Zuschauerraum

Blick in den Zuschauerraum: Für die Gäste unsichtbar liegt links, leicht erhöht, der Bedienraum. Von dort aus steuern Mitarbeiter die Untermaschine mit den Podien und die Obermaschine, die beispielsweise die Vorhänge bewegt.

Vor mehr als 100 Jahren, 1913 eröffnete das „Neue Königliche Schauspielhaus“ in Dresden. Die Lage ist günstig: in der Innenstadt, direkt neben dem Zwinger. Viel Platz ist dort allerdings nicht. Die Architekten William Lossow und Max Hans Kühne entwerfen daher ein schlankes, hochaufgeschossenes Gebäude ohne Seiten- oder Hinterbühnen. Stattdessen erhält das Theater einen für diese Zeit spektakulären Bühnenboden mit hydraulischem Hebesystem.

Überraschenderweise läuft dieses System auch noch heute – verwoben mit moderner Technik. Wie es die Techniker geschafft haben, das System so lange am Laufen zu halten und warum es nicht längst durch eine moderne Anlage ersetzt worden ist, hat fluid vor Ort recherchiert.

Nur noch wenige Tage Vorbereitungszeit bleiben bis zur Premiere der neuen Inszenierung von Shakespears Maß für Maß; die Atmosphäre im Saal des Schauspielhauses ist angespannt. Das Bühnenbild tut sein übriges: Zwei glatte, schwarze Wände, die sich im spitzen Winkel treffen, und ein ebenso dunkler Boden formen einen engen, unnatürlichen Raum. „Wir sind noch nicht fertig“, ruft eine Schauspielerin und runzelt die Stirn über die Störung während der Proben.

Hinter der Bühne ist die Stimmung gelassener, und es ist überraschend viel Platz. Das liegt daran, dass das klaustrophobische Bühnenbild nur zwei der Podien belegt, aus denen die Bühne besteht. Das hinterste Podium ist frei, einer kleinen Demonstrationsfahrt steht also nichts im Wege. Wie ein überdimensionierter Fahrstuhl versinkt die Plattform im Boden. Etwa 10,8 Meter, also gut drei Stockwerke rauscht das Podium nach unten.

Etwas über 20 Sekunden dauert der Abstieg. Ich erhasche einen kurzen Blick auf eine unterirdische Halle, die von bunten Leitungen durchzogen wird, sowie auf Gänge und Räume, die vom Podiumsschacht abgehen. Dann geht es auch schon wieder aufwärts.

Arbeiten mit einem Oldtimer

Die Bedienung der Podien obliegt technischen Mitarbeitern wie Herrn Beate. Zu diesem Zweck gibt es extra eine kleine Kammer in der Wand der Bühne. Ein breites Bedienpult mit mehreren Monitoren, Hebeln und Knöpfen beherrscht den winzigen Raum. Kameras übertragen das Bild von der Bühne, wo inzwischen dramatischer Gesang die Handlung untermalt.

Wanne

Der Blick in die „Wanne“, eine gewaltige Halle unter der Bühne, in welche die Podien herunter fahren. Bild: fluid/do

Die Belegung der Bedienelemente sei programmierbar, erklärt Beate. Soll sich während der Aufführung ein Podium bewegen, aktiviert er über ein Touchpad den entsprechenden Bedienhebel. Auf ein Lichtzeichen hin lenkt er den Hebel dann aus. Von diesem Panel aus werden außerdem die Zugstangen gesteuert, mit denen Wände, Dekorationsteile oder Stoffe bewegt werden – je nach Wunsch des Regisseurs und des Bühnenbildners.

Damit nichts schief geht, wird jede Aktion genau abgesprochen. „Die Positionen der Podien werden in der Bauprobe anhand des Bühnenbildes grob festgelegt. Während der Proben konkretisiert sich das dann alles immer mehr. Dann wird festgelegt, mit welcher Geschwindigkeit, in welche Richtung gefahren wird“, sagt der Techniker.

