Hydraulik

04. Dez. 2017 | 07:00 Uhr

Innovative Dichtungen

Die Dichtungstechnik: heute - und morgen

fluid-Expertenrunde: Ist die Dichtung am Ende?

Wie sehen Sie die Dichtungstechnik bei Ihrem Ausscheiden?

Diese Technologie wird heute in der öffentlichen Meinung nicht besonders hoch gehalten. Aber trotzdem werden all die Schlagworttechnologien wie Industrie 4.0, Cloud, Elektromobilität und so weiter an einer ausgefeilten Dichtungstechnik nicht vorbeikommen. Diese wird in Zukunft noch unabdingbarer und anspruchsvoller sein. Was sich teilweise ändern wird, sind das Anforderungsprofil und die Schwerpunkte.

Könnten Sie dafür bitte ein Beispiel nennen?

Beispiel Elektromobilität: Anstatt Dichtelemente, die an der Kurbelwelle des Verbrennungsmotors heißes, druckloses Öl bei eher mäßiger Gleitgeschwindigkeit zurückhalten, braucht man in Zukunft Dichtsysteme, die kaltes Kühlwasser bei hoher Gleitgeschwindigkeit und mäßigen Drücken in die schnelldrehenden Läufer der Elektromotoren ein- und ausspeisen. Ein ganz sicher anspruchsvolleres und hochpreisigeres Dichtsystem als der einfache PTFE-Ring an der Kurbelwelle. Und ein gut geschmiertes Getriebe mit all seinen Dichtungen ist dann auch noch notwendig, um auf die erforderliche niedrige Raddrehzahl zu kommen. Sonst würde das Auto bei 50 cm Raddurchmesser und 30.000 U/min Motordrehzahl 2826 km/h schnell fahren. Diese Beispiele könnte man beliebig fortsetzen.

Also hemmt diese Geringschätzung den Fortschritt?

Ja. Im Vordergrund steht leider nur, wie emissionsarm das Fahrzeug in der Stadt fahren kann. Was aber dafür im Detail notwendig ist und woran wünschenswerte Entwicklungen auch scheitern oder lange verzögert werden könnten, daran denkt man in aller Regel nicht. Die Dichtung ist ein Beispiel dafür. Bei der Brennstoffzelle ist das ähnlich. Wenn bei einer Benzinleitung hin und wieder ein Tropfen rauskommt, dann passiert nichts. Bei der Brennstoffzelle mit den unangenehmen chemischen Stoffen oder mit dem Wasserstoff unter 800 bar Druck im Auto sieht das ganz anders aus.

Warum wird dieses Thema so stiefmütterlich behandelt?

Weil die Bauteile klein und unscheinbar sind. Und weil sie niemandem auffallen, wenn sie funktionieren.

Prof. Werner Haas,
(Bild: Uni Stuttgart)

"Ein Highlight meines Arbeitslebens war beispielsweise die Entwicklung von berührungsfreien Dichtungen für stark flüssigkeitsbespritzte Dichtstellen.“

Prof. Werner Haas, Uni Stuttgart

Was möchten Sie der Industrie mit auf den Weg geben?

Dass es ohne Forschung in Zukunft keine Innovation geben wird. Denn Forschungsergebnisse sind nun mal zwingende Voraussetzungen für Innovationen. Es gibt nur wenige forschende Unternehmen im Dichtungsbereich. Das sind in erster Linie die großen Firmen. Also sollten die Unternehmen die Forschungsstellen unterstützen. Denn nebenbei generieren wir ja noch die von ihnen so dringend eingeforderten Fachleute. Und wenn wir wegen fehlenden Geldes keine Forschung betreiben können, dann können wir die Leute auch nicht vernünftig ausbilden.

Ihre Zukunftsprognose sieht für die Branche nicht rosig aus?

Diese Entwicklung gibt es nicht nur in der Dichtungstechnik. Auch die Forschung in den anderen alt hergebrachten Technologiebereichen wird viel zu wenig gefördert. Man hört immer von Digitalisierung und dorthin fließt relativ viel Geld, aber für die klassischen Maschinenbaufächer wird viel zu wenig getan. Das wird sich irgendwann rächen. Beispielsweise fehlen jetzt die vor Jahren wegrationalisierten Elektrochemie-Lehrstühle für die Fortschritte in der Elektromobilität. Plötzlich werden diese Leute wieder dringend gebraucht, aber solches Know-how aufzubauen kostet viel Geld und Zeit. Ähnliches sehe ich momentan bei den klassischen Maschinenbaufächern und insbesondere bei der Dichtungstechnik.

Was würden Sie den Studenten mit auf den Weg geben wollen?

Etwas Allgemeines: Dass sie in erster Linie die grundlegenden Fächer, die in vielen Produkten und Branchen benötigt werden, studieren, wie technische Mechanik, Regelungs-, Dichtungs-, Kunststofftechnik oder Konstruktion. Und nicht irgendein Spezialfach. Denn wenn ich über gute Grundlagen verfüge, kann ich mir innerhalb kürzester Zeit Spezialwissen erarbeiten. Wenn ich hingegen nur Spezialkenntnisse habe, wird mir das Einarbeiten in einen anderen Bereich extrem schwerfallen.

Hand aufs Herz. Werden Sie sich privat von der Dichtungstechnik fernhalten können?

Von der Dichtungstechnik kann man sich nicht fernhalten, da die empfindlichen Teile überall verbaut sind. Beispielsweise benötigt unser 30 Jahre alte VW-Bus hin und wieder eine neue Dichtung. Aber ansonsten müssen 40 Jahre Forschung, Lehre und Beratung in der Dichtungstechnik für mich reichen.

 

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Über Prof. Werner Haas

Ein Berufsleben für die Dichtungstechnik:

  • nach 8,5 Klassen Volksschule Lehre als Maschinenschlosser
  • Berufsaufbauschule, Technisches Gymnasium, zwei Jahre Bundeswehr in der ersten Gebirgsdivision in Berchtesgaden
  • acht Semester Studium Maschinenwesen an der Uni Stuttgart, Hauptfächer: Konstruktions- und Steuerungstechnik sowie technische Optik als freiwilliges Zusatzfach
  • ab 1981 Drittmittelforschungsprojekt „Berührungsfreie Wellendichtungen“
  • 1985 Festanstellung an der Uni Stuttgart am Institut für Maschinenelemente als Akademischer Rat
  • 1986 Promotion: „Berührungsfreie Wellendichtungen für flüssigkeitsbespritzte Dichtstellen“
  • 1987 Richard-Klinger-Forschungspreis
  • 1995 Übernahme des Lehr-und Forschungsgebiets Dichtungstechnik am Institut für Maschinenelemente und seitdem die selbständige Leitung.
  • 1997 Habilitation: „Berührungsfreies Abdichten im Maschinenbau unter besonderer Berücksichtigung der Fanglabyrinthe“; Lehrbefugnis für das Fach Dichtungstechnik im Maschinenbau
  • 1998 Verleihung des Titels Privatdozent und der Prüfungsberechtigung an der Uni Stuttgart
  • 2002 Ernennung zum Akademischen Direktor
  • 2004 Verleihung der Bezeichnung außerplanmäßiger Professor

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