Baugrube

Bagger in Aktion: Mit den richtigen Dichtungen verbessert sich die Verfügbarkeit der Maschine. Das Thema wird in der Praxis allerdings oft unterschätzt. (Bild: Helmut Winkler)

Konstrukteure machen es sich manchmal schon leicht. Sie wählen einen Dichtungswerkstoff, zum Beispiel NBR, für eine Anwendung aus, schreiben diesen in die Stücklisten und glauben, damit sei nun alles getan. Aber es gibt nicht nur den NBR. Jeder Hersteller hat mehrere Produktformulierungen im Programm, die sich in den Eigenschaften sehr deutlich unterscheiden.

Dichtungsschaden

Durch die Klassifizierung als C-Teil erhalten Dichtungen in der Konstruktion oft nicht die Aufmerksamkeit, die eigentlich nötig wäre. Dichtungsschäden können die Folge sein. Bild: Helmut Winkler

Dichtungen sind Mischprodukte, die aus einer Elastomerbasis und Zusatzstoffen zusammengesetzt sind. Beide Komponenten bestimmen die Leistung eines Dichtelementes. Die Zusammensetzung einer Dichtung, die Rezeptur also, könnte zur Differenzierung herangezogen werden. Sie wird aber vom Hersteller oft nicht preisgegeben.

Dichtungen sind sogenannte C-Teile. Diese Klassifizierung ist ein gravierender Fehler. Denn C-Teile werden oft als zweit- oder drittrangig angesehen. Bei Dichtungen kann diese Einstellung teuer werden. Wie Schadensanalysen zeigen, haben Dichtungsschäden einen hohen Anteil bei Maschinenausfällen und verursachen hohe Instandhaltungskosten.

Die Fehler werden häufig im Konstruktionsbüro gemacht. Nachfolgend ein paar Tipps, wie Konstrukteure bei der Dichtungsauswahl vorgehen sollten, vorausgesetzt natürlich es wird dichtungsgerecht konstruiert.

  • Dichtungswerkstoff auswählen nach dem Anwendungsprofil, zum Beispiel was Temperatur, Belastung, Umgebung der Dichtstelle angeht.
  • Kontaktmedien definieren. Hierbei ist der Produktname oder ein DIN-Bezeichnung nicht ausreichend.
  • Langzeitverhalten abklären: Alterung, Wechselwirkung und bei dynamischer Dichtung das Verschleißverhalten unter tribologischer Beanspruchung betrachten.
  • Ausgewählten Werkstoff der Dichtung beschreiben und eine Produktspezifikation erarbeiten.
  • Qualitätsmerkmale und Wareneingangsprüfungen festlegen.

Gleiches mag sich gern

Treten zwischen Dichtung und Schmierstoff Wechselwirkungen auf, so verursacht dies unterschiedliche Schäden. Zum einen können Bestandteile des Schmieröles in den Dichtungswerkstoff eindringen, dann nimmt sein Volumen zu. Es kann aber auch sein, dass die inkorporierten Schmierstoffbestandteile den Elastomerverband angreifen. Eine solche Attacke führt zum Verlust der mechanischen Eigenschaften.

Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass das Schmieröl aus der Dichtung Bestandteile herauslöst. Die Folge ist eine schrumpfende Dichtung. Unter Umständen kann aber auch der Schmierstoff durch die Aufnahme der herausgelösten Dichtungsbestandteile geschädigt werden. Wechselwirkungen zwischen Schmierstoff und Dichtungen sollten also weitgehend unterbunden werden. Die Frage ist nur: „Woher bekommt der Konstrukteur die notwendigen Informationen?“

Die richtige Dichtung finden

In vielen Dichtungsprospekten findet man einen Hinweis auf die Verträglichkeit zwischen einem Dichtungswerkstoff und verschiedenen chemischen Substanzen. Hierunter werden oft auch Angaben zur Ölverträglichkeit gemacht. Diese Angaben können bestenfalls zur Grobgrob-Orientierung herangezogen werden, denn in der Regel fehlen Informationen über das Schmieröl, aber auch über die Prüfbedingungen. Dichtungswerkstoff und Schmierstoffe sind komplexe Gebilde. Eine Abschätzung der Wechselwirkung ist nur möglich, wenn die beiden Favoriten auf das Wechselwirkungsverhalten untersucht werden. Dichtungshersteller prüfen ihre Werkstoffformulierungen mit verschiedenen Schmierstoffen ab. Das kommt der Praxis schon näher. Ein Freifahrtschein ist dies aber noch lange nicht, denn es gelten folgende Einschränkungen:

  • Die Untersuchungen werden häufig mit sogenannten Standardreferenzelastomeren (SRE) durchgeführt. Bei diesen Elastomeren fehlen bestimmte Dichtungszusätze.
  • Bei den meisten Verträglichkeitsprüfungen werden die Prüfkörper in den Schmierstoff voll eingetaucht. Der Sauerstoff-einfluss und dessen negative Auswirkungen können so nicht erkannt werden.
  • Die Prüfkörper sind während der Prüfung keiner Belastung ausgesetzt, was in der Praxis nicht der Fall ist.
  • Für die Prüfungen werden oft speziell hierfür hergestellte Prüfplatten eingesetzt. Die Herstellbedingungen einer Dichtung können von denen der Prüfplatten deutlich abweichen.
  • Es wird ein Frischschmierstoff verwendet. Die Einflüsse der Schmierstoffveränderung durch die Alterung bleiben unberücksichtigt.

Die Schwachstellen der gängigen Verträglichkeitsprüfungen sollte der Konstrukteur bei der Produktauswahl berücksichtigen. Eine wirklich verwertbare Aussage setzt voraus, dass unter annähernd realistischen Bedingungen die Kombination Serienschmierstoff und Seriendichtung überprüft wird. Praxiserfahrungen mit ähnlichen Anwendungen können hier gut weiterhelfen.

Dichtungsschäden lassen sich vermeiden. Das setzt aber voraus, dass diesem Maschinenelement mehr Achtung und Aufmerksamkeit zuteil wird. Das beginnt schon beim Werkstoff. Es reicht heute nicht mehr aus, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Elastomerbasis zurückzuziehen. Auch muss der Wechselwirkung viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Standardprüfungen können hierzu ein Einstieg sein. Für eine gute Werkstoffentscheidung reicht diese Informationsbasis heute aber nicht mehr aus. do

Autor: Helmut Winkler, freier Autor für fluid

Polaritätsabgleich

Vorauswahl der Dichtung

Bei chemischen Prozessen gilt der Grundsatz: „Ähnliches wird in Ähnlichem gelöst“. Einen ersten Anhaltspunkt für die Werkstoffwahl kann daher die Polarität von Schmierstoff und Dichtung geben. Polare Dichtungen lösen sich gut in polaren Schmierstoffen, sind also unverträglich. Geringe Wechselwirkungen wird es nach dem Ähnlichkeitsgrundsatz bei der Kombination von polarer Dichtung mit unpolarem Schmierstoff geben.

Diese Aussage ist aber nur für die verwendeten Ausgangsmaterialien (Elastomerbasis und Grundöl) zutreffend. Sowohl Dichtungen als auch Schmierstoffe werden mit Zusatzprodukten (Additive) für ein bestimmtes Anwendungsprofil optimiert. Welchen Einfluss diese haben, wird über den Polaritätsabgleich nicht geklärt.

Der Polaritätsabgleich sollte durchaus zur Vorauswahl genutzt werden. Wird eine Unverträglichkeit der Polarität von Dichtung und Schmierstoff festgestellt, so ist diese Kombination problembehaftet. Eine Verträglichkeit ist aber nicht damit gleichzusetzen, dass beim Einsatz keine Wechselwirkungen und somit Schäden auftreten. Silikonöle und PTFE-basierte Öle können als neutral eingestuft werden und kommen somit für alle Werkstoffe in Frage. Ausnahme ist die Paarung Silikonöl und Silikondichtung.

Technik im Detail

Acrylnitritgehalt

Der Acrylnitril-Gehalt hat in einer NBR-Dichtung Einfluss auf die Gebrauchseigenschaften.

Gut zu wissen

  • Bei Temperaturangaben für Elastomerwerkstoffe ist oft nicht bekannt, wie diese ermittelt wurden.
  • Veränderungen bei hoher Temperatur sind irreversibel, also bleibend.
  • Gerade bei Langzeitprüfungen (1000 Stunden oder 2000 Stunden) ist der Einfluss des Luftsauerstoffes mitbestimmend. Solche Angaben repräsentieren vielmehr die Langzeitalterung bei hoher Temperatur.
  • Gesättigte Elastomere haben Kohlenstoff-Kohlenstoff-Einfach-Bindungen und besitzen daher eine gute Alterungsbeständigkeit.
  • Ungesättigte Elastomere mit Doppelbindungen sind instabiler und damit alterungsanfälliger.

 

 

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