Podien

Die Podien haben eine Nutzlast von 32 Tonnen, die bei dieser Fahrt allerdings nicht ausgereizt wurden.
Bild: fluid/do

Trotz des hohen Alters der Hydraulik ist der Techniker durchaus zufrieden und wünscht sich gar keine neue Anlage. „Nein, die alte Anlage lieben wir und wir hegen und pflegen sie“, sagt er verschmitzt. Diese Hydraulik sei ja quasi schon ein technisches Denkmal. Im Laufe der Zeit hat sie einiges mitgemacht.

Den zweiten Weltkrieg und die Bombardierung Dresdens hat die Anlage beispielsweise nur wegen des besonderen Engagements des damaligen Maschinenmeisters Franz Lommatzsch überstanden. Beim Fliegeralarm fuhr er die Podien in die unterste Position. Während das Theatergebäude zerstört wurde, überdauerte die Hydraulik den Krieg auf diese Weise unbeschadet, zumindest fast. „Die drei hat heute noch den Treffer – das merkt man“, berichtet der Techniker.

Podien-Vielfalt

Keine Gnade bei Höhenangst

Mit den drei nach unten versenkbaren Podien ist es im Schauspielhaus Dresden nicht getan. Es gibt ein weiteres Podium, das horizontal fährt, von hinten nach vorne. Damit sind verschiedene Kombinationen möglich. Für den Bühnenaufbau bei der Inszinierung von „Maß für Maß“ blieb das vorderste Podium voll ausgefahren, also auf Bühnenhöhe. Das vertikal verfahrende Podium brachten die Techniker nach vorn. Beweglich blieben damit trotz des starren Bühnenaufbaus die beiden hinteren Podien: Das hinterste, weil dort keine Aufbauten standen, und das mittlere, weil sich darüber das vertikal verfahrende Podium befand.

Nur die beiden hinteren Podien sind in der Lage, über die Bühnenebene hinaus zu fahren, allerdings auch nur einen Meter. Wer nun glaubt, Schauspieler müssten nicht schwindelfrei sein, irrt jedoch. Denn natürlich können für einen gewünschten Hub über Null beziehungsweise einen Meter hinaus jederzeit Kisten oder ahnliche Geometrien auf einem Podium aufgebaut werden. So ist es dann doch möglich, Personen in luftige Höhen zu befördern.

Besonders gnadenlosen Regisseuren steht außerdem die Möglichkeit offen, die Obermaschine zu verwenden, ein heute elektro-mechanisches System, dessen Hubstange bei 30 Metern steht. Die Obermaschine bewegt hauptsächlich Vorhänge, Bühnendeko und ähnliches. Bei Bedarf können darüber auch Schauspieler abgeseilt werden.

Ein inoffizielles Museum im Untergrund

historische Pumpe

Die historische Pumpe. Bild: fluid/do

Zum Denkmal-Status passt, dass eine der Originalpumpen von damals tatsächlich noch einsatzbereit ist. Wer sie sehen will, muss allerdings in den Keller hinabsteigen und sich auf verwinkelten Pfaden in den Maschinenraum der Hydraulik begeben. Ein Messingschild weist den Hersteller der Pumpe aus: „Maschinenfabrik Augsburg Nürnberg, Werk Augsburg, Baujahr 1911“, steht dort vermerkt. Die Firma Kölle und Hensel aus Berlin hatten sie 1913 in Betrieb genommen. „Sie sind quasi die Errichter der kompletten Bühnenmaschinerie“, erklärt Uwe Mondschein von Mondschein Hydrosystems. Sein Unternehmen unterstützt das Schauspielhaus bei Wartungen und Reparaturen des Systems.

