Wirtschaftlich sah es zuletzt nicht so gut aus für die Hersteller der Umformtechnik. Waren Sie 2018 noch die Stütze der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie, verloren sie im vergangenen Jahr deutlich an Boden, wie der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) auf seiner Jahrespressekonferenz in Frankfurt mitteilte. Zwar sind die 2019-er Zahlen noch Schätzungen, aber der Trendumschwung ist deutlich. Während die spanenden und abtragenden Maschinen voraussichtlich noch einmal um zwei Prozent zulegen konnten, verloren die umformenden Maschinen acht Prozent. Laut Dr. Wilfried Schäfer, Geschäftsführer des VDW, dürfte es weiter bergab gehen. Er erwartet für den gesamten Werkzeugmaschinenbau „einen Produktionsrückgang von 18 Prozent und wir rechnen nicht damit, dass es schnell wieder aufwärtsgeht“. Erst im Verlauf des Jahres sieht der VDW „eine gewisse Bodenbildung beim Auftragseingang, die voraussichtlich jedoch nicht für einen Umschwung reichen wird“.
„Zum Thema Umsetzung von Modernisierungen sind innovative Finanzierungen und Leasingmodelle sehr interessant, um Modernisierungen zu ermöglichen, ohne auf die kompletten Finanzmittel zurückgreifen zu müssen.“
Matthias Malt, Produktionsleiter bei WMU
„Gerade im Bereich der Pressentechnik, besonders bei den großvolumigen Aggregaten, sehen wir ein regionales Outsourcing Richtung Asien.“
Gerhard Hein, Leiter Wirtschaft und Statistik VDW
„Die Umformtechnologie selbst ist weitgehend ausgereizt, die Potenziale liegen im intelligenten Materialfluss, das ist ein ganz wesentliches Thema.“
Dr. Heinz-Jürgen Prokop, VDW-Vorsitzender und Geschäftsführer Trumpf Werkzeugmaschinen
Produktion wandert ab nach Asien
Das schon 2019 in der Umformtechnik stark rückläufige Produktionsvolumen führt Gerhard Hein, Leiter Wirtschaft und Statistik des VDW auf branchenspezifische Besonderheiten zurück: „Gerade im Bereich der Pressentechnik, besonders bei den großvolumigen Aggregaten, sehen wir ein regionales Outsourcing Richtung Asien. Das sind fehlende Wertschöpfungsanteile, die in fernen Märkten direkt im Markt erzielt werden, und bei der Aggregatsgröße schlägt das stark durch.“ Damit spielt Hein auf die Entscheidung von Schuler an, große Teile der Produktion nach Asien zu verlagern. Nach Angaben des Unternehmens, sei dies eine Reaktion auf die Schwäche im internationalen Automobilmarkt und die Verlagerung der Nachfrage aus den Schlüsselbranchen nach Asien. So rechnet Schuler damit, dass rund 80 Prozent der Aufträge für Pressenlinien künftig auf Produktionsstätten der Automobilindustrie im Ausland entfallen.
Einen Hoffnungsschimmer sieht der Vorsitzende des VDW und Geschäftsführer der Trumpf Werkzeugmaschinen, Dr. Heinz-Jürgen Prokop, im Auftragseingang des letzten Dezembers. Er ist um zwei Prozent gewachsen: „Damit ist der Abwärtstrend, gestützt durch Auslandsbestellungen und die Umformtechnik, mit sechs und zwölf Prozent über Vorjahr, erst einmal zum Stehen gekommen.“ Grund war der primär von Großprojekten getriebene starke Zuwachs durch Nicht-Euro-Länder, China und die USA um 23 Prozent.
Laut Prokop werde das Systemgeschäft immer wichtiger. Bei Trumpf nennt sich das Factory Solutions und steht nicht nur für die physische Vernetzung der Maschinen, sondern auch für die Leitsoftware, die die Prozesse steuert. Prokop: „Das wirkt auch dem Fachkräftemangel entgegen und kommt der Qualität zugute, weil automatisierte Abläufe in der Regel prozesssicherer und wiederholbarer sind.“ Er verweist auf einen Kunden, der selbst einfache Teile in einer automatisierten Biegezelle kantet. Seine Begründung ist eindeutig: Manuell sei die geforderte Präzision und Wiederholgenauigkeit nicht hinzubekommen.
