Großzylinder

Wenn Aros Hydraulik von Großzylinder spricht, können das schon Baulängen von bis zu 12 m werden. Aber auch Kolbendurchmesser bis 600 mm sind gefragt. (Bild: fluid/gf)

Wenn es jemand faustdick hinter den Ohren hat, lässt sich nicht wirklich erahnen, was und wie viel der Sünder auf dem Kerbholz hat. Wenn aber jemand eine im Durchmesser faustdicke Kolbenstange herstellt, lassen sich die Dimensionen einordnen und Hydraulik-Kenner könnten sich gut vorstellen, dass das gute Stück beispielsweise zu einem Hydraulikzylinder gehört, der in der Presse seine Arbeit verrichtet. Wer nun aber glaubt, so ein Zylinder sei groß, der irrt gewaltig. Die Steigerung könnte beispielsweise lauten: groß, größer, Aros.

Wer mit Fluidtechnik zu tun hat, kann den Namen zuordnen. Er steht für ein in Memmingen ansässiges Unternehmen, das in der Gruppe knapp 200 Mitarbeiter beschäftigt. Und was es mit der Steigerung im Detail auf sich hat, wird später noch ausführlich erklärt. Jetzt aber erst mal der Reihe nach.

Rückblende: Mitte 2011 fragte fluid Andre Danehl, auf welche aktuelle Produktentwicklung er denn besonders stolz sei. Der Geschäftsführer von Aros Hydraulik überlegte nicht lange: „Sehr stolz bin ich auf die geregelt Achse, die wir für einen Hexapoden entwickelt haben, der in der Luftfahrtindustrie zum Einsatz kommt.“ Dass die Memminger derartige Projekte abwickeln, ist dem Umstand zuzuschreiben, dass das Unternehmen eine Kurskorrektur vorgenommen hat – in zweierlei Hinsicht. Zum einen hat sich Aros vergrößert in Bezug auf Kapazitäten und andererseits hat man eine Programmerweiterung auf den Weg gebracht hin zum Großzylinder. Und wenn Danehl von Großzylinder spricht, denkt er an Kolbendurchmesser bis 600 mm und Baulängen irgendwo bei 12 m.

Auf der Suche nach anderen Betätigungsfeldern

Andre Danehl

Andre Danehl ist Geschäftsführer bei Aros Hydraulik in Memmingen. Andererseits ist er Hydrauliker mit Leib und Seele. Bild: fluid/gf

Wie kam es nun zu diesem Sinneswandel? Andre Danehl erinnert sich: „Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass sich im Bereich der konventionellen Zylinderanwendungen sehr viele Wettbewerber tummeln. Aus diesem Wettbewerbsdruck wollten wir ausbrechen und haben uns nach anderen Betätigungsfeldern umgesehen. So haben wir sehr schnell herausgefunden, dass es nur sehr wenige Hersteller für Großzylinder gibt, und noch weniger, die die dazu nötige anspruchsvolle Fertigungstechnik auch beherrschen. Und da wir uns diesen Strategieschritt zugetraut haben, ist im Jahr 2006 entschieden worden, den Großhydraulikzylinderbau offensiv anzugehen.“

In der Folge wurde massiv in Maschinen investiert und die Fabrik erweitert. Was in den Planungsprozess natürlich nicht einfließen konnte, war die Finanz- und Wirtschaftskrise 2009. Danehl: „Wir haben Ende 2008 die wesentlichen Umstrukturierungen abgeschlossen und wollten nun loslegen. Unverschuldet und völlig unvorbereitet, wie andere Firmen auch, sind wir dann mit Pauken und Trompeten in die Krise hinein geschlittert. Aber wir haben diese Zeit für Neuentwicklungen genutzt. Zum Teil gemeinsam mit Kunden, die ja auch plötzlich Zeit hatten. Wir haben seinerzeit die Konstruktionsabteilung keine einzige Stunde kurzarbeiten lassen. Im Gegenteil, wir haben Überstunden gefahren.“

Auf die Frage, wann man denn die ersten Früchte ernten konnte, antwortet der Aros-Chef: „Vor dem Hintergrund, dass es im Großzylinderbau etwa eine Handvoll Anbieter gibt, war im Jahr 2013 Früchte ernten angesagt.“ Und nach wie vor ist das Engagement der Hydrauliker in der kreisfreien Stadt im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben riesengroß, den Großzylinderbereich zum Hauptumsatzträger zu machen. In Zahlen: Den Angaben von Danehl zufolge, sollen die Stahlgiganten bis zum Jahr 2016 etwa 60 bis 70 Prozent zum Gesamtumsatz beisteuern.

Nun kennt der Geschäftsführer natürlich die Marktbegleiter im Hydraulikzylinderbereich in und auswendig und dennoch ist er nicht nur stolz auf so manches Aro-Zylinder-Alleinstellungsmerkmal, er spricht auch von Marktführerschaft. Andre Danehl betont: „Als es bereits 2004 die ersten Überlegungen hinsichtlich Großzylinder gab, habe ich meinen Schweißfachingenieur gemacht. Denn viel Know-how im Zylinderbau hat mit Werkstoff- und Verbindungstechnik zu tun.

