensstand und bietet Fachleuten in Planung, Prüfung und Betrieb eine Orientierung, wie Materialien für Wasserstoffanwendungen sicher bewertet und eingesetzt werden können – ein zentraler Schritt für den Erfolg einer sicheren Wasserstoffwirtschaft.

