Wenn es darum geht, Fahrgäste von A nach B zu befördern, haben Betreiber von Zügen im Wesentlichen drei Ziele – Sicherheit, Komfort und Schnelligkeit. Hochgeschwindigkeitszüge mit Geschwindigkeiten bis 250 km/h sind hier die optimale Lösung. Die Kosten für die Installation von entsprechenden Hochgeschwindigkeitsgleisen mit sanften Gleisbögen und -anstiegen sind jedoch exorbitant hoch und rechnen sich nur für wenige, wirtschaftlich rentable Strecken.
In der Schweiz, in der zahlreiche Berge und Seen die Hauptstrecken von Zügen kreuzen, ist der Aufbau eines Hochgeschwindigkeits-Gleisnetzes nur selten praktikabel. Die alternative Lösung, Hochgeschwindigkeitszüge auf herkömmlichen Gleisen verkehren zu lassen, würde aber die Sicherheit und den Fahrkomfort der Fahrgäste infrage stellen.
Lösung liegt in aktiver Neigung
Die SBB hat dennoch eine Lösung gefunden und 19 Züge des Typs ETR 610 bestellt, die von Alstom hergestellt werden. Jeder ETR-610-Zugverband besteht aus sieben Wagen, die bis zu 430 Fahrgästen Platz bieten. Die Reisegeschwindigkeit beträgt auf normalen Gleisstrecken 250 km/h.
Jeder Fahrzeuginsasse spürt beim Durchfahren von Kurven die Auswirkungen der Trägheit: Durch die Zentripetalkraft wird der Fahrgast in den Sitz gedrückt, was dieser als unangenehm empfindet, stehende Fahrgäste können das Gleichgewicht verlieren. Neigezüge hingegen sind so konstruiert, dass sie der Trägheit durch den Ausgleich der Beschleunigungskräfte entgegenwirken. Die ersten passiven Neigezüge nutzten die Trägheitskraft zur Erzeugung der Neigung. In neuerer Zeit wurde jedoch ein rechnergesteuerter, kraftbetriebener Mechanismus entwickelt, der eine aktive Neigung erreichen kann.
Im reaktiven Modus werden Gleisbögen mit Hilfe von Gyroskopen (Kreiselinstrumenten) erkannt, die den genauen Gleiswinkel bestimmen, sowie mit Hilfe von Beschleunigungs-Messsensoren am Drehgestell des ersten Wagens. Der Bordcomputer berechnet den erforderlichen Neigungswinkel und sendet an die Zylinder der Drehgestelle der einzelnen Wagen eine entsprechende Anforderung, die zeitlich entsprechend der Wagenposition und der Zuggeschwindigkeit gesteuert wird.
Hydraulik sorgt für Komfort
Die Hydraulikaggregate für die Drehgestelle lieferte Eaton aus seinem Werk in Pessano in Italien. Die Hydraulikaggregate enthalten PVM-Axial-Kolbenpumpen, Einbauventile, Servoventile sowie Filtrationsprodukte von Eaton. Das hydraulische Neigedrehgestell aktiviert die Neigung der Wagenkästen. Um die dynamischen Eigenschaften des Zugs und den Fahrgastkomfort zu verbessern, sorgt ein aktives seitliches Federungssystem dafür, dass der Wagenkasten zentriert wird. Durch die Reduktion von ungefederten und einfach gefederten Massen wurde das dynamische Verhalten des Zuges optimiert und die Radkräfte auf ein Minimum reduziert. „Unsere Erfahrung und unsere Reputation auf dem Gebiet der Hochgeschwindigkeitszüge in Verbindung mit unserer Fähigkeit, eine komplette Hydrauliklösung zu liefern, welche strengsten gesetzlichen Anforderungen und Leistungsansprüchen genügt, waren ausschlaggebend dafür, dass wir als Partner bei der Entwicklung dieser Züge ausgewählt wurden“, so Eaton.
Der Neigestromabnehmer ist auf einem Gleitschlitten montiert, der fest auf dem Dach des Zugs befestigt ist, und umfasst ebenfalls Hydraulikkomponenten von Eaton. Wenn sich der Zug neigt, verschiebt ein aktives hydraulisches Gegentranslationsystem den Stromabnehmer seitlich, um so die Neigung auszugleichen, und den Stromabnehmer dadurch genau in der Mittelposition zu halten. Im antizipativen Modus nutzt das System eine Datenbank, in der die Streckendaten gespeichert sind.
Durch einen Vergleich der Daten mit den von den Bordsensoren gelieferten Informationen kann das System jederzeit die genaue Position des Zugs auf der Strecke bestimmen und die entsprechende Neigung anfordern, sobald der entsprechende Punkt auf der Strecke erreicht ist.
Da das System schneller auf kommende Kurven reagiert, ist es weniger empfindlich gegenüber Gleisunebenheiten und gewähr-leistet damit einen weicheren Übergang. In Deutschland läuft derzeit das Zulassungsverfahren für den ersten Zug. Zudem werden Abnahmefahrten in der Schweiz und in Italien durchgeführt. Die ersten drei Züge wurden 2014 ausgeliefert, weitere fünf Züge sollen bis Mitte 2015 an die SBB übergeben werden. bf
Autor: Mauro Mezzina, Eaton
Hintergrundinfo
Eaton Hydraulics
Der Geschäftsbereich Hydraulik von Eaton ist in den unterschiedlichsten Branchen tätig – dazu zählen Bau- und Bergbauindustrie, Land- und Forstwirtschaft, traditionelle und erneuerbare Energieerzeugung, fertigende Industrie und Prozesstechnik, Öl- und Gasindustrie, Transportwesen und Fördertechnik.
Ein internationales Hydraulikteam entwickelt, fertigt und vertreibt ein umfassendes Spektrum an hydraulischen und industriellen Lösungen, unter anderem elektrohydraulische Systeme, Lüfterantriebe, hybride und Lenkungssysteme bis hin zu führenden Komponenten wie Adaptern, Kupplungen, Zylindern, Verschraubungen und Baugruppen, Schlauch- und Rohrleitungen, Motoren, Pumpen und Ventilen.