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(Bild: alphaspirit – Fotolia)

Technische Lieferbedingungen für metallische Werkstoffe sind wichtig für das Werkstoffverständnis zwischen Materiallieferant und Kunden. Schon die Anforderungen für ein bestimmtes Bauteil führen zu Bestellanforderungen an den Werkstoffwiderstand –  zum Beispiel zu Festigkeit und Zähigkeit. Die Mindestangaben für Festigkeit und Zähigkeit in technischen Lieferbedingungen (Nominalwerte) machen die Anwendung des gewählten Werkstoffs in der Verarbeitung sicher.

Sie sind ein wichtiger Bestandteil vieler Regelwerke in aufsichtspflichtigen Bereichen, wie zum Beispiel Druckgeräte, Off-Shore-Installationen, Schiffbau, Stahlbau und Windenergie. Technische Lieferbedingungen, die anerkannt und praktisch anwendbar sind, sind überhaupt erst Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in Sinne von Ressourceneffizienz. Aber auch bei Schadensfällen und Reklamationen sind Normen auf dem aktuellen Stand der Technik wichtig für die Bewertung und Einordnung durch Gutachter und Gerichte.

Berechnung auf Rissinitiierung für kritische Positionen eines Hydraulikblockes.Die aktuell gültigen Normen für Grauguss (DIN EN 1561) und für Kugelgraphitguss (DIN EN 1563) sind beide für Sandguss erstellt worden und erfassen Gussbauteile mit einer Wanddicke bis maximal 200 mm. Werden Gussprodukte mit mehr als 200 mm Wanddicke bestellt, so sind die Mindesteigenschaften mit dem Hersteller zu vereinbaren. Weil Gusseisen aus Strangguss aber mit bis zu 600 mm Wandstärke produziert wird, sind die Normen häufig nicht mehr anwendbar. Hinzu kommen die unterschiedlichen Herstellungsarten von Sandguss und kontinuierlichem Strangguss, die vom aktuell gültigen Regelwerk zum Nachteil des Stranggusses nicht abgebildet werden. Für den Konstrukteur sind die verschiedenen Werkstoffeigenschaften aus dem Regelwerk oft nicht einfach zu erfassen.

So wird zum Beispiel oft nach der Eigenschaft Härte bestellt, um optimale Bearbeitungseigenschaften in der Fertigung der Bauteile zu erreichen, auch wenn das Bauteil bei der Bauteilauslegung mit der Zugfestigkeit berechnet wurde. Dieser Ansatz der Norm, also entweder nach Härte oder Zugfestigkeit zu bestellen, ist vielen Einkäufern von Gusseisen oft nicht klar. Zur Verbesserung dieser  Situation wurde in den letzten Jahren eine neue Norm für Strangguss erarbeitet. Hierbei konnten Erfahrungen von Stranggussherstellern aus bisherigen Erprobungen und Anwendungen genutzt werden, um die notwendigen verlässlichen Mindestkennwerte für Gussprodukte aus Strangguss in die neue Norm zu integrieren.

Bei der Mindestzähigkeit wurde bewusst ein neuer Weg beschritten. So sollen zu Zähigkeitseigenschaften, die meistens über den Kerbschlagbiegeversuch ausgedrückt werden, erst gar keine Angaben mehr gemacht werden. Die Erfahrung, dass Konstrukteure hier häufig die gleichen Maßstäbe ansetzen, wie bei Walz- oder Schmiedestahl, führte vielfach zu Irritationen und Ausschluss des Stranggusses von vielversprechenden Anwendungen. Da die Kerbschlagarbeit ohnehin keine unmittelbare Anwendung für eine quantitative Bauteilberechnung zulässt, müssen sich Entwickler für eine erfolgreiche und sichere Anwendung des Stranggusses die Frage stellen, welche sonstigen Kennwerte für die Bauteilauslegung verwendet werden können.

Die derzeit beste, weil technisch ausgereifte und allgemein anerkannte Alternative, sind bruchmechanische Kennwerte. Mit diesen können Anwender Werkstoffe angepasst im Hinblick auf Zähigkeit und Bauteilsicherheit auswählen, da eine zähigkeitsorientierte Bauteilberechnung möglich wird. Entsprechende Berechnungsrichtlinien und Prüfnormen sind national und international vorhanden, wie zum Beispiel ISO 12135. Um für Strangguss bruchmechanische Kennwerte aus verschiedenen Produktionen zu bekommen, wurden in Zusammenarbeit mit der CAEF Sektion Strangguss und allen europäischen Herstellern von Strangguss Werkstofferprobungen durchgeführt. Diese sind die Grundlage für die neue Stranggussnorm prEN 16482:2012. Beteiligt waren die ACO-Guss GmbH, A/S Tasso, Contifonte S.A., Gontermann-Peipers GmbH und United Cast Bar Ltd. Die Versuche wurden an der Bergakademie Freiberg durchgeführt.