Digitalisierung auf dem Shopfloor
Auch wenn der VDW bei der Digitalisierung noch immer eine relativ geringe Durchdringung gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen feststellt, dürfte die Zeit der rein akademischen Diskussionen vorbei sein. fluid fragte stellvertretend Matthias Malt, Produktionsleiter und Leiter Produktions- und Prozessengineering bei WMU Weser Metall Umformtechnik in Hann. Münden. Das mittelständische Unternehmen, das seit 2012 zum südkoreanischen Sungwoo-Hitech-Konzern gehört, hat annähernd 500 Beschäftigte, die einen Umsatz von circa 100 Millionen Euro erzielen. WMU beliefert vor allem die großen OEMs und Zulieferer der Automobilindustrie, aber auch der Konsumgüterbranche und des Werkzeugbaus, mit Press-, Zieh- und Stanzteilen sowie eigenständig hergestellten Werkzeugen.
Dafür setzt WMU zu etwa 80 Prozent mechanische Pressen ein, vor allem mit Servoantrieb. Als Gründe nennt Malt einstellbare Kurven und damit verbunden optimierte Geschwindigkeiten, sodass sich optimale Hubzahlen erzielen ließen. Zudem biete der Servoantrieb einen deutlichen energetischen Vorteil im Vergleich zu hydraulischen Pressen, da die Energie nur zur Verfügung gestellt werden muss, wenn sie für den eigentlichen Arbeitsweg benötigt wird. In Zeiten der Klimakrise ein immer wichtigerer Aspekt. Hydraulikpressen setzt WMU im Handeinlegebereich für Ziehoperationen ein. Malt: „Hierbei bieten sie den Vorteil, dass Kräfte in der Bewegungsphase annähernd in gleichbleibender Kraft zu Verfügung stehen.“
Industrie 4.0 im Werkzeugmaschinenbau
„Industrie 4.0 ist für uns allgegenwärtig. Aufgrund stetig steigender Anforderungen an Rückverfolgung, Prozessdokumentation, Einbindung, Vernetzung et cetera werden alle Neuinvestitionen generell dahingehend beleuchtet.“ Für ihn zählen Vorteile wie die Vernetzung für Ferndiagnosen bei Maschinenstillständen, Überwachung von Prozessparametern zur vorbeugenden Erkennung und Wartung sowie Simulation. Zur Optimierung von Prozessabläufen lasse sich beispielsweise zurückverfolgen, mit welchen Einstellungen und Parametern welche Person wann welches Bauteil gefertigt habe. „Diese Daten können sehr zeitnah für Analysen zur Verfügung gestellt werden.“ Ein weiterer Aspekt sei bei der Planung neuer Standorte im Firmenverbund der Verzicht auf ganze Organisationseinheiten durch die Vernetzung. Beispiel Einkaufsabteilung: „Sie ist in der notwendigen Ausprägung nur einmal, meist in der Zentrale vorzusehen. Das generiert Kosteneinsparungen ohne Einbußen an der eigentlichen Arbeitsqualität und Quantität.“ Durch das Internet of Things würden die klassischen Ansätze zur Maschinendatenerfassung massiv verändert. Jede Einheit wie Roboter, Schweißgeräte oder Klebeeinheiten lieferten alle Prozessparameter ins Netzwerk. Malt: „Das macht es zwingend erforderlich, das einheitliche Schnittstellen und Datenformate definiert und folglich flächendeckend zur Anwendung kommen - eine große Herausforderung für die IT-Landschaft.“
Standardisierte Schnittstellen
Womit wieder der VDW ins Spiel kommt, der sich genau eine solche standardisierte Schnittstelle mit seiner Umati-Initiative seit zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben hat. Dabei seien laut Dr. Schäfer die zerspanenden und umformenden Produktionstechnologien in gleicher Weise einbezogen – und das weltweit. „Wir arbeiten aktuell an weiteren Konkretisierungen der Spezifikationen, die dann in einer zweiten Phase auch technologieabhängige Parameter mit einbeziehen werden.“
Umati kommt in Fahrt
Für einen deutlichen Durchbruch von der akademischen Sicht zur industriellen Praxis habe die Werkzeugmaschinenmesse EMO im vergangenen Herbst gesorgt, wo der VDW mit 70 Herstellern aus zehn Nationen mit 110 Maschinen den Praxisnachweis erbrachte. Schäfer: „Wie einfach die Adaption funktioniert, sieht man daran, dass etwa 80 Prozent der Firmen ein Vierteljahr vorher Umati noch nicht gekannt hatten und es dennoch so schnell umsetzen konnten.“
Aber, was fordert der Praktiker von der Presse der Zukunft? „Pressen müssen sich im Bereich der flexiblen Aufnahme von unterschiedlichsten Werkzeugtypen weiterentwickeln“, wie Matthias Malt von WMU ergänzt. Automatisierte Systeme nützten nicht viel, wenn für jedes Werkzeug zusätzliche Anpassungen nötig seien. Weiteren Entwicklungsbedarf sieht Malt außerdem im Bereich der vorbeugenden Wartung. Virtuelle Anleitungen, Checklisten und Stoppfunktionen bei Nichteinhaltung lauten die Stichworte. Zudem seien „im Hinblick auf Industrie 4.0 möglichst standardisierte Schnittstellen durch die Pressenhersteller generell als Grundausstattung vorzusehen“.
