Robotersauggreifer

Der Robotersauggreifer des Teams von Prof. Stefan ­Seelecke kann kompliziert geformte Werkstücke greifen und sich wechselnden Formen anpassen. Dr. Paul Motzki (l.) und Lukas Zimmer (r.) haben das System mitentwickelt. (Bild: Oliver Dietze)

Bei der Automontage wuchten Roboter in Industriehallen schwere Karosserieteile und setzen diese zusammen. Ihre Greifsysteme sind wenig anpassungsfähig: Soll der Greifer etwa nach der Tür einer Limousine nun eine anders geformte Tür eines Sportwagens einbauen, geht das nicht einfach so. Flexibilität ist ihm nicht ins Programm geschrieben. Ist dort, wo er zupacken soll, im nächsten Bauteil eine Aussparung, muss ein anderer Greifer ran oder es wird aufwendig, weil umgebaut und umprogrammiert werden muss. „Besonders bei flachen oder leicht gekrümmten Bauteilen wie Blechen oder Glasscheiben greifen diese sogenannten Endeffektoren heute immer nur monoton gleiche Werkstücke“, erklärt Professor Stefan Seelecke.

Anpassungsfähigkeit in Highspeed

Stefan Seelecke
Prof. Dr. Stefan ­Seelecke, Lehrstuhl für intelligente ­Materialsysteme der Universität des Saarlandes. (Bild: Oliver Dietze)

Mit einer Neuentwicklung von Seeleckes Forschungsteam für intelligente Materialsysteme an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik Zema könnten die Arbeitsmaschinen künftig flexibler werden: Das Verfahren birgt das Potenzial, dass Robotergreifer sich in Zukunft in Highspeed an beliebige Werkstücke anpassen, weil sie sich im laufenden Betrieb einfach und schnell umprogrammieren lassen – oder dies künftig mithilfe maschinellen Lernens selbst tun.
„Derart anpassungsfähige Greif- und Handhabungssysteme würden eine weit flexiblere Produktion und Fertigung ermöglichen. Außerdem kommt unser Verfahren ohne schweres Gerät, Elektromotoren oder laute und energieintensive Druckluft aus. Es braucht nur elektrischen Strom“, sagt Stefan Seelecke.

Mehrere Forschungsprojekte - ein Prototyp

Einen Schritt hin zu dieser Vision demonstriert Seeleckes Team mit einem Prototyp auf der Hannover Messe. Er ist das Ergebnis mehrerer Forschungsprojekte sowie Doktorarbeiten und besteht aus mehreren Neuentwicklungen, die erstmals in einem Gesamtsystem kombiniert werden: zum einen aus einem gelenkigen Robotergreifer, der vier Finger und Fingerspitzen durch künstliche Muskeln in alle Richtungen bewegen kann. Ähnlich wie eine menschliche Hand kann er sich unterschiedlich geformten Dingen anpassen und so auch Aussparungen oder Löchern in Türen anderer Automodelle ausweichen. „Er ist nicht auf eine Bauteilgeometrie beschränkt“, erläutert Ingenieur Paul Motzki, der das System in seiner Doktorarbeit mitentwickelt hat. Und zum anderen – dies hat der Prototyp der Hand sogar voraus – hat er jeweils Vakuum-Sauggreifer an den Fingerspitzen, die das, was der Greifer in seinen Fängen hat, unlösbar festhalten.

Robotersauggreifer des Teams von Prof. Stefan ­Seelecke
Auf kleinem Raum bringen die Formgedächtnisdrähte eine hohe Zugkraft zustande: Von allen bekannten Antriebsmechanismen haben sie die höchste Energiedichte. (Bild: Oliver Dietze)

Künstliche Muskelfasern

Bei Fingern, Fingerspitzen wie auch Vakuum-Saugnäpfen kommen künstliche Muskelfasern zum Einsatz: Bündel feiner Drähte mit Formgedächtnis. „Legen wir Strom an diese Nickel-Titan-Drähte an, erwärmen sie sich und wandeln ihre Gitterstruktur um, so dass sie sich zusammenziehen. Fließt kein Strom, kühlen sie ab und werden wieder lang. Bündel aus mehreren solcher dünnen Drähte geben durch die größere Oberfläche schnell Wärme ab, so dass sie schnell abkühlen und wieder lang werden“, erläutert Paul Motzki.

Flinke Bewegung der Roboter-Finger

Vergleichbar einem menschlichen Muskel macht dies schnelles An- und Entspannen möglich und damit auch flinke Bewegung der vier muskulösen Greifer-Finger. „Auf kleinem Raum bringen die Formgedächtnisdrähte eine hohe Zugkraft zustande: Von allen bekannten Antriebsmechanismen haben sie die höchste Energiedichte. Dies demonstrieren wir auf der Hannover Messe auch, indem wir die Drähte eine Bowling-Kugel einen halben Meter in die Höhe katapultieren lassen“, erläutert der Ingenieur. Der Greifer kann Dinge festhalten und frei im Raum bewegen – ohne Druckluft, leise und reinraumtauglich. Kurze Stromimpulse genügen, um schnell ein kraftvolles Vakuum zu erzeugen und wieder zu lösen. Dafür legen die Forscherinnen und Forscher die Draht-Bündel wie einen Ringmuskel um ein Metall-Plättchen, das nach oben oder unten umspringen kann wie ein Knackfrosch: Ein Stromimpuls verkürzt die Drähte und lässt den „Knackfrosch“ umschnappen, wobei er an einer Gummi-Membran zieht und das Vakuum auslöst, wenn der Greifer auf flacher Oberfläche aufliegt. Fürs Halten selbst braucht er keinen Strom, auch wenn er ein schweres Teil schräg hält.

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