Hochdruckkreiselpumpe

Die beiden Hochdruckkreiselpumpen, die heute für Druck sorgen. Bild: fluid/do

Mit dem großen Schwungrad und der historischen Schmiermittelversorgung über kleine Glasbehälter möchte man sich fast nach der zugehörigen Dampfmaschine umsehen, die Pumpe wird allerdings elektrisch betrieben. Die Funktion eines Sanftstarters übernimmt eine handliche Maschine in der Ecke des Raumes. Sie läuft mit ordentlich Gebrumm an, dann startet auch die Pumpe. Sie dient allerdings nur noch der Anschauung und zu Demonstrationszwecken. Tatsächlich noch in Gebrauch sind von der historischen Anlage hauptsächlich noch das Rohrleitungssystem, die Druckbehälter und die Fahrventile, mit denen die Geschwindigkeit der Podien-Fahrt gesteuert wird.

Für den benötigten Druck sorgen heute zwei moderne Hochdruckkreiselpumpen. Sie schaffen eine Förderleistung von 540 und 950 Liter pro Minute. Eine Besonderheit dabei ist das Medium: Die Anlage läuft nicht mit Hydrauliköl, sondern mit HFA, einer Emulsion aus 95 Prozent Wasser und fünf Prozent Zusätzen. „Wasserhydraulik hat Vor- und Nachteile“, erklärt Mondschein.

Messleiste

Die Original-Druckbehälter sind weiter im Gebrauch, die Messleiste dient jedoch nur noch zu Deko-Zwecken. Bild: fluid/do

„Sie brennt nicht. Andererseits wird das Medium, gerade in einem Theater, nicht viel bewegt. Sie merken es jetzt: Der Raum ist ruhig, also laufen die Pumpen nicht, die Podien stehen.“ Stehendes Wasser ist aber anfällig für Bakterien und andere Lebewesen.

Wenn die Podien gefordert sind, fließen kurzfristig große Volumenströme, um den Hub von 11 bis 12 Metern zu überwinden. „Wenn sie mit der maximalen Geschwindigkeit fahren, brauchen die Zylinder jeweils etwa 1400 bis 1500 Liter pro Minute. Rechnen Sie sich mal aus, was da zusammenkommt, wenn alle Podien gleichzeitig fahren.“ Mit diesen Anforderungen wäre das Pumpenduo im Maschinenraum völlig überfordert. Für die nötigen Reserven sorgen daher fünf deckenhohe Druckbehälter. „Das ist hier keine Speicheranlage, wie wir sie heute so kennen.

Sie haben hier weder Membranspeicher, Kolbenspeicher noch Blasenspeicher, sondern eigentlich nur Kessel“, erklärt Mondschein über den Lärm des anspringenden Kompressors hinweg, den die Betreiber zwischen historischer Pumpe und Druckspeichern platziert haben. In den Druckbehältern befindet sich unten das Medium; von oben wird Pressluft aufgebracht als Druckspeicher. Ein moderner Druckschalter vervollständigt heute das System. Der Hydrualik-Tank ist platzsparend in den Boden des Maschinenraums eingemauert. Er hat 29 Kubikmeter Nennvolumen. Ungefähr weitere 40 Kubikmeter befinden sich in der Anlage.

Die unterirdischen Hallen des Schauspielhauses

ölhydraulische Vorsteuerung

Die ölhydraulische Vorsteuerung mit den grünen Leitungen kam nachträglich hinzu.
Bild: fluid/do

Vom Maschinenraum ist es nur ein Katzensprung zur sogenannten Wanne, der gewaltigen Halle direkt unterhalb der Bühne. Dort sind die Zylinder in den Boden eingelassen; zu sehen sind daher nur die Stangen, auf denen die Podien befestigt sind.

Voll ausgefahren ragen sie wie Säulen aus dem Boden. Für das vordere Podium beträgt der maximale Hub 10,8 Meter, die beiden hinteren können noch einen Meter höher und stehen dann entsprechend höher als der Rest der Bühne. Zwischen den Stangen laufen die blauen Druckleitungen der Wasserhydraulik.