Aufgrund unserer Ingenieurskunst sind wir in der Lage, technische Probleme zu lösen und umzusetzen, was in weiten Bereichen unsere Marktbegleiter nicht können. Damit meine ich einerseits die Dimension der Zylinder und andererseits den Umgang mit anspruchsvollen Materialien wie beispielsweise hochfesten Feinkornbaustählen. Dadurch haben wir uns nicht nur eine Marktführerschaft erarbeitet aufgrund unserer Unternehmensgröße, sondern durch die Möglichkeiten, die wir in der Produktion haben.“

Bei der Montage kommt der Kran an seine Grenze

Mit ebenso viel Begeisterung berichtet der Hydraulikexperte über bereits realisierte Projekte, die zu einem ganz wesentlichen Teil von der Funktionsfähigkeit des Großzylinders abhängig sind. Eisenbahnkrane zum Verlegen von Schienentraversen sind ein gutes Beispiel. Sie sind in der Regel drehbar auf einem Eisenbahnfahrzeug montiert. Die ersten Schienenkrane waren mit handbetätigten Winden auf Flachwagen aufgebaut. Ab 1860 gab es auch dampfbetriebene Krane. In Deutschland wurden erst dreißig Jahre später die ersten Schienen-Dampfkrane hergestellt.

Erst ab 1960 wurden dieselhydraulische Kräne zum Standard. Ab 1960 kamen statt herkömmlicher mit Seilen bewegter Ausleger auch hydraulische Teleskopausleger zur Ausführung. Heute gibt es kaum noch andere Ausführungen. Danehl erklärt: „Hier kommt von uns ein Doppelzylindersystem zum Einsatz, das durch eine einseitige Öleinspülung angesteuert wird, um die verschiedenen Teleskopierstufen zu betätigen. Im eingefahrenen Zustand haben wir es hier mit einer Baulänge von 10 m zu tun.“

Dass sehr große Zylinder auch großdimensionierte Hydroaggregate benötigen, versteht sich von selbst. Um es am Beispiel der Zylinder für Eisenbahnkrane mit Zahlen zu belegen: Um eine Seite auszufahren, werden rund 300 Liter Öl benötigt. Branchenkenner können sich leicht vorstellen, welche Pumpen-Monster dazu nötig sind.

Aus Geheimhaltungsgründen kann der Aros Hydraulik-Geschäftsführer leider nicht im Detail auf ein in allen Aspekten interessantes Projekt eingehen. Die Rede ist von einem überdimensionalen, großflächigen Beschattungssystem für Gebäude. Deshalb an der Stelle nur so viel: die Teleskopierzylinder von Aros weisen einen Kolbenstangendurchmesser von 180 mm und das bei einem Hub von immerhin 17.100 mm.

Weitere Projekte sollen hier nur stichpunktartig erwähnt werden: Großzylinder für ein Staudammprojekt in Indien, großformatige Hydrozylinder für Pressen, Abstützzylinder für Betonpumpen, große Pressenfahrzylinder für die Pipeline-Rohrfertigung. Wo derzeit hinsichtlich der Größe fertigungstechnisch die Grenze liegt, beantwortet Danehl so: „Die maximale Zylinderdimension, die wir derzeit produktionstechnisch im Griff haben, liegt bei 12.000 mm Länge. Das entspricht dann etwa einem Gesamtgewicht von knapp 7 t. Derart schwere Zylindereinheiten müssen dann auf dem Tieflader montiert werden, da der Kran an seine Grenzen kommt.“

Nicht nur Mobilhydraulik-Aktivitäten

Eine Besonderheit stellen fluidtechnische Linearantriebe für Autokrane dar. In vielerlei Hinsicht: Zylinderlänge und -werkstoffe, Laufruhe, Halteeigenschaften. So fertigt Aros für Autokrane spezielle Teleskopzylinder bis hin zu 300 mm Kolbendurchmesser, die maximale Baulänge geben die Memminger mit 12.000 mm an. Auf diese Konstruktionen ist Andre Danehl besonders stolz: „Wir können hier gegenüber anderen Zylinderherstellern mit wesentlichen Vorteilen aufwarten.

Das betrifft insbesondere die Laufruhe und die Halteeigenschaften. Diese Zylindereinheiten fertigen wir komplett mit dem dazu gehörigen Führungsrahmen. Zur Erklärung: Die Zylinder brauchen in der praktischen Anwendung eine zusätzliche mechanische Unterstützung. Da konnten wir uns mit konstruktiven Details von konventionellen Lösungen am Markt abheben. Hier können wir mit Fug und Recht von Alleinstellungsmerkmalen sprechen.“

Nun war bislang viel von Mobilhydraulik-Applikationen die Rede. Damit kein falsches Bild entsteht: Aros wickelt auch Projekte in der Industriehydraulik ab. So gehören beispielsweise Hersteller von Kunststoffspritzgießmaschinen zu den Kunden, aber auch Hersteller von Richtpressen für die Stahl- und Bandverarbeitung schätzen die Hydraulikkomponenten der Memminger.

Fazit: Der Besuch vor Ort war beeindruckend. Und irgendwann steht merkwürdigerweise die Frage nach der Dimension gar nicht mehr so im Mittelpunkt, weil man registriert, dass mit der Größe nicht zwingend die Qualitätsanforderungen kleiner werden.

Autor: Franz Graf, Chefredakteur

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