Untersuchung an Stranggussproben

Die konstruktive Auslegung wird durch Kennwerte oder Materialeigenschaften beeinflusst. Dazu werden durch Zugproben die Zugfestigkeit, Dehnung und die Streckgrenze (Rp02) ermittelt. Diese Kennwerte bedeuten eine einachsige Beanspruchung für das Bauteil. Eine dreiachsige Beanspruchung hingegen ist daraus nicht abzuleiten. Für die Erstellung der Bruchmechanikproben wurde deshalb Probematerial aus Strangguss aus den verschiedenen Kugelgraphitwerkstoffen mit den Kennwerten aus der Tabelle auf Seite 43 oben bereitgestellt.

Die statischen, bruchmechanischen Versuche wurden bei –20 Grad an fünf Parallelproben mit quasistatischer Prüfgeschwindigkeit durchgeführt. Die Kennwerte des J-Integrals wurden nach ISO 12135 bestimmt. Außerdem wurden die 0,2 Prozent Dehngrenze Rp02 und die Zugfestigkeit Rm sowie der Elastizitätsmodul E bei Raumtemperatur und bei –20 Grad aus dem gleichen Probematerial ermittelt, um die Proben hinsichtlich der Materialqualität mit der Norm EN 1563 vergleichen zu können. Die Festigkeitskennwerte wurden im statischen Zugversuch und das Elastizitätsmodul über Laufzeitmessungen von Ultraschallwellen bestimmt. Anschließend konnte das Versuchsmaterial in Form von Rohlingen mit Aufmaß von Gontermann-Peipers übergeben werden. Die Entnahme der Rohlinge erfolgte nach Norm prEN 16482:2012 und die Probenfertigung durch die Technische Universität Bergakademie Freiberg.

Fazit

Die dargestellten Werkstoffuntersuchungen zeigen deutlich, dass Gusseisen mit Kugelgraphit auch bei Strangguss sehr gute Materialeigenschaften aufweist. Die Rissausbreitung ist bei den geprüften Temperaturen nicht spröde. Stattdessen ist von einer duktilen stabilen Rissausbreitung auszugehen. Der Gefügeeinfluss auf die Werkstoffeigenschaften korrespondiert mit dem Abfall an Ferrit zu mehr Perlit. Auch bei dem Werkstoff EN GJS 500-14 mit 100 Prozent Ferrit, ist trotz des hohen Silizium-Anteils die Rissausbildung stabil duktil. Die bruchmechanischen Untersuchungen an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg zeigen, dass es zusätzlichen Bedarf für Untersuchungen mit dem Rastermikroskop an den Bruchflächen gibt, um das Bruchverhalten noch detaillierter zu beschreiben.

Die bisher häufig verfolgte Praxis, an jedem einzelnen Bauteil eine Bruchmechanikuntersuchung durchzuführen, sollte wegen der verfahrensspezifischen Merkmale für den Strangguss nur bedingt gelten. Der Grund dafür ist, dass für die geometrisch eindeutigen Halbzeuge in Rund- und Vierkantabmessungen sehr konstante Gießbedingungen erzielt werden und daher auch homogene Eigenschaften vorliegen. So sind zum Beispiel die Rissinitiierung und die Rissausbreitung sehr vom Gefüge, der Teilchengröße und damit von den Gießparametern abhängig. Bei Strangguss sind diese weitgehend konstant. Folglich ergibt sich für den Konstrukteur eine gute Basis zur Berechnung mit den standardmäßig ermittelten Werkstoffkennwerten oder mit vereinbarten Mindesteigenschaften.

In einem Kundenprojekt wurde für einen Hydraulikblock (420 bar) eine FEM-Berechnung durchgeführt und die Belastungsspitzen ermittelt. Um Bauteilversagen durch Rissbildung zu bewerten, wurde eine bruchmechanische Berechnung auf Rissinitiierung für kritische Positionen (wie im Bild auf Seite 42 oben rechts zu sehen) des Hydraulikblockes durchgeführt. Eine Position im sogenannten Spoole Hole wurde mit dem im Diagramm auf Seite 42 oben links dargestellten Modellrohr mit innenliegendem Fehler unter Innendruck erfasst. Die Ergebnisse der Beanspruchungsrechnungen und der Risszähigkeitsprüfung wurden zu Grunde gelegt, um für einen Modellfehler von 4 mm Durchmesser und 8 mm Länge die Bauteilsicherheit zu ermitteln.

Das Ergebnis ist im Failure Assessment Diagramm (Seite 42 oben links) dargestellt. Die grünen Bemessungspunkte liegen innerhalb des Diagramms und zeigen gegenüber den Grenzpunkten, die sich bei einer weiteren Fehlervergrößerung ergeben würden (rote Punkte), eine deutliche Sicherheit. Der kritische Fehler beträgt 12,2 mm Höhe und 24,4 mm Länge bei einem Druck von 420 bar. Diese Art von Sicherheitsberechnungen geben dem Konstrukteur Hinweise auf die Eignung von dem eingesetzten Material und der gewählten Konstruktion. Es werden weitere Untersuchungen zu diesem Thema folgen, die dann ein größeres Spektrum an Herstellern und Werkstoffen sowie mehr Proben mit einbeziehen.                                    

Autor: Ralf Gorski, Gontermann-Peipers, www.gontermann-peipers.de

 

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