fluid hakt nach
Fünf Fragen an Frank Schieck, Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik
Welche Antriebstechnik hat beim Umformen die Nase vorn?
Jede Pressenart hat Vor- und Nachteile für bestimmte Anwendungsfälle, weshalb es auch in Zukunft verschiedenste Arten von Pressenantrieben geben muss. Das Thema Servo-Direktantrieb ist aktuell sehr stark, aber man findet mittlerweile auch servohydraulische Pressen, bei denen die Pumpen nur dann laufen, wenn der Hydraulikdruck benötigt wird. Einige Anwendungsfälle gehen gar nicht ohne Hydraulik, beispielsweise die Innenhochdruckumformung.
Die Hydraulik hat also eine Zukunft?
Ja, ein weiteres Beispiel ist das sehr populäre Presshärten. Es gibt momentan weltweit etwa 500 solcher Anlagen, die alle hydraulisch sind. Man benötigt zwar wenig Kraft für den Umformvorgang, aber während der Abkühlphase muss eine möglichst hohe Flächenpressung auf das Bauteil aufgebracht werden. Das ist elementar für die Zykluszeit und lässt sich mechanisch nicht lösen. In den nächsten fünf Jahren rechnet man mit 100 zusätzlichen Pressen in diesem Bereich, die deshalb alle hydraulisch sein werden.
Welche Rolle spielt der Energieverbrauch?
Entscheidender als der reine Energieverbrauch ist die Hubzahl pro Zeiteinheit, beziehungsweise, wie viel Energie braucht ein hergestelltes Teil. Es gibt eine Grundlast, damit die Maschine überhaupt läuft. Je mehr Arbeitshübe ich bei gleicher Grundlast durchführen kann, desto effizienter ist der Prozess. Es gibt hocheffiziente hydraulische Pressen, bei denen die Antriebspumpen nur laufen, wenn sie tatsächlich benötigt werden. Allerdings sind servohydraulische und -mechanische Pressen in der Anschaffung wesentlich teurer als konventionelle. Hier muss man die mögliche Energieeinsparung gegen den Mehrinvest rechnen. Bei solchen Entscheidungen hilft das Fraunhofer IWU.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
Predictive Maintenance, also eine vorausschauende Wartung, ist heute schon oft im Einsatz. Durch diese ist bereits im Voraus planbar, wann ein Teil ausgewechselt werden muss, und es gibt genügend Reaktionszeit. Wir verfolgen aber noch eine andere Stoßrichtung: Werkstoffe und Geometrie werden immer komplexer und die Prozessfenster kleiner. Wir brauchen daher für jedes Bauteil einen individualisierten, optimalen Parametersatz. Die Maschine der Zukunft muss selbst entscheiden, wie die Parameter anzupassen sind. Über die Vernetzung kann die Maschine relevante Informationen weitergeben, sodass beispielsweise in einem nachgelagerten Fügeprozess optimal zueinander passende Teile erkannt und zusammengeführt werden können.
Kann dabei Künstliche Intelligenz helfen?
Auf jeden Fall. Ein gutes Beispiel ist auch hier das Presshärten, bei dem neben der Geometrie die Festigkeit ein entscheidendes Qualitätsmerkmal ist. Sie lässt sich eigentlich nur zerstörend prüfen. Es muss deshalb ein indirekter Nachweis, zum Beispiel mittels virtueller Sensoren, über das Einhalten der Prozessparameter geführt werden. Neuronale Netze und das maschinelle Lernen helfen, gleichbleibende Qualitätsmerkmale sicherzustellen. Ziel ist quasi eine Kiste voller Parametersätze – ähnlich Backrezepten -, die sich ständig weiter füllt. Je nach Eingangsdaten wählt die Maschine das Rezept, das zu einer optimalen Qualität führt.
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