Auch wenn das grundlegende System gleich geblieben ist, haben die Betreiber die Möglichkeiten neuer Technik genutzt und die Anlage immer wieder überholt, modifiziert und überholt. Einige kleinere, grün klackierte Leitungen, die in der Wanne aus dem System blauer Leitungen herausstechen, waren beispielsweise Teil einer Modernisierungsmaßnahme.

historischer Druckbehälter

Technikgeschichte auf einen Blick: Den historischen Druckbehälter haben die Betreiber mit einem modernen Druckschalter ausgestattet. Bild: fluid/do

Diese begann eigentlich nur mit einer kaputten Heizung, erzählt Frank Ruder, Ingenieur für Bühnentechnik im Schauspielhaus. „Aber dann stand uns nach der Wende plötzlich sehr viel Geld vom Land zur Verfügung, 80 Millionen D-Mark. Da haben wir das Haus von Grund auf modernisieren können. Diese Gelegenheit haben wir natürlich genützt, um die auch Bühnentechnik zu erneuern.“

Die grünen Leitungen sind Teil einer ölhydraulischen Vorsteuerung und führen zu einem Zylinder, der den Hauptschieber der Wasserhydraulik regelt. Während das Ölhydraulikaggregat im Keller untergebracht ist, sitzen die drei 20-Liter Blasenspeicher des Systems ebenfalls in der Wanne. Mit den Neuerungen, die 1994 durchgeführt wurden, war die Vorsteuerung dann über Rechentechnik steuerbar. Dazu kamen außerdem Änderungen aufgrund geänderter Sicherheitsstandards.

Inzwischen sind oben die Proben zu Ende gegangen. Die Gelegenheit ist günstig, um den Saal mal aus Schauspielersicht zu betrachten. Von der Bühne aus wirkt der Raum etwas kleiner. Wände, Decke und Balkone sind aufwändig verziert. Sie bilden einen scharfen Kontrast zu der düsteren Bühnendeko. Ich muss an die Halle denken, die unter dem schwarzen Boden liegt, und bin plötzlich froh über meinen Arbeitsplatz im Großraumbüro.

 

fluid hakt nach

Messingschild

Ein Messingschild weist den Hersteller der historischen Pumpe aus.

Drei Fragen an Uwe Mondschein, Mondschein Hydrosystems

Was ist Ihre Aufgabe im Schauspielhaus?

Wir sind ein Hydraulikunternehmen mit sechs Angestellten. Hier im Schauspielhaus haben wir einen Wartungsvertrag. Wir kümmern uns darum, dass die Anlage von der Hydraulikseite funktioniert. Wenn Fehler auftreten und der Betreiber selber an seine Grenzen stößt, unterstützen wir ihn bei Reparaturen.

Im Sommer gibt es eine Menge Stillstandszeit wegen der Spielpause. Dann werden turnusmäßige Wartungen wie Filterwechsel, Ölpflege, Austausch von Verschleißteilen und Druckbehälterprüfungen durchgeführt.

Können Sie ein paar Beispiele für Modernisierungen an der Anlage nennen?

1994 wurde eine ölhydraulische Vorsteuerung eingebaut, um den Bestimmungen der Berufsgenossenschaft zu entsprechen. 2008 wurde dann die Steuerung geändert, die später dann noch einmal angepasst wurde, der Sicherheitsbestimmungen wegen. Außerdem wurde eine Rohrbruchsicherung in das Leitungssystem eingebaut.

Welche Antriebstechnik würde man heute für die Bühnentechnik verwenden?

Vermutlich eine Ölhydraulik oder eine Elektromechanik. Das ist auch eine Frage der Kräfte und Wege, die realisiert werden sollen. Bei kürzeren Hüben von drei, vier Metern wird heute oft ein elektromechanischer Antrieb verwendet. Aber auch die Hydraulik hat ihre Vorteile. Im Bolshoi-Theater in Moskau ist erst vor Kurzem eine Ölhydraulik installiert worden. Im Vergleich zur Wasserhydraulik arbeiten sie dabei mit kleineren Kolbenstangen und höheren Drücken.

Autorin: Dagmar Oberndorfer, Redakteurin für Fluidtechnik, Antriebstechnik, Mobile Maschinen und Schiffbau.

